OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LC 78/03 - asyl.net: M8571
https://www.asyl.net/rsdb/M8571
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Zuwanderungsgesetz, Altfallregelung 1999, Erlasslage, Übergangsregelung, vorübergehender Aufenthalt, Daueraufenthalt, chronische Erkrankung, Krankheit, Ausreisehindernis, Libanon, medizinische Versorgung, Ablehnungsbescheid, Bindungswirkung, Passlosigkeit, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Kurden, Staatenlose, Türkei, Staatsangehörigkeit, Nüfus-Register, Sprachkenntnisse
Normen: AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 104 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 48 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der von ihnen begehrten Aufenthaltstitel in Form von Aufenthaltserlaubnissen.

Der Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen beurteilt sich seit dem 1. Januar 2005 ausschließlich nach den Regelungen des mit dem Zuwanderungsgesetz vom 30. April 2004 (BGBl. I S. 1950) in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes, nachdem die mit dem Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 10. Dezember 1999 (Nds. MBl. 2000, S. 41) umgesetzte Altfallregelung durch den Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 11. November 2003 - 45.11 - 02125 - (Nds. MBl. 2003, S. 744) aufgehoben worden ist.

Aus den von den Klägern belegten Folgen der Erkrankung der Klägerin zu 1. ergeben sich keine humanitären Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Die Regelung setzt voraus, dass der angestrebte Aufenthalt im Bundesgebiet zeitlich begrenzt und vorübergehend ist. Unter diesen Voraussetzungen kann den Klägern aus Gründen der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht erteilt werden. Denn die von den Klägern vorgelegte ärztliche Bescheinigung der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. K. und vom 24. Februar 2000 weist eine chronische Erkrankung der Klägerin zu 1. aus, die bereits ihrer Natur nach einen nur vorübergehenden und zeitlich befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet nicht nahe legen.

Die Kläger können auch nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen.

Unabhängig davon, dass der Beklagte nach § 42 AsylVfG bei der Beurteilung eines zielstaatsbezogenen (rechtlichen) Abschiebungshindernisses an die Feststellungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge) in den Bescheiden vom 24. Mai 1993 und 15. April 1994 über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (nunmehr: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) gebunden ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 6. April 2005 - 11 S 2779/04 -, juris, zur Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesamtes vor dem In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005; s.a. Hailbronner, aaO, § 25 AufenthG Rdnr. 96), steht der Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses in diesem Falle entgegen, dass der Libanon ein Land mit einem relativ hohen Niveau medizinischer Versorgung ist. Die Ärzteschaft umfasst viele Spezialisten, die zu einem großen Teil im westlichen Ausland studiert und auch praktiziert haben. Chronische Krankheiten können im Libanon behandelt werden. Krankenhäuser gibt es in allen größeren Städten; es können im Libanon auch sehr spezielle Behandlungen durchgeführt werden. Die Gesundheitsversorgung ist für die betreffenden Personen auch erreichbar. Neben privater und staatlicher Krankenversicherung können Behandlung und Medikation für mittellose Personen durch eine Überweisung des Gesundheitsministeriums an dessen Vertragskrankenhäuser und -ärzte erfolgen. Der Patient zahlt 10% der Kosten selbst. Alle international gängigen Medikamente sind im Libanon erhältlich; die gezielte Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland ist möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation im Libanon, Stand Juni 2005, S. 23/24; s.a. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 9. Dezember 2002 an VG Berlin). Nach diesen Erkenntnissen lässt allein die Tatsache, dass die Klägerin zu 1. im Jahre 2002 auf Erkrankungen hingewiesen hat, nicht auf das Bestehen einer konkreten Gefahr für Leib und Leben der Klägerin zu 1. im Falle einer Rückkehr in den Libanon (§ 60 Abs. 7 AufenthG) schließen.

Unter diesen Voraussetzungen kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Kläger nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nur in Betracht, weil der Aufenthalt der vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger seit mehreren Jahren infolge ihrer Passlosigkeit geduldet worden ist.

Einem Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG steht allerdings die anspruchsausschließende Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen.

Unter diesen Voraussetzungen haben die Kläger - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat - Anhaltspunkte dafür, dass sie sich zwischenzeitlich tatsächlich ernsthaft bemüht haben, sich von der zuständigen Auslandsvertretung ihres Heimatlandes einen Pass oder ein Passersatzpapier ausstellen zu lassen, nicht dargelegt.

Entgegen der Auffassung der Kläger genügt insoweit nicht, bei der libanesischen Botschaft mit dem Antrag vorgesprochen zu haben, ihnen Reisedokumente auszustellen. Erforderlich ist vielmehr für die Beschaffung von Identitätsnachweisen, die für die Ausstellung von Reisedokumenten (Document de Voyage oder Laissez-Passer) benötigt werden, die Beibringung eines Einzel- oder Familienregisterauszuges, mit dem die Erteilung von (Heim-)Reisedokumenten bei der libanesischen Botschaft in Berlin eingeleitet werden kann. Mit derartigen Registerauszügen, deren Ausstellung und Weiterleitung an die Kläger durch dort lebende Verwandte oder durch einen (kostenpflichtigen) Vertrauensanwalt bewirkt werden können, können Anträge auf Ausstellung eines Reisedokuments von der libanesischen Botschaft in Berlin bearbeitet werden (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Beirut v. 28. Januar 2004 an VG Cottbus und v. 25. Juli 2001 an die Stadt Hildesheim nebst Merkblatt "Personenstandregister im Libanon").

Nicht mit Erfolg können sich die Kläger darauf berufen, dass es ihnen wegen ihres Status als staatenlose Kurden aus dem Libanon nicht zuzumuten ist, sich um entsprechende Identitätsnachweise zu bemühen, oder dass ein solches Bemühen von vornherein aussichtslos sein werde. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Kläger kurdischer Volkszugehörigkeit sind und nicht die libanesische Staatsangehörigkeit innehaben, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Kläger bzw. deren Familienangehörige im Zuge der Registrierung 1951/1952 von Ausländern mit illegalem Status und Aufnahme in ein Spezialregister bei der libanesischen Sicherheitsbehörde eingetragen worden sind.

Auch nach den Darlegungen des Beklagten, die von ihm eingeleiteten Ermittlungen hätten ergeben, dass die Eltern der Klägerin zu 1. in der Türkei geboren worden seien und die Kläger daher gegebenenfalls die türkische Staatsangehörigkeit hätten oder jedenfalls beanspruchen könnten, hat die Klage der Kläger keinen Erfolg. Denn auch unter diesen Voraussetzungen ist nicht feststellbar, dass sich die Kläger ernsthaft um die erforderlichen Identitäts- und Reisepiere bemüht haben.