VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - asyl.net: M8465
https://www.asyl.net/rsdb/M8465
Leitsatz:

Durch einen langjährigen Aufenthalt in Deutschland kann ein Ausreisehindernis nach Art. 8 EMRK wegen Schutzes des Privatlebens entstehen, wenn sich der Ausländer gut integriert hat und seinem Heimatland so entfremdet ist, dass eine Reintegration nicht möglich ist; keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise allein wegen langjährigen Aufenthalts; § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG enthält keine eigenständige Anspruchsgrundlage.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, Ausreisehindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, abgelehnte Asylbewerber, Bundesamt, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, vorübergehender Aufenthalt, freiwillige Ausreise, Kosovo, Serbien, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Aufenthaltsdauer, Zumutbarkeit, Aufenthaltsdauer, Integration, Privatleben, Schutz von Ehe und Familie, Duldung, Aufenthaltsgestattung, Lebensunterhalt, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Albaner, Verfahrensrecht, Beweisantrag, Präklusion, verspätetes Vorbringen, Ermessen, Ausforschungsbeweisantrag, Verhältnismäßigkeit, Aufenthaltsbefugnis, Bleiberechtsregelung 2001
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 8; VwGO § 87b Abs. 3; VwGO § 87b Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

Durch einen langjährigen Aufenthalt in Deutschland kann ein Ausreisehindernis nach Art. 8 EMRK wegen Schutzes des Privatlebens entstehen, wenn sich der Ausländer gut integriert hat und seinem Heimatland so entfremdet ist, dass eine Reintegration nicht möglich ist; keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise allein wegen langjährigen Aufenthalts; § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG enthält keine eigenständige Anspruchsgrundlage.

(Leitsatz der Redaktion)

 

2. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt nicht in Betracht. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Solche zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse sind im vorliegenden Verfahren aber nicht zu prüfen, weil das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in den gerichtlich bestätigten Bescheiden vom 02.09.1993, 31.01.1995 und 23.03.2000 festgestellt hat, dass im Falle der Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Beklagte ist an diese Feststellung gebunden (vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG a. F. und n. F.).

3. Die Kläger können auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Hierbei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer (wie die Kläger) keine Anwendung findet, weil diese Personengruppe abschließend von dem spezielleren § 25 Abs. 5 AufenthG erfasst wird (so die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum Aufenthaltsgesetz vom 22.12.2004, Ziffer 25.4.1.1.; Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2005, § 25 Rdnr. 15; für die Anwendung des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2006, § 25 Rdnr. 59 f.; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 25 Rdnr. 29; Benassi, ZAR 2005, 358; Fleuß, BDVR-Rundschreiben 01 und 02/2005, S. 16, 29 f.; Heinhold, Asylmagazin 11/2004, S. 7, 12). Es fehlt jedenfalls an der in § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG genannten Tatbestandsvoraussetzung, dass nur ein vorübergehender, also ein zeitlich begrenzter Aufenthalt angestrebt wird. Das Begehren der Kläger ist auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet gerichtet.

4. Schließlich liegen hier auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht vor.

b) Die Ausreise der Kläger ist aber weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG knüpft nicht (wie bisher § 30 Abs. 3 AuslG) kumulativ an das Vorliegen von Abschiebungs- und Ausreisehindernissen, sondern nur noch an die Unmöglichkeit der Ausreise an. Wie sich aus der amtlichen Begründung zu § 25 AufenthG (BT-Drs. 15/420 S. 80) ergibt, umfasst der Begriff der Ausreise in § 25 AufenthG sowohl die freiwillige Ausreise als auch die zwangsweise Rückführung. Ein rechtliches oder tatsächliches Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG liegt somit erst dann vor, wenn dem Ausländer - über die Unmöglichkeit seiner Abschiebung hinaus - auch die freiwillige Ausreise nicht möglich ist.

aa) Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern die Ausreise bereits aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, bestehen nicht.

bb) Auch aus rechtlichen Gründen ist die Ausreise der Kläger nicht unmöglich.

(1) Da die Fälle, in denen (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, bereits von § 25 Abs. 3 AufenthG erfasst werden, sind rechtliche Gründe im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur die inlandsbezogenen Gründe (vgl. amtliche Begründung zu § 25 AufenthG, BT-Drs. 15/420 S. 80; Hailbronner, a. a. O., § 25 Rdnr. 89; Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl., § 2 Rdnr. 204; ders., ZAR 2004, 406; Welte, in: Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Stand: März 2006, § 25 AufenthG, Rdnr. 24).

In Fällen, in denen - wie hier - das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestandskräftig festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG nicht vorliegen, ist es wegen der sich aus § 42 Satz 1 AsylVfG für die Ausländerbehörde ergebenden Bindungswirkung ausgeschlossen, ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen eines Sachverhalts anzunehmen, der in den Anwendungsbereich des § 53 AuslG fällt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.04.2004, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.03.2005 - 18 E 195/05 - zit. n. juris; Nds. OVG, Beschluss vom 24.10.2005 - 8 LA 123/05 - ZAR 2006, 31; Bay. VGH, Beschluss vom 08.11.2005 - 24 CS 05.2630 - zit. n. juris; Hess. VGH, Beschluss vom 19.10.2005 - 7 UZ 2468/05 -).

(2) Es liegt auch kein - von der Ausländerbehörde in eigener Entscheidungskompetenz zu prüfendes - inlandsbezogenes rechtliches Ausreisehindernis vor. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung kann sich aus gesetzlichen Abschiebungsverboten, aber auch aus verfassungsrechtlichen oder völkerrechtlichen Gründen ergeben. Sie kann aber - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht allein deswegen angenommen werden, weil den Klägern die Ausreise aufgrund der Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse subjektiv nicht zumutbar wäre.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wird für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur die Unmöglichkeit und nicht die Unzumutbarkeit der Ausreise vorausgesetzt. Anders als § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der ausdrücklich an die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Ausreise anknüpft, enthält § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG einen entsprechenden Zusatz gerade nicht. Zwar ergibt sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 15/420 S. 79 f.) die Absicht des Gesetzgebers, die Duldung abzuschaffen und somit auch der Praxis von sog. Kettenduldungen entgegenzutreten (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27.06.2006, a. a. O.). Unter Berufung auf diesen Teil der Gesetzesbegründung wird daher teilweise die Auffassung vertreten, dass sich im Einzelfall auch aus der Unzumutbarkeit einer Ausreise (bei bestehenden familiären oder sonstigen schützenswerten persönlichen Beziehungen zum Bundesgebiet) eine Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergeben kann (Benassi, InfAuslR 2005, 357, 360; Heinhold, Asylmagazin 11/2004, S. 7, 13; Marx, ZAR 2004, 403, 406; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275, 277 f.; wohl auch Hailbronner, a. a. O., § 25 Rdnr. 104; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - VBlBW 2006, 200). Indes ist die gesetzgeberische Absicht, die Duldung abzuschaffen, nicht umgesetzt worden. Vielmehr ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens das Instrument der Duldung wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden (§ 60a AufenthG). Dafür, dass nach der Intention des Gesetzgebers humanitäre Gründe nicht zur Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG führen sollen, spricht auch, dass jene in § 25 Abs. 4 AufenthG ausdrücklich aufgeführt werden, wohingegen § 25 Abs. 5 AufenthG - wie bisher § 30 Abs. 3 und 4 AuslG - nicht auf diese abstellt, sondern die rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit (nicht Unzumutbarkeit) der Ausreise fordert. Ferner spricht der Umstand, dass die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich auf "den bereits in § 30 Abs. 3 und 4 AuslG enthaltenen Ansatz" verweist (BT-Drs. 15/420 S. 80) und nur in diesem Zusammenhang die Prüfung der "subjektiven Möglichkeit - und damit implizit auch die Zumutbarkeit" - verlangt, gegen die Einführung eines eigenständigen Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit. Nach Auffassung des Senats kommt hierin zum Ausdruck, dass der zu § 30 Abs. 3 und 4 AuslG ergangenen Rechtsprechung Rechnung getragen werden sollte.

Indem § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht nur (wie früher § 55 Abs. 4 AuslG) darauf abstellt, ob die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist, sondern zusätzlich darauf, ob die Ausreise möglich ist, sollte daher nicht die "Zumutbarkeit" als zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das Raum für die Prüfung von der Ausreise entgegenstehenden humanitären Gründe ließe, statuiert werden. Jedenfalls lässt sich eine eindeutige gesetzgeberische Intention dahingehend, dass in den zahlreichen Fällen, in denen Ausländer langjährig geduldet wurden, nunmehr ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, nicht erkennen (vgl. in diesem Sinne auch Nds. OVG, Urteil vom 29.11.2005, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2006 - 18 E 1534/05 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.06.2005 - 18 B 677/05 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.01.2006 - 2 O 153/05 -; Ziffer 1, 5. Spiegelstrich, des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 07.02.2005 [- II 4 23 d -]; Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, a. a. O., § 25 Rdnr. 19). Angesichts der weittragenden praktischen Folgen einer solchen Regelung hätte es hierfür einer (auch vom Wortlaut her) eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft, zumal eine solche Bestimmung einer faktischen Gruppenregelung (für die langjährig im Bundesgebiet geduldeten Ausländer) gleich käme, die aufgrund der Spezialregelung des § 23 AufenthG zu treffen ist. Es würde die im gewaltengeteilten Staat (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) der Rechtsprechung zugewiesenen Kompetenzen zur Auslegung von Rechtsvorschriften überschreiten, wenn ohne eindeutige legislatorische Entscheidung oder politische Entscheidung der obersten Landesbehörde (vgl. § 23 AufenthG) größeren Personengruppen, die durch allgemeine Merkmale bestimmt sind, der Aufenthalt ermöglicht würde.

(3) Ein (inlandsbezogenes) rechtliches Ausreisehindernis ergibt sich im Hinblick auf den langen Aufenthalt und die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland auch nicht aus § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK oder aus Art. 8 EMRK in unmittelbarer Anwendung.

Aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgt grundsätzlich kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden (EGMR, Urteil vom 16.06.2005 - 60654/00 [Sisojeva/Lettland] - InfAuslR 2005, 349; EGMR, Entscheidung vom 16.09.2004 - 11103/03 [Ghiban/Deutschland] - NVwZ 2005, 1046; EGMR, Entscheidung vom 07.10.2004 - 33743/03 [Dragan u. a./Deutschland] - NVwZ 2005, 1043; EGMR, Urteil vom 19.02.1996 - Nr. 53/1995/559/645 [Gül/Schweiz] - InfAuslR 1996, 245). Allerdings können von den Vertragsstaaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts unter gewissen Umständen einen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben der davon Betroffenen bewirken, und zwar vor allem dann, wenn sie im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügen (EGMR, Urteil vom 16.06.2005, a. a. O.). Diese Vorschrift darf aber nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich schon eine bestimmte Zeit auf dem Gebiet des Vertragsstaates aufhält (EGMR, Urteil vom 16.09.2004, a. a. O.; EGMR, Entscheidung vom 07.10.2004, a. a. O.). Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben durch Versagung des Aufenthalts setzt zudem voraus, dass das Privat- oder Familienleben des Ausländers in dem betreffenden Staat fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Verbindung beschränkt (BVerwG, Urteil vom 27.02.1996 - BVerwG 1 C 41.93 - BVerwGE 100, 287 [297]; BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - BVerwG 1 C 18.96 - NVwZ 1998, 189). Diese Voraussetzung ist in Fällen der Erteilung einer bloßen Duldung nicht erfüllt. Auch in der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis nur dann einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellt, wenn ein Missverhältnis zwischen den angewandten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht, wobei in den vom EGMR entschiedenen Fällen ein solches schützenswertes Privatleben durch starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte zum Aufnahmestaat nur dann angenommen wurde, wenn sich der Ausländer rechtmäßig im Vertragsstaat aufgehalten hat (EGMR, Urteil vom 28.05.1985 - Nr. 15/1983/71/107-109 [Abdulaziz/Vereinigtes Königreich] - InfAuslR 1985, 298; EGMR, Urteil vom 21.06.1988 - 3/1987/126/177 [Berrehab] - InfAuslR 1993, 84 [86]; EGMR, Entscheidung vom 16.09.2004 - 11103/03 [Ghiban/Deutschland] - a. a. O.; EGMR, Entscheidung vom 07.10.2004 - 33743/03 [Dragan u. a./Deutschland] - a. a. O., S. 1045). Eine schutzwürdige Eingliederung in die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Lebensverhältnisse kann somit während des Aufenthalts eines Ausländers, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erfolgen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.09.2003 - 11 S 1795/03 - InfAuslR 2004, 70; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.11.2005 - 1 S 3023/04 - InfAuslR 2006, 70 [71]; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2006, a. a. O.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.02.1999 - 4 L 195/98 - NordÖR 2000, 124; Hess. VGH, Beschluss vom 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217). Denn für einen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Bundesgebiet ist nach dem geltenden deutschen Ausländerrecht der Besitz eines Aufenthaltstitels erforderlich (§ 4 Abs. 1 AufenthG); eine Duldung hingegen, in deren Besitz sich die Kläger seit Jahren befinden, gewährt keinen legalen, ordnungsgemäßen Aufenthalt, sondern schützt einen Ausländer, der sich illegal hier aufhält, lediglich vorübergehend vor einer sonst rechtlich zwingend gebotenen Abschiebung, lässt aber die Ausreisepflicht unberührt (vgl. § 60a Abs. 3 AufenthG). Die Entscheidung des EGMR vom 16.06.2005 (- 60654/00 [Sisojeva/Lettland] - InfAuslR 2005, 349), in der ein schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt aufgrund intensiver persönlicher und familiärer Bindungen bejaht wurde, steht dem Erfordernis eines erlaubten Aufenthalts nicht entgegen. Denn dieser Fall ist - wie der VGH Baden-Württemberg (vgl. Beschluss vom 02.11.2005, a. a. O.) zutreffend angenommen hat - durch die Atypik geprägt, dass die Beschwerdeführer zum einen lange Zeit ordnungsgemäß im Vertragsstaat gewohnt hatten und ihr aufenthaltsrechtlicher Status erst im Anschluss an politische Umwälzungen - die Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Lettlands - aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Frage gestellt worden ist, und ihnen zum anderen jedenfalls die rechtliche Möglichkeit eröffnet war, einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15.02.2006, a. a. O.).

Ein vergleichbarer atypischer Fall liegt bei den Klägern trotz der ihnen während ihrer Asylverfahren erteilten Aufenthaltsgestattungen nicht vor. Denn jedenfalls seit der bestandskräftigen Ablehnung ihrer Asylanträge sind die Kläger vollziehbar ausreisepflichtig und seither war ihre Abschiebung nur durch Duldungen vorübergehend ausgesetzt.

Geht man dennoch zu Gunsten der Kläger davon aus, dass auch ein rechtlich ungesicherter Aufenthalt Grundlage für die Annahme eines Privatlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK sein kann, ist die daraus folgende Rechtsposition im Rahmen der Schrankenbestimmung des Art. 8 Abs. 2 EMRK gegen das Recht des Vertragsstaates zur Einwanderungskontrolle abzuwägen. Hierbei darf Art. 8 EMRK jedoch nicht so ausgelegt werden, als verbiete diese Vorschrift allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat (EGMR, Urteil vom 16.09.2004, a. a. O.; EGMR, Entscheidung vom 07.10.2004, a. a. O.). Es bedarf vielmehr zusätzlicher Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückkehr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar ist. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt danach etwa bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - BVerwG 1 C 8.96 - InfAuslR 1995, 54 [56]).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zwar halten sich die Kläger mittlerweile seit 13 bzw. 11 Jahren im Bundesgebiet auf. Die Klägerin zu 6. ist im Bundesgebiet geboren worden. Die Kläger verfügen über einen festen Wohnsitz und ausreichenden Wohnraum. Auch der Schulbesuch und die Ausbildungsvorbereitung der Kläger zu 3. bis 6. sowie die deutschen Sprachkenntnisse der Kläger sprechen für ein gewisses Maß an Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse. Zweifel an einer irreversiblen Einführung in deutsche Lebensverhältnisse bestehen aber deshalb, weil der Kläger zu 1. während des überwiegenden Teils seiner Aufenthaltszeit nur teilzeitbeschäftigt war und die Familie daher auf ergänzende Sozialhilfeleistungen angewiesen war und ist. Es ist daher bereits fraglich, ob von einer tiefen Verwurzelung in die hiesigen Lebensverhältnisse auszugehen ist. Jedenfalls ist aber nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Kläger ihrem Heimatland in einer Weise entfremdet sind, dass eine Reintegration nicht möglich erscheint. Diesbezüglich hat die Kenntnis der dortigen Sprache und die Vertrautheit mit den Verhältnissen in diesem Land sowie die Existenz dort noch lebender Verwandter entscheidungserhebliche Relevanz (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.11.2005, a. a. O. und Urteil vom 18.01.2006, a. a. O.). Bei den Klägern zu 1. und 2., die erst im Erwachsenenalter in das Bundesgebiet eingereist sind, ist von der Möglichkeit einer Reintegration ohne weiteres auszugehen, da sie die dortige Sprache sprechen und mit den Verhältnissen in ihrem Heimatland vertraut sind. Auch bei den Klägern zu 3. bis 5., die im Alter von zehn, acht und fünf Jahren in das Bundesgebiet eingereist sind, ist von einer gewissen Vertrautheit mit den Verhältnissen in ihrem Heimatland sowie einer ausreichenden Beherrschung ihrer Muttersprache auszugehen. Die Kläger haben insoweit selbst vorgetragen, dass sie albanische Sprachkenntnisse besitzen. Auch kann es für die Ausländer der zweiten Generation als typisch angesehen werden, dass die Sprache zumindest noch in den Grundzügen beherrscht wird, da - bei einer lebensnahen Betrachtung - die Muttersprache innerhalb der Familie Verwendung findet. Insoweit obliegt es ihnen, substantiierte Gesichtspunkte vorzutragen, aus welchen sich ein abweichender Geschehensablauf ergeben kann (Hess. VGH, Beschluss vom 06.01.2003 - 7 TG 2860/02 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.07.2001 - 13 S 2401/99 - InfAuslR 2002, 2 [3]; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.10.2000 - 11 S 1206/00 - InfAuslR 2001, 119).

Die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG führt im vorliegenden Fall auch nicht deswegen zu einem unzulässigen Eingriff in die grundgesetzlichen Gewährleistungen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Kläger - wie sie behaupten - aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet in die hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt und daher eine Rückkehr in ihr Heimatland unverhältnismäßig wäre. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis gelten entsprechend die im Rahmen des Art. 8 EMRK zu beachtenden Voraussetzungen, die - wie oben (II. 4. b) bb) (3), S. 24 ff.) dargelegt wurde - hier nicht erfüllt sind.

5. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folgt auch nicht aus § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift stellt die Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG keine selbständige Anspruchsgrundlage dar. Sie knüpft an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG an und modifiziert, sofern das zusätzliche Tatbestandsmerkmal "Aussetzung der Abschiebung seit 18 Monaten" erfüllt ist, lediglich die Rechtsfolge (vgl. auch Nds. OVG, Urteile vom 29.11.2005, a. a. O., a. a. O.; Nds. OVG, Beschluss vom 24.10.2005, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 06.04.2005, a. a. O., und vom 18.01.2006, a. a. O.; Hailbronner, a. a. O., § 25 Rdnr. 102 f.; Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/ Zimmermann-Kreher, a. a. O., § 25 Rdnr. 29; Ziffer 1, 7. Spiegelstrich, des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 07.02.2005 [- II 4 23 d -]; Hess. VGH, Beschluss vom 16.11.2005 - 7 UZ 803/05 -; Hess. VGH, Beschluss vom 05.01.2006 - 7 UZ 2794/05 -).