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OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 18.05.2006 - 1 Bs 115/06 - asyl.net: M8456
https://www.asyl.net/rsdb/M8456
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Afghanen, Aufenthaltserlaubnis, Bleiberechtsregelung 2005, Erlasslage, Familienangehörige, Stichtag, Schulbesuch, Integration, Zukunftsprognose, Ausweisungsgründe, Straftat, Lebensunterhalt, Alleinerziehende, volljährige Kinder, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ermessen
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1; Weisung Nr. 7/2005 I.4; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

Bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. der Weisung Nr. 7/2005 (Altfallregelung für Afghanen) müssen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen.

 

Die begehrte einstweilige Anordnung ist nach § 123 VwGO zu erlassen. In diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit der Weisung Nr. 7/2005 beanspruchen kann und im Falle seiner bevorstehenden Abschiebung nach Afghanistan eine endgültige Vereitelung seiner Rechte droht (2).

1. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe zu dem nach der Weisung Nr. 7/2005 maßgeblichen Stichtag am 24. Juni 2005 keine Schule besucht. Diese Begründung hat keinen Bestand. Die nach § 23 Abs. 1 AufenthG ergangene Altfallregelung Nr. 7/2005 dürfte für die nach I 4 der Weisung in die Bleiberechtsregelung einbezogenen Familienangehörigen keinen Stichtag für die Frage vorsehen, ob die bei der Einreise minderjährig gewesenen Kinder die Schule besuchen und gewährleistet erscheint, dass sie sich dauerhaft integrieren.

2. Nach dem in diesem Verfahren erreichbaren Kenntnisstand spricht mehr dafür, dass der Antragsteller nach § 23 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen kann als dagegen.

b. In diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist auch nicht anzunehmen, dass der Antragsteller deshalb keine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen kann, weil er im Alter von 15 Jahren zusammen mit einem anderen Jugendlichen strafrechtlich dadurch in Erscheinung getreten ist, weil er zwei Jugendlichen unter Gewaltanwendung und Drohungen 10 Euro abzunehmen versucht hat und sich von einem der Opfer sein Handy hat aushändigen lassen.

Allerdings dürfen nach I.6.2 der Weisung Nr. 7/2005 bei dem Antragsteller u.a. keine Ausweisungsgründe nach § 55 Abs. 2 Nr.2 AufenthG vorliegen und spricht angesichts der Schwere des von dem Antragsteller begangenen Delikts manches dafür, hierin einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften zu sehen. Auf der anderen Seite heißt es in I.6.2. der Weisung weiter: "Eine Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat - bei mehreren Straftaten in der Summe - eine Verurteilung von mehr als 50 Tagessätzen Geldstrafe erfolgt ist." Diese Schwere weist die von dem Antragsteller im Alter von erst 15 Jahren vor mehr als drei Jahren begangene Straftat nicht auf. Sein Verfahren hat das Gericht im Juni 2003 gemäß § 47 JGG eingestellt. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass der Erlassgeber der Weisung Nr. 7/2005 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einerseits erst deshalb ausschließen will, weil ein Flüchtling eine Straftat begangen hat, die zu einer Geldstrafe von mindestens 50 Tagessätzen geführt hat, nach seinem Willen aber gleichwohl schon ein weniger schwer wiegender Verstoß gegen Strafgesetze, der aber regelmäßig nicht nur geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist, zum Ausschluss aus der Bleiberechtsregelung führen soll.

c. Ein im Verfahren nach § 123 VwGO zu sichernder Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird schwerlich daran scheitern, dass er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht und auch seine Mutter und seine Geschwister, die nach § 23 AufenthG Aufenthaltserlaubnisse erhalten haben, keine ausreichenden eigenen Einkünfte haben, um ihn zu unterhalten. Denn die Weisung Nr. 7/2003 erlaubt für Alleinerziehende mit Kindern Ausnahmen von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts zuzulassen. Von dieser Möglichkeit hat die Antragsgegnerin für die Mutter des Antragstellers und anscheinend 5 seiner Geschwister Gebrauch gemacht. Ihrer Praxis entspricht es, in derartigen Fällen auch bei volljährigen Kindern von dem Erfordernis der Sicherung ihres Lebensunterhaltes abzusehen, wenn ihr Kontakt zu ihren Eltern dem einer familiären Lebensgemeinschaft entspricht. Viel spricht dafür, die Bleiberechtsregelung im Sinne dieser Praxis zu verstehen sowie dafür, dass es so im Falle des Antragstellers liegt.

d. Schließlich wird ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch schwerlich daran scheitern, dass er die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. § 5 Abs. 3 AufenthG trifft für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach dem Abschnitt 5 des 2. Kapitels eine Sonderregelung, weil die Aufenthaltsgewährung aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gesichtspunkten typischerweise nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen des § 5 AufenthG abhängig gemacht werden kann (vgl. BT-Drs. 15/420 (70) zu Absatz 3). Gemäß § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG kann u.a. in den Fällen des § 23 AufenthG von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abgesehen werden. Von dieser Ermächtigung hat die oberste Landesbehörde Gebrauch gemacht, indem sie - wie in § 23 AufenthG vorgesehen - aus humanitären Gründen und möglicherweise auch zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Bleiberechtsregelung der Weisung Nr.7/2005 angeordnet hat. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob das der Verwaltung in § 5 Abs. 3 zweiter Halbsatz AufenthG eröffnete Ermessen zu Gunsten des Antragstellers gebunden ist. Die oberste Landesbehörde hat ihr Ermessen mit ihrer Bleiberechtsregelung vielmehr ausgeübt. Ein Einzelfallermessen dürfte der Antragsgegnerin deshalb nur in dem Rahmen zustehen, wie ihn die Weisung Nr. 7/2005 eröffnet.