VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 25.08.2006 - 1 L 639/06.A - asyl.net: M8632
https://www.asyl.net/rsdb/M8632
Leitsatz:
Schlagwörter: Ghana, Genitalverstümmelung, Frauen, Flüchtlingsfrauen, interne Fluchtalternative, offensichtlich unbegründet, ernstliche Zweifel, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylVfG § 30 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 36 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei Geltendmachung der Gefahr der Genitalverstümmelung an Frauen; Praxis der Genitalverstümmelung trotz Verbots vor allem im Norden Ghanas verbreitet; Untertauchen der bedrohten Frauen wegen enger und breit gefächerter Familienbeziehungen schwierig.

 

Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylVfG, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhaltes vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt die Ablehnung des Antrags nach dem Stand der Rechtsprechung und Rechtslehre geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 -, BVerfGE 65, 76 (96 f.); Urteil vom 15. Februar 1992 - 2 BvR 207/92 -, InfAuslR 1992, 300; vgl. auch Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516193 -; BVerwG, Beschluss vom 1. März 1979 - 1 B 24.79 -, DöV 1979, 902).

Dies lässt sich im Fall der Antragstellerin gegenwärtig nicht feststellen. Vielmehr ist es nach ihrem Vorbringen, sie sei vor ihrer Familie in Ghana geflüchtet, weil diese beabsichtige, sie genital beschneiden zu lassen, nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Das Vorbringen der Antragstellerin kann nicht von vornherein als unglaubhaft beurteilt werden. Die Angaben der Antragstellerin werden auch durch die vorliegenden Erkenntnisse gestützt, wonach in Ghana trotz der 1994 eingeführten Strafbarkeit und verschiedener staatlicher Aufklärungsmaßnahmen Mädchen und Frauen nach wie vor der genitalen Beschneidung ("Female Genital Mutilation") unterzogen werden. Dabei wird die Genitalverstümmelung vor allem in den nördlichen Landesteilen praktiziert. Die strafechtliche Verfolgung hat dazu geführt, dass die Praxis zum Teil in die Illegalität abgedrängt wurde und zu ihrer Durchführung zunehmend auch über die Grenzen nach Burkina Faso und Togo ausgewichen wird. Während viele afrikanische Stämme die Genitalverstümmelung im Kleinkindalter durchführen, findet sie bei einigen Stämmen in Ghana bei Erreichen des heiratsfähigen Alters (ca. 15 Jahre), vor der Eheschließung oder sogar noch während der Geburt des ersten Kindes statt. Veranlasst werden die Genitalverstümmelungen jeweils von der Familie, gegen deren erklärten Willen es hierzu nicht kommt. Der soziale Druck auf die Opfer wie auch deren Familien, eine Genitalverstümmelung vornehmen zu lassen, ist im Norden Ghanas erheblich. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich Opfer in jedem Fall der Genitalverstümmelung entziehen können. Sie wird in Einzelfällen auch gewaltsam vorgenommen. Migration der Opfer in den Süden des Landes bietet relative, aber nicht völlige Sicherheit gegenüber Genitalverstümmelung, da es angesichts der sehr engen und breit gefächerten Familienbeziehungen in Ghana schwierig ist, völlig unterzutauchen, zumal auch in den großen Städten im Süden bereits größere Migranten-Communities aus dem Norden ansässig sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Ghana vom 19. November 2005, Seite 13 f.).

Danach ist die von der Antragstellerin geltend gemachte Gefahr, in Ghana genital verstümmelt zu werden, nicht von vornherein zu verneinen.