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VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 31.01.2006 - 5 K 3503/04 - asyl.net: M8580
https://www.asyl.net/rsdb/M8580
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Volksmudjaheddin, MEK, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, atypischer Ausnahmefall, menschenrechtswidrige Behandlung, exilpolitische Betätigung, Mitglieder, Demonstrationen, Büchertisch, Flugblätter, Nationaler Widerstandsrat Iran Köln, Überwachung im Aufnahmeland, Sippenhaft
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

Die von der Klägerin aufrecht erhaltene Klage auf Verpflichtung der Beklagten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) festzustellen, hat keinen Erfolg.

Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Ihr ist die Berufung auf die im Folgeverfahren geltend gemachten Nachfluchtgründe gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG verwehrt.

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG soll dann, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Asylbewerber aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht in der Regel nicht zur Asylgewährung führen können, auch die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der Regel ausgeschlossen sein. Eine Ausnahme gilt - hier wie dort - wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, juris).

Hiervon ausgehend kann die Feststellung, dass der Klägerin ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zusteht, nicht getroffen werden. Ihr Entschluss, für die Volksmudjahedin politisch aktiv zu werden, entspricht nämlich nach den Feststellungen in den Asylverfahren der Klägerin nicht einer festen, bereits im Herkunftsland betätigten Überzeugung, sondern wurde erst im Bundesgebiet gefasst.

Besondere Umstände, die eine Ausnahme von der gesetzlich angeordneten regelmäßigen Rechtsfolge des § 28 Abs. 2 AsylVfG rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Sie sind insbesondere nicht darin zu erkennen, dass die Klägerin im Folgeverfahren eine exilpolitische Betätigung fortsetzt, welche sie bereits im Asylerstverfahren, wenn auch niedriger profiliert, ausgeübt hatte (vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, juris; a.A. VG Mainz, Urteil vom 5. Oktober 2005 - 7 K 282/05.MZ -, juris, und VG Göttingen, Urteil vom 2. März 2005 - 4 A 38/03 -, juris).

Die Klage hat jedoch mit dem Hilfsantrag Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen.

Mit Blick auf die gesteigerten exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin ist nunmehr die Feststellung gerechtfertigt, dass die Klägerin nicht in den Iran abgeschoben werden darf, weil sich aus Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) (Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist, § 60 Abs. 5 AufenthG.

Der Klägerin droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Eine exilpolitische Tätigkeit ist abschiebungsrechtlich dann relevant, wenn der Asylbewerber nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation aufgetreten ist (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 1998 - 9 A 489/98.A -, Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -).

Denn nur in diesem Fall kann nach der Auskunftslage davon ausgegangen werden, dass die iranischen Behörden überhaupt Kenntnis von den Aktivitäten des Asylbewerbers erlangen und diese zum Anlass von asylrelevanten Verfolgungshandlungen nehmen können. Die bloße Mitgliedschaft des Asylbewerbers in einer Exilorganisation oder die Teilnahme an internen und öffentlichen Veranstaltungen von Exilorganisationen reicht für sich genommen für die Annahme der Gefahr politischer Verfolgung in der Regel nicht aus. Bei aktiven Mitgliedern an exponierter Stelle besteht eine erhöhte Gefährdung. Eine solche Exponiertheit wird angenommen, wenn der Betreffende Führungsaufgaben in der politischen Organisation wahrnimmt, an Veranstaltungen teilnimmt, welche nur führenden Mitgliedern vorbehalten sind, oder die Verantwortung für Presseerzeugnisse der Organisation übernommen hat (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Stellungnahme vom 23. August 2000 an das Verwaltungsgericht Potsdam).

Die Klägerin nimmt zwar keine der oben beschriebenen Aufgaben wahr. Demgegenüber rechtfertigen aber die Vielzahl und auch die Art ihrer Aktivitäten die Annahme, dass sie sich aus der Menge der Anhänger ihrer Organisation in solchem Maße herausgehoben hat, dass die iranischen Stellen auf sie aufmerksam geworden sind.

Eine besondere Bedeutung misst das Gericht aber dem Umstand bei, dass die Klägerin ihre Aktivitäten in enger Anbindung an das Büro des Nationalen Widerstandsrates Iran, dem politischen Arm der Volksmudjahedin, in Köln entfaltet hat. Das Kölner Büro ist nach der Erkenntnislage der Kammer neben Berlin Sitz des Nationalen Widerstandsrates Iran in Deutschland (vgl. Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2004, S. 181).

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dieser Sitz der Volksmudjahedin von den iranischen Behörden intensiv beobachtet und - zutreffenderweise - als zentrale Einrichtung dieser Exilopposition angesehen wird.

Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin aufgrund ihrer intensiven Unterstützertätigkeit in unmittelbarem Umfeld des Sitzes des Nationalen Widerstandsrates Iran in Köln den iranischen Behörden aufgefallen ist und dass sie von diesen als Insiderin der in besonderem Maße unter Beobachtung stehenden Organisation angesehen werden dürfte (vgl. auch Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 26. April 2004 gegenüber dem Verwaltungsgericht Aachen).

Dabei kommt besonders erschwerend hinzu, dass die Klägerin in der Bundesrepublik in eine Familie eingebunden ist, die aufgrund ihrer Aktivitäten für die Volksmudjahedin im Iran Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG genießen. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin als nunmehr ebenfalls politisch aktives Mitglied einer bereits im Iran als Oppositionelle aufgefallenen Familie das besondere Interesse der iranischen Behörden geweckt hat.

Darauf ob die Klägerin tatsächlich über die iranischen Sicherheitskräfte interessierende Kenntnisse verfügt, kommt es nicht an.