LSG Thüringen

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Zitieren als:
LSG Thüringen, Beschluss vom 09.08.2006 - L 8 AY 462/06 ER - asyl.net: M8585
https://www.asyl.net/rsdb/M8585
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hätte den Antrag auf einstweilige Anordnung ablehnen müssen, weil es am - grundsätzlich vor dem Anordnungsanspruch zu prüfenden - Anordnungsgrund fehlt. Denn die Beschwerdegegner haben die Eilbedürftigkeit ihres Begehrens nicht glaubhaft gemacht. Es ist ihnen unter den gegebenen Umständen zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung, Absatz 2 Satz 1), nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Die Beschwerdegegner erhalten Leistungen nach § 3 AsylbLG durch Gewährung von Sach- und Geldmitteln in Höhe von 1.022,57 Euro. Dass diese nicht die Höhe der ihnen nach dieser Vorschrift zustehenden Leistungen erreichen, behaupten die Beschwerdegegner nicht. Sie tragen nur vor, die Leistungen nach § 3 AsylbLG lägen deutlich unter dem existenzsichernden Niveau des SGB XII, ohne dass dies im einzelnen dargelegt werden müsse. Das rechtfertigt den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht, zumal der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erst fast sieben Monate nach dem Bescheid vom 12. Juli 2005 gestellt worden ist, so dass die gewährten Leistungen in der Zwischenzeit offenbar geeignet waren, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.

Die Klärung der Frage, ob den Beschwerdegegnern Leistungen nach § 2 Abs. 1, 3 AsylbLG zustehen und in diesem Zusammenhang die Beurteilung, ob die Beschwerdegegner die Dauer ihres Aufenthalts im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ist im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht erreichbar. Eine Leistungsgewährung aufgrund einstweiliger Anordnung wäre bei lebensnaher Betrachtung nicht umkehrbar, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein Anspruch auf diese höheren Leistungen gar nicht bestand. Aus diesem Grund würde ein Erfolg im vorläufigen Rechtsschutz die Hauptsache faktisch vorwegnehmen.

Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch auch nicht etwa ausnahmsweise notwendig, weil die von den Beschwerdegegnern verfolgten Interessen an der Gewährung der höheren Leistungen so überragend wären, dass ein Abwarten der Hauptsache schlechthin unzumutbar wäre. Denn die Beschwerdegegner haben nicht substantiiert dargelegt, dass ihnen trotz der Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben fehlen. Allein der Vortrag, es würden ihnen rechtswidrig Leistungen nach § 2 AsylbLG versagt, reicht für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht aus. Denn die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellen schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Der Umstand, dass die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG geringer ausfallen als vergleichbare Leistungen nach dem SGB XII, rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Gesetzgeber gewährleiste mit den Leistungen nach dem AsylbLG nicht das verfassungsrechtlich Gebotene (vgl. zum BSHG: BVerwG, Beschluss v. 29. September 1998, Az.: 5 B 82/97). Dies gilt umso mehr, als die in § 1 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Personen kein verfestigtes Aufenthaltsrecht haben, so dass bei ihnen ein sozialer Integrationsbedarf fehlt. Die den Beschwerdegegnern gewährten Leistungen nach §§ 3 AsylbLG haben sich im Übrigen offenbar auch für Zeiträume in der Vergangenheit (April 2004 bis April 2005) als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.