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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 05.07.2006 - 8 K 2187/03.A - asyl.net: M8548
https://www.asyl.net/rsdb/M8548
Leitsatz:

In Angola besteht zwar keine extreme allgemeine Gefahrenlage mehr für jeden Rückkehrer, wohl aber für Kinder und Jugendliche sowie für kranke und geschwächte Personen.

 

Schlagwörter: Angola, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Jugendliche, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr, Luanda, Krankheit, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Abschiebungshindernis, alleinstehende Personen, soziale Bindungen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

In Angola besteht zwar keine extreme allgemeine Gefahrenlage mehr für jeden Rückkehrer, wohl aber für Kinder und Jugendliche sowie für kranke und geschwächte Personen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG, denn in der Person des Klägers liegen Gründe vor, die bei seiner Rückkehr nach Angola zu einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben führen würden. Der Kläger würde nämlich aufgrund der gegenwärtigen Lebensumstände für Kinder und Jugendliche in eine schwere und extreme Gefahrenlage geraten.

Allerdings hat Angola ungeachtet der Bemühungen zur Stabilisierung des Friedens und des Wiederaufbaus unter den Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkrieges sehr stark zu leiden. Die Lebensbedingungen für die Zivilbevölkerung waren nach dem Ende der Kampfhandlungen zunächst uneingeschränkt katastrophal. Neben der weitestgehenden Verwüstung des Landes und der fast völligen Zerstörung der Infrastruktur war auch das Gesundheits- und Hygienewesen des Staates nahezu völlig zusammengebrochen; regelmäßig brachen und brechen Epidemien aus, die Säuglings- und Müttersterblichkeit war und ist eine der höchsten der Welt. Die Versorgung mit Lebensmitteln kann nur durch umfangreiche Unterstützung aus dem Ausland bewältigt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom (zuletzt) 18.4.2006).

Diese dramatische Situation gilt jedoch gegenwärtig nicht mehr uneingeschränkt. Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, erholt sich Angola derzeit von den Folgen des Bürgerkrieges. In der Hauptstadt Luanda, in der etwa ein Drittel der Bevölkerung des Landes lebt, in Benguela und Namibe und in einigen anderen Bevölkerungszentren des Landes sind die minimalen Existenzbedingungen überwiegend wieder gesichert.

Angesichts dieser - wenn auch nur geringfügigen - Verbesserung der Situation in verschiedenen Teilen Angolas kann auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung des OVG NW und des BVerwG nach Auffassung der Kammer nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass jeder Angolaner im Falle seiner Abschiebung in den sicheren Tod geschickt werden würde. Dies gilt vor allem dann, wenn seine Rückkehr in den in Angola noch bestehenden Familienverbund möglich ist. Anders ist die Lage jedoch zu bewerten, wenn eine Abschiebung von Kindern oder Jugendlichen oder kranken und geschwächten Personen droht. Die Situation der Kinder und Jugendlichen ist auch in der Hauptstadt Luanda nach wie vor prekär; die Kindersterblichkeit ist hoch, eine kindgerechte öffentliche Versorgungsstruktur besteht nicht.

Bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles, auf den in diesen Fällen abzustellen ist, ist davon auszugehen, dass der Kläger als 7-jähriger Junge bei einer Rückkehr aller Voraussicht nach schutzlos den ungewissen Lebensverhältnissen ausgesetzt wäre. Er kann nicht einen Familienverband zurückkehren, der ihn auffängt und ein noch menschenwürdiges Dasein sicherstellen könnte, denn seine Mutter und seine älteren Geschwister halten sich in Deutschland auf. Der Kläger kennt weder Stadt noch Land in seinem Heimatstaat Angola, denn er ist in der Bundesrepublik geboren, wo er seine bisherige Kindheit verbracht und seine Schulausbildung begonnen hat. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Kläger als 9-jähriges Kind ohne jede verwandtschaftliche Beziehung sich in einem ihm völlig fremden und noch dazu zerstörten Land zurechtfinden soll, dessen (Über)Lebensbedingungen auch in Luanda für Kinder jedenfalls als katastrophal bezeichnet werden müssen. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein "nicht unerhebliches Risiko für das Leben und die körperliche Unversehrtheit", das nicht die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Voraussetzung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage erfüllt (so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einigen seiner letzten Widerrufsbescheide (z.B. vom 26.6.2006 - 5206812-223).

Vielmehr geht die Kammer nicht nur bei Kleinkindern, sondern auch bei einem 7-jährigen Kind von einer solchen extremen Gefahrenlage aus, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Rückkehr für das Kind in ein ihm völlig unbekanntes Land erfolgen soll. Soweit sich das Bundesamt in seine Bescheiden auf das Urteil der Kammer vom 3.12.2003 - 8 K 6843/99.A - beruft, verkennt es, dass es in diesem Fall um einen 19-jährigen Jugendlichen ging, der erst mit 15 Jahren Angola verlassen hatte - mithin mit den angolanischen Verhältnissen und der Sprache bereits vertraut war. Gerade dies trifft aber für den Kläger nicht zu.