OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 25.01.2006 - 3 BS 274/05 - asyl.net: M8426
https://www.asyl.net/rsdb/M8426
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schwangerschaft, deutsche Kinder, Schutz von Ehe und Familie, Risikoschwangerschaft, Vaterschaftsanerkennung
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

Neben einem Anordnungsgrund, dessen Vorliegen im Hinblick auf die geplante Abschiebung zwischen den Beteiligten unstreitig ist, steht dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG auch ein Anordnungsanspruch zur Seite.

Nach Auffassung des Senats kann die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellen, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet (a.A.: OVG Saarland, Beschl. v. 25.3.1993 - 3 W 9/93 - abgedruckt in JURIS).

Hinsichtlich des Schutzes der Ehe sind Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG für den Fall des unmittelbaren Bevorstehens der Eheschließung allgemein anerkannt (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 8.2.2005 - 3 BS 426/04; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.11.2001, InfAuslR 2002, 228 m.w.N.). Entsprechende Vorwirkungen sind im Falle der bevorstehenden Familiengründung - hier in Form des Zusammenlebens der nicht verheirateten Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind - regelmäßig dann anzunehmen, wenn der nichteheliche Vater durch die vorgeburtliche Anerkennung der Vaterschaft und des gemeinsamen Sorgerechts zu erkennen gegeben hat, dass er die elterliche Verantwortung übernehmen wird, und zudem der Entbindungszeitpunkt so nahe bevorsteht, dass bis zur Geburt ein Familiennachzug unter Einhaltung der Einreisevorschriften nach behördlicher Erfahrung oder - in Ermangelung einer solchen - nach dem Ergebnis behördlicher Ermittlung bei der zuständigen Auslandsvertretung und ggf. der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr in Betracht kommt. Dabei knüpft der vorwirkende Schutz durch Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG deshalb an die Geburt als Grenze des für einen geordneten Familiennachzug ausreichenden Zeitraums an, weil der spezifische Betreuungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung durch die Mutter entbehrlich wird, der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (vgl. zuletzt: BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005 - 2 BvR 100 1/04).

In besonders gelagerten Ausnahmefällen können die Schutzverpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen auslösen. Eine Ausnahme wird vor allem dann in Betracht kommen, wenn eine Risikoschwangerschaft und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird (im Ergebnis ebenso: VG Berlin, Beschl. v. 4.8.1999, NVwZ-Beilage I 1/2000, S. 11). Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft. Die demgemäß aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitbaren Vorwirkungen führen zwar nicht generell zu einem Aufenthaltsrecht des werdenden Vaters, wohl aber zu der Verpflichtung der Ausländerbehörde, bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen die vorfamiliäre Bindung und den Schutz der Leibesfrucht angemessen, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Belange in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Ist der schwangeren deutschen Staatsangehörigen das Verlassen der Bundesrepublik nicht zuzumuten, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie und die Leibesfrucht zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück, (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, aaO; BVerfG, Beschl. v. 1.10.1992, InfAuslR 1993, 10 - jeweils m.w.N. zu Art. 6 GG; std. Rspr.).