OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 31.05.2006 - 1 Bs 5/06 - asyl.net: M8455
https://www.asyl.net/rsdb/M8455
Leitsatz:

Ein Ausweisungsgrund ist nach § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu beachten.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Schutz von Ehe und Familie, Ausreisehindernis, Ausweisungsgrund, Verbrauch, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Sperrwirkung, Wirkungen der Ausweisung, Familienzusammenführung, subsidiärer Schutz, Afghanistan, Kinder, Bundesamtsbescheid, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Anerkennungsbescheid, Ermessen
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 11 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 29 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

Ein Ausweisungsgrund ist nach § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu beachten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Zwar hat die Antragsgegnerin ausreichend nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO dargelegt, dass ein Teil der tragenden Gründen des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses keinen Bestand hat (dazu unter 1.). Jedoch ergibt die deshalb nicht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist dargelegten Gründe begrenzte Prüfung, dass das Verwaltungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung zu Recht erlassen hat (dazu zu unter 2.).

1. Die Antragsgegnerin bringt richtig vor, dass der von dem Antragsteller mit seiner Straftat verwirklichte Ausweisungsgrund entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG nicht verbraucht ist, die auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG gelten. Der Ausweisungsgrund, der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht, ist nicht deshalb verbraucht, weil § 25 Abs. 5 AufenthG es auch ermöglicht, ausgewiesenen Ausländern wie dem Antragsteller entgegen der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zum einen gilt die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG auch für Ausländer, für die kein Ausweisungsgrund besteht, die aber zurück- oder abgeschoben wurden. Deshalb läuft die Möglichkeit, nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG von der Sperrwirkung abzusehen, nicht leer, wenn die Ausländerbehörde gleichwohl nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auf einen Ausweisungsgrund zurückgreifen darf. Zum anderen stellt die differenzierte Regelung des § 5 Abs. 3 AufenthG es in das pflichtgemäß auszuübende Ermessen der Antragsgegnerin, ob sie insbesondere bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG absieht (vgl. dazu BVerwG, Beschl. vom 7.12.2004 - 1 B 139/04 - juris -).

2. Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht angenommen, dass dem Antragsteller im Wege des § 123 VwGO vorläufiger Rechtsschutz gegen seine drohende Abschiebung zu gewähren ist, weil seine gegen die Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage voraussichtlich Erfolg haben und er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten wird.

a. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann die Antragsgegnerin dem unanfechtbar ausgewiesenen Antragsteller abweichend von der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn seine Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Das Verwaltungsgericht hat bereits im einzelnen ausgeführt, dass es mit dem Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinen ist, den Antragsteller zu zwingen, sich für längere Zeit von seiner hier lebenden Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zu trennen, dessen Geburt in diesen Wochen zu erwarten ist, und mit seiner Rückkehr nach Afghanistan seine berufliche Stellung aufzugeben, die die Grundlage für die wirtschaftliche Sicherung seiner Familie bildet. Darauf wird verwiesen.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht die gesetzliche Wertung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dieser Würdigung nicht entgegen. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf die Aufenthaltserlaubnis einem Ehegatten eines Ausländers, der - wie die Ehefrau des Antragstellers - eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, nur aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen erteilt werden. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung, den Ehegattennachzug in den Fällen zu begrenzen, in dem der hier lebende Ausländer lediglich eine aus humanitären Gründen nach u.a. § 25 Abs. 3 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzt, ist auch in die Würdigung einzubeziehen, ob Art. 6 Abs. 1 GG ein Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG bildet. Die damit zusammenhängenden Fragen bedürfen hier indessen keiner Vertiefung. Denn im Falle des Antragstellers bestehen allem Anschein nach humanitäre Gründe, die es auch nach der Wertung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, ihm aus Gründen des Schutzes der Familie eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, obgleich seine Ehefrau nur eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt:

Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420) liegen dringende humanitäre Gründe im Sinne dieser Vorschrift "insbesondere vor, wenn die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann". Insoweit kann dahinstehen, ob es so bereits deshalb liegt, weil das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Urteil des Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 14. März 2003 zu der Feststellung verpflichtet wurde, dass die Ehefrau nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht nach Afghanistan abgeschoben werden darf und das Bundesamt diese Feststellung getroffen hat. Es bedarf keiner Entscheidung, ob aus der Feststellung eines solchen zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gleichsam automatisch folgt, dass der Ehefrau nicht zugemutet werden kann, ihrem Ehemann nach Afghanistan zu folgen (vgl. in diese Richtung Marx, GK-AufenthG, II § 29 Rdnr. 87), oder ob es darauf ankommt, dass erst eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles ergibt, ob die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann. Für letztere Betrachtungsweise könnte sprechen, dass anderenfalls die von dem Gesetzgeber gewollte Einschränkung des Familiennachzugs zu Ausländern mit einem Status nach § 25 Abs. 3 AufenthG weitgehend leer zu laufen drohte. Jedenfalls dürfte es im vorliegenden Falle der Ehefrau des Antragstellers nicht zuzumuten sein, ihrem Ehemann mit ihrem gemeinsamen Kind nach Afghanistan zu folgen, dessen Geburt kurz bevorsteht. Ihr ist es nicht zuzumuten, auf ihren Status nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu verzichten, um ihrem Ehemann nach Afghanistan zu folgen.

b. Auch ist nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit einem Wegfall des der Ausreise des Antragstellers entgegenstehenden Hindernisses zu rechnen, weil etwa seine Ehefrau voraussichtlich verpflichtet werden wird, ihm nach Afghanistan zu folgen. So liegt es hier nicht. Das Bundesamt für Migration hat soweit ersichtlich seinen zu Gunsten der Ehefrau des Antragstellers ergangenen Feststellungsbescheid nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht deshalb widerrufen, weil sie nunmehr den Antragsteller geheiratet und deshalb bei einer Rückkehr nicht mehr ohne männlichen Schutz ist. Es ist auch nicht absehbar, ob es deshalb ein Widerrufsverfahren einleiten wird oder es davon insbesondere angesichts der guten Integration der Antragstellerin und der bevorstehenden Geburt des gemeinsamen Kindes und des Fehlen eines Familienverbandes in Afghanistan absehen wird. Leitet das Bundesamt für Migration kein Widerrufsverfahren ein, so wird die Antragsgegnerin bei der Entscheidung über die Verlängerung der der Ehefrau nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilten und bis zum 15. Dezember 2006 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. vom 22.11.2005, DVBl. 2006, 517) an die unanfechtbare Feststellung eines Abschiebungshindernisses gebunden sein und die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig zu verlängern haben.

d. Ebenso ist zu erwarten, dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 5 Abs. 3 AufenthG eröffnete Ermessen, das sie in ihrem Ablehnungs- und Widerspruchbescheid nicht ausgeübt hat, zu Gunsten des Antragstellers ausüben wird. Sie wird sich im vorliegenden Fall schwerlich darauf berufen, dass der Antragsteller einen Ausweisungsgrund verwirklicht hat. Die von ihm begangene Straftat wiegt nicht so schwer, dass es deshalb gerechtfertigt erscheint, den seit 10 Jahren hier lebenden und wirtschaftlich integrierten Antragsteller trotz seiner Heirat und der bevorstehenden Geburt des gemeinsamen Kindes zur Ausreise zu zwingen; zumal viel dafür spricht, dass mit seiner Ausreise die wirtschaftliche Grundlage der Familie derart beeinträchtigt werden wird, dass seine erneute Einreise u.U. an den dann fehlenden finanziellen Mitteln scheitern könnte.