VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 19.05.2006 - 2 K 2650/04.A - asyl.net: M8494
https://www.asyl.net/rsdb/M8494
Leitsatz:
Schlagwörter: Widerruf, Asylberechtigung, Flüchtlingsanerkennung, Terrorismusvorbehalt, Gefahr für die Allgemeinheit, Totschlag, Wiederholungsgefahr, PKK, Funktionäre, MED-Kulturzentrum e.V. Bremen, YEK-KOM, Strafrestaussetzung, Bewährung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8
Auszüge:

Die Voraussetzungen gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der Asylanerkennung und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG - jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG - liegen vor.

Denn im Falle des Klägers liegt der Ausschlusstatbestand des §§ 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG - jetzt § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - vor. Dieser führt nicht nur zum Wegfall des Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG/§60 Abs. 1 AufenthG, sondern auch gem. § 30 Abs. 4 AsylVfG zur Asylablehnung als offensichtlich unbegründet.

Der Kläger ist mit Urteil des OLG Hamburg vom 05.03.1997 (2 STE 7/95) wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dabei handelte es sich um ein Verbrechen (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1 StGB). Der Kläger bedeutet eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil ein Wiederholungsrisiko bei ihm besteht, und er ist zugleich aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.

Die seinerzeitige Straftat erfolgte auf Veranlassung der PKK-Führung in Bremen und Hamburg.

Der Kläger war damals schon ein herausgehobener Aktivist PKK-naher Organisationen.

Der Umstand, dass er sich von der regionalen PKK-Führung in eine brutale Abstrafaktion gegen anders denkende Kurden einbinden ließ, zeigt seine bedingungslose Treue zu dieser Organisation auf, die nach wie vor auf der Liste der terroristischen Organisationen der Europäischen Union steht (Beschluss des Rates der EU vom 12.12.2002 zur Durchführung von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus) und sowohl in der Türkei als auch in Deutschland verboten ist.

Der Einzelrichter ist nicht davon überzeugt, dass die Einbindung des Klägers in PKK-Strukturen und seine Bereitschaft, im Auftrag der PKK Gewaltaktionen durchzuführen, entfallen sind.

Der Kläger ist auch nach seiner Entlassung aus der Strafhaft in Deutschland dem Kreis der Personen zuzurechnen, die zu den führenden Kadern der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen in Deutschland zählen. Der Kläger war von 2000 bis 2002 Vorsitzender von MED-Kulturzentrum e. V. in Bremen. Dabei handelte es sich um einen PKK-nahen Verein, der als eine Nachfolgeorganisation des früheren "Kurdisch-Deutschen Vereins für Völkerfreundschaft Hevalti" und des „Kurdisch-Deutschen Solidaritätsvereins“ einzustufen ist (VG Bremen, Urteil v. 23.05.2000 - 8 K 26198/95.A; Urteil v. 26.04.2004 - 2 K 1242/03.A).

Die letztgenannten Vereine waren im November 1995 bzw. im April 1998 wegen der Nähe zur PKK und damit verbundener verfassungswidriger Bestrebungen verboten worden.

Als Vorsitzender von MED-Kulturzentrum e. V. bekleidete der Kläger eine herausgehobene Position in einer kurdischen Organisation, in der sich alle örtlichen PKK-Anhänger sammelten. Die Stellung als Vorsitzender einer solchen Organisation ist mit Leitungsbefugnissen und Einfluss zwangsläufig verbunden.

Noch exponierter ist die Position des Klägers als Vorstandsmitglied von YEK-KOM (Föderation kurdischer Vereine in Deutschland) seit 2000/2001 anzusehen.

Nach der übereinstimmenden Erkenntnislage ist YEK-KOM der zentrale kurdische Organisationsverband in Deutschland, der mit der PKK und ihren Nachfolgeorganisationen in einer Weise politisch-ideologisch verbunden ist, dass er als politischer Arm der PKK bzw. von Kongra Gel in Deutschland angesehen werden kann. Der Umstand, dass das Bundesministerium des Inneren YEK-KOM bisher nicht verboten hat, wie übrigens auch MED-Kulturzentrum in Bremen nicht vom Bremer Innensenator verboten wurde, ändert nichts an dieser Bewertung. YEK-KOM mag sich wie die ihm angeschlossenen örtlichen Vereine mit Kulturarbeit und anderen nach der Satzung vorgesehenen Aktivitäten befassen, in der politischen Linie bleibt YEK-KOM von der PKK bzw. Kongra Gel abhängig.

1.3 Der Kläger kann sich gegen den Widerruf nicht darauf berufen, dass er nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe vorzeitig aus der Strafhaft zur Bewährung entlassen worden sei und dem eine positive Sozialprognose des OLG Hamburg zugrundeliege.

Denn die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung genügt nicht, um eine Wiederholungsgefahr zu verneinen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen und ist dabei an eine strafgerichtliche Beurteilung - bei der auch eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen - nicht gebunden (BVerwG, Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 in DVBl. 2001, 483). Die asylrechtliche Beurteilung erfordert eine längerfristige Gefahrenprognose, die im Falle des Klägers aufgrund seiner herausgehobenen Einbindung in PKK-Strukturen und deren latenter Gewaltbereitschaft zu dem Ergebnis führt, dass er weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeutet.