VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 30.05.2006 - 2 K 2695/06.A - asyl.net: M8481
https://www.asyl.net/rsdb/M8481
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Volksmudjaheddin, MEK, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Folgeantrag, exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Internet, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu.

Bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat, kann die Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG regelmäßig nur dann in Frage kommen, wenn dieser Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht, vgl. nunmehr § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Die nach der Ausreise selbstgeschaffenen Tatbestände müssen mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen. Diese Maßstäbe gelten auch für subjektive Nachfluchtgründe, die - wie hier - in einem Asylfolgeverfahren geltend gemacht werden. Zwar ist der Wortlaut der diesen Fall regelnden Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG auf den ersten Blick nicht eindeutig. Diese Bestimmung knüpft aber ersichtlich an die in Abs. 1 getroffene Unterscheidung zwischen regelmäßig unbeachtlichen und ausnahmsweise beachtlichen subjektiven Nachfluchtgründen an und übernimmt die insoweit entwickelten Maßstäbe für die Fälle, in denen über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in einem Folgeverfahren entschieden werden soll. Abschiebungsschutz wegen eines im Folgeverfahren geltend gemachten subjektiven Nachfluchttatbestandes ist also gleichfalls nur dann (ausnahmsweise) zu gewähren, wenn der Entschluss hierzu einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht (OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, ZAR 2005, 422; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. Januar 2006 - 6 A 10761/05 -, juris Rechtsprechung Nr. MWRE 103740600).

Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht im Hinblick auf die exilpolitische Betätigung kein Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, weil sich diese Aktivitäten nicht als zwangsläufige Fortführung eines schon im Iran gegebenen und dokumentierten politischen Bekenntnisses darstellen. Die von ihr im ersten Asylverfahren behaupteten politischen Aktivitäten für die VM im Iran sind nicht glaubhaft, weil sie "in sich unstimmig und lebensfremd sind".

Unabhängig vom Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Iran besteht, nicht zu zu. Insbesondere ist bei ihr das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl. II 685, 953) nicht gegeben.

Nach ständiger Rechtsprechung des OVG NRW reicht zur Erheblichkeit einer exilpolitischen Betätigung von iranischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland nicht jede öffentlich zur Schau getragene Kritik, sondern nur ein nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation erfolgtes Auftreten aus. Welche Anforderungen tatsächlicher Art an eine exilpolitische Tätigkeit gestellt werden müssen, damit diese als "exponiert" in diesem Sinne anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Eine derartige Tätigkeit wird vielmehr durch die jeweils völlig unterschiedlichen konkret-individuellen Umstände des Einzelfalles geprägt (vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2006 - 3 A 3928/05.A - ).

Ausgangspunkt für die hiernach notwendige Differenzierung zwischen unbeachtlicher, öffentlich zur Schau getragener Kritik einerseits und beachtlichem exponiertem Auftreten in der Öffentlichkeit für eine regimefeindliche Organisation andererseits bildet die Erkenntnis, dass der iranische Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland die regimefeindlichen/regimekritischen Aktivitäten iranischer (Exil-)Organisationen intensiv beobachtet und sich bemüht, die Mitglieder und/oder Anhänger dieser Organisationen sowie die Teilnehmer von Demonstrationen oder sonstigen öffentlichen Aktionen zu fotografieren und zu erfassen. Zwar kann nicht jeder in irgendeiner Weise exilpolitisch tätige Iraner namentlich erfasst werden. Auch ist in Rechnung zu stellen, dass den iranischen Behörden gerade auf Grund ihrer intensiven Beobachtungen bewusst ist, dass ein nach außen zum Ausdruck gebrachtes politisches Engagement vielfach nicht wirklich ernsthaft ist und nur zur Erlangung von Vorteilen im Asylverfahren an den Tag gelegt wird. Angesichts dessen werden die iranischen Stellen die aufwändigen Ermittlungen zur Identifizierung von iranischen Asylsuchenden auf die diejenigen Personen beschränken, die auf Grund besonderer Umstände über die massentypischen und niedrig profilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt haben, die den jeweiligen Iraner aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen.

Die schriftsätzlich vorgetragenen Aktivitäten begründen eine derart herausgehobene Position der Klägerin nicht. Sie gehen nicht über die bloße Teilnahme an Protestaktionen hinaus und lassen das Engagement der Klägerin nicht aus der Masse deckungsgleicher Beiträge anderer exilpolitisch aktiver Iraner in Deutschland hervortreten, deren Gefährdung nach den obigen Darlegungen bei einer Rückkehr nicht beachtlich wahrscheinlich ist.

Dass die Klägerin die Anzahl ihrer exilpolitischen Betätigungen seitdem gesteigert hat, hilft ihr nicht weiter. Die Erhöhung der Quantität niedrig profilierter Tätigkeiten allein führt nicht zu einer Qualitätsänderung der Gesamtaktivität.

Auch der Umstand, dass über die Teilnahme der Klägerin an Kundgebungen der VM im Internet berichtet wurde, reicht für die Annahme einer hinreichend wahrscheinlichen Gefährdung nicht aus. Zwar dürften iranische Stellen eine Auswertung von Internetseiten oppositioneller Gruppen betreiben, doch erscheint es auf Grund der großen Internetpräsenz iranischer Oppositionsgruppen eher unwahrscheinlich, dass vereinzelte Internetauftritte Oppositioneller für den iranischen Nachrichtendienst von Relevanz sind (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 12. März 2003 - VC2-247-S-410 093-9/03 -).

Es ist schließlich nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jeder aus dem Iran stammende - unverfolgt ausgereiste - Asylbewerber allein aufgrund seines Auslandsaufenthalts bzw. der Asylantragstellung bei seiner Rückkehr politischer Verfolgung ausgesetzt sein wird.