OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04.2006 - 6 A 10211/06.OVG - asyl.net: M8415
https://www.asyl.net/rsdb/M8415
Leitsatz:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist auch auf vor dem 1.1.2005 eingereiste oder in Deutschland geborene Kinder anwendbar.

 

Schlagwörter: Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Rückwirkung, Entscheidungszeitpunkt, Anwendungszeitpunkt, Altfälle
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2
Auszüge:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist auch auf vor dem 1.1.2005 eingereiste oder in Deutschland geborene Kinder anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass der Bescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2005 die Klägerinnen nicht in ihren Rechten verletzt, obwohl sie keinen ausdrücklichen Asylantrag gestellt haben. Ein solcher gilt nämlich gemäß § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG mit dem Zugang der Anzeige über die Geburt der Klägerinnen als gestellt.

1. Nach § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG gilt mit dem Zugang der Anzeige über die Geburt des Kindes beim Bundesamt ein Asylantrag für das Kind als gestellt. Die Antragsfiktion des § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG findet damit ohne Weiteres Anwendung auf alle nach dem In-Kraft-Treten der Vorschrift am 1. Januar 2005 (Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz) eingereisten oder in Deutschland geborenen Kinder i. S. d. § 14 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Dass sie ausschließlich für diese Gruppe von Kindern gilt, kann dem Wortlaut der Vorschrift aber nicht entnommen werden. Insbesondere lässt die Verwendung der Zeitform des Präsens einen solchen Schluss nicht zu.

2. Trotz seines nicht eindeutigen Wortlauts gilt § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG aus systematischen und teleologischen Gründen auch für bereits vor dem 1. Januar 2005 geborene Kinder.

In systematischer Hinsicht ist festzustellen, dass der Anwendungsbereich der Bestimmung des § 14 a Abs. 2 AsylVfG nicht auf nach ihrem In-Kraft-Treten eingereiste bzw. geborene Kinder beschränkt wurde, obwohl in vergleichbaren Normen, die im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes geschaffen wurden, solche Regelungen getroffen sind. § 15 a Abs. 6 AufenthG bestimmt - wie schon gesagt -, dass die vorangestellten Absätze nicht für Personen gelten, die nachweislich vor dem 1. Januar 2005 eingereist sind. Die bereits erwähnte Bestimmung des § 104 Abs. 3 AufenthG enthält eine ausdrückliche Regelung für Kinder, die vor dem 1. Januar 2005 geboren wurden. Diese Beispiele sprechen für die Annahme, der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes habe Ausnahmen für Kinder, die vor dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes eingereist oder geboren sind, ausdrücklich normiert, wenn er sie vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes hat ausnehmen wollen (vgl. VG Minden, AuAS 2005, 238).

Zu diesem Ergebnis führt auch eine an Sinn und Zweck des § 14 a Abs. 2 AsylVfG orientierte Auslegung. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/420, S. 108) dient § 14 a AsylVfG dem Zweck, durch die "Fiktion der Asylantragstellung für ledige Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr" zu verhindern, "dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen". Diese Folgen einer sukzessiven Asylantragstellung treten unabhängig davon auf, ob das Kind vor oder nach dem 1. Januar 2005 eingereist ist oder geboren wurde. Dem entsprechend enthält die Gesetzesbegründung keine Differenzierung nach dem Datum der Einreise bzw. der Geburt. Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck würde also zum Teil verfehlt, wenn § 14 a Abs. 2 AsylVfG nur für Kinder gelten würde, die erst nach dem In-Kraft-Treten der Vorschrift einreisen oder in Deutschland geboren werden. Wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat, stützt ein weiterer Gesichtspunkt diese Auslegung: § 26 Abs. 2 AsylVfG setzt in der durch das Zuwanderungsgesetz geänderten Fassung - anders als § 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG 1997 - keine "unverzügliche" Antragstellung des Kindes eines Asylberechtigten mehr voraus, weil - wie es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/420, S. 109) heißt - die Antragstellung nunmehr durch die Fiktionswirkung des § 14 a AsylVfG sichergestellt sei.

3. Dieses Ergebnis der Auslegung wird durch die Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts bekräftigt. Sie greifen hier ein, weil die Frage, ob für die Klägerinnen ein Asylantrag gemäß § 14 a Abs. 2 AsylVfG fingiert wird, dem Verfahrensrecht zugehört. Diese Grundsätze, die auch in § 96 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz zum Ausdruck kommen, lassen sich dahin gehend zusammenfassen, dass bei Fehlen einer Übergangsregelung neues Verfahrensrecht grundsätzlich mit Sofortwirkung gilt, und zwar auch hinsichtlich bereits anhängiger, aber noch nicht abgeschlossener Verfahren. Daraus folgt erst recht die Anwendbarkeit des neuen Verfahrensrechts auf im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens noch nicht eingeleitete Verfahren. So liegen die Dinge hier. Denn vor dem 1. Januar 2005 war ein Asylverfahren der Klägerinnen (noch) nicht anhängig, weil sie keinen Asylantrag gestellt hatten. Dass sie seinerzeit bereits (in Deutschland) geboren waren, löste nach dem bis zum In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes geltenden Recht keine Antragsfiktion aus.

4. Schließlich stehen der Anwendung des § 14 a Abs. 2 AsylVfG auf die Klägerinnen auch nicht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe der Rückwirkung bzw. der tatbestandlichen Rückanknüpfung von Gesetzen entgegen.