VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Urteil vom 13.03.2006 - 6 K 990/05.MZ - asyl.net: M8418
https://www.asyl.net/rsdb/M8418
Leitsatz:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG findet auch auf Kinder von Asylbewerbern Anwendung, die vor In-Kraft-Treten der Vorschrift am 01. Januar 2005 in das Bundesgebiet eingereist sind oder hier geboren wurden.

 

Schlagwörter: Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Vertrauensschutz, Rückwirkung, Altfälle
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2
Auszüge:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG findet auch auf Kinder von Asylbewerbern Anwendung, die vor In-Kraft-Treten der Vorschrift am 01. Januar 2005 in das Bundesgebiet eingereist sind oder hier geboren wurden.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Beklagte ist im Falle des Klägers zu Recht davon ausgegangen, dass die Fiktion eines Asylantrages nach § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG greift.

Die Regelung des § 14 a Abs. 2 AsylVfG findet auch auf Kinder von Asylbewerbern Anwendung, die vor In-Kraft-Treten der gesetzlichen Regelung am 01. Januar 2005 geboren wurden. Der von einer Reihe von Verwaltungsgerichten vertretenen Auffassung, dass § 14 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auf Kinder, die vor dem 01. Januar 2005 in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurden, keine Anwendung findet, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 14 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG und den Umstand, dass die Gesetzesformulierung durchgehend im Präsens gehalten ist. Die in § 14 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG vorgesehene Anzeigepflicht knüpfe an den Umstand der Geburt oder Einreise in das Bundesgebiet an. Die genannten Ereignisse könnten im Hinblick auf eine fehlende Übergangsregelung nur insoweit Bedeutung erlangen, als sie nach dem 01. Januar 2005 eingetreten seien (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 08. Juli 2005 - 6 A 151/05 -; VG Göttingen, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 A 506/05 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 01. August 2005 - 4 B 31/05 -; VG Hannover, Beschluss vom 16. September 2005 - 6 B 5284/05 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. November 2005 - 1a K 2319/05.A -; VG Sigmaringen, Urteil vom 17. November 2005 - 2 K 10331/05 -; VG Saarlouis, Beschluss vom 11. November 2005 - 10 F30/05.A -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Mai 2005 - 7 L 10026/05 -).

Der genannten Auffassung ist jedoch entgegen zu halten, dass sie bereits im Hinblick auf den Wortlaut des Gesetzes nicht zwingend ist. Die Präsensformulierung hinsichtlich der die Rechtsfolge auslösenden Ereignisse der Einreise oder der Geburt eines unter 16 Jahre alten Kindes bezieht sich auf die zeitliche Abfolge zu der vorangegangenen Asylantragstellung des jeweiligen Elternteils. Insoweit kann aber der Gesetzeswortlaut nicht nur so verstanden werden, dass hiermit eine Einreise oder eine Geburt nach In-Kraft-Treten der gesetzlichen Regelung am 01. Januar 2005 gemeint ist. Vielmehr lässt sich lediglich eine zeitliche Abfolge dahin erkennen, dass das entsprechende Ereignis eine vorherige Antragstellung eines Elternteiles voraussetzt. Auch im Hinblick auf den Normbefehl, dieses Ereignis dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuzeigen, ergeben sich keine Bedenken dagegen, auch zurückliegende Tatbestände unter die Vorschrift zu fassen, da eine unverzügliche Befolgung der entsprechenden Regelung voraussetzt, dass diese in Kraft gesetzt ist. Auch eine sich unverzüglich an das In-Kraft-Treten des Gesetzes anschließende Anzeige einer bereits erfolgten Einreise oder Geburt des unter 16 Jahre alten Kindes ist als rechtzeitig zu werten. Für eine Einbeziehung der Fälle einer vor dem 01. Januar 2005 liegenden Geburt oder Einreise spricht auch der mit der Vorschrift verbundene gesetzgeberische Zweck. Ziel der Regelung ist es zu verhindern, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen. In der Vergangenheit regelmäßig notwendige Altfall- oder Härtefallregelungen entfielen hierdurch weitgehend (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung - BTDrS 15/420, S. 108). Der hierdurch umschriebene Zweck kann aber nur dadurch erreicht werden, dass auch die vor dem 01. Januar 2005 geborenen unter 16 Jahre alten Kinder von Asylbewerbern in den Geltungsbereich der Vorschrift einbezogen werden (ebenso VG Gießen, Beschluss vom 17. August 2005 - 8 G 1802/05.A; VG Stuttgart, Urteil vom 15. September 2005 - A 8 K 12592/05 -; VG Hamburg, Beschluss vom 11. August 2005 - 17 AE 565/05 -; VG Neustadt/W., Urteil vom 16. November 2005 - 8 K 1659/05.NW). Für eine umfassende Anwendung des § 14 a Abs. 2 AsylVfG spricht auch die Tatsache, dass mit der Einfügung des § 14 a AsylVfG in das Gesetz eine Änderung des § 26 Abs. 2 AsylVfG einherging. Die bisherige Regelung sah unter Bezug auf § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG a. F. vor, dass eine Anerkennung des Kindes eines Asylberechtigten voraussetzte, dass dieses unverzüglich nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hatte. Dieses Erfordernis ist mit der Neuregelung entfallen, wobei hierzu in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/420, S. 109) ausgeführt wird, dass hierdurch keine inhaltliche Änderung entstehe, da insoweit die Fiktionswirkung des § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG greife. Aus dem Zusammenspiel beider Vorschriften kann hiernach geschlossen werden, dass § 14 a Abs. 2 AsylVfG hinsichtlich der Einreise von Kindern Asylberechtigter in vollem Umfang an die Stelle der bisherigen Regelung des § 26 Abs. 2 AsylVfG a.F. treten sollte.

Der genannten Auslegung stehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Insbesondere können sich vor dem 01. Januar 2005 geborene Kinder von Asylbewerbern nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Selbst wenn man § 14 a Abs. 2 AsylVfG eine über eine bloße Verfahrensregelung hinausgehende Bedeutung beimisst, ist im Hinblick auf ein möglicherweise schutzwürdiges Vertrauen zu berücksichtigen, dass die Regelung keine Rückwirkung in dem Sinne entfaltet, dass Rechtsfolgen in einem Zeitpunkt eintreten sollen, der vor Verkündung der Norm liegt.