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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.08.2006 - 1 A 1437/06.A - asyl.net: M8641
https://www.asyl.net/rsdb/M8641
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Asylantrag, Antragsfiktion, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Rückwirkung, Übergangsregelung, isolierte Anfechtungsklage, Rechtsschutzbedürfnis, Verzicht, Asylverfahren, offensichtlich unbegründet, Ausreisefrist
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2; AsylVfG § 77 Abs. 1; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1; AufenthG § 50 Abs. 1; AsylVfG § 30 Abs. 3 Nr. 7; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2; AsylVfG § 14a Abs. 3; AsylVfG § 38 Abs. 2
Auszüge:

Die Klage ist zulässig. Auf die bloße Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes gerichtet ist die Klage als (isolierte) Anfechtungsklage namentlich statthaft, da sich das von dem Kläger verfolgte Klageziel aus anerkennenswerten Gründen auf die Beseitigung der Ablehnung des fingierten Asylantrages beschränkt.

Die Klage ist indes nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht wegen Fehlens eines beachtlichen Asylantrags des Klägers rechtswidrig. Zwar hat der Kläger selbst keinen Asylantrag im Sinne des § 13 AsylVfG gestellt. Es liegen aber die Voraussetzungen der Antragsfiktion nach § 14a Abs. 2 AsylVfG vor.

Da die Eltern des Klägers abgelehnte Asylbewerber sind, die im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige über die Geburt des Klägers beim Bundesamt vollziehbar ausreisepflichtig waren und ihr Aufenthalt derzeit lediglich geduldet wird, ist allein noch darüber zu befinden, ob der Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG entgegensteht, dass der Kläger zwei Tage vor dessen Inkrafttreten im Bundesgebiet geboren wurde. Dies ist nicht der Fall, denn § 14a Abs. 2 AsylVfG ist auch auf vor dem 1. Januar 2005 im Bundesgebiet geborene Kinder (sog. "Altfälle") anzuwenden.

In Ermangelung einer ausdrücklichen Bestimmung über ihren Anwendungsbereich in der Norm oder entsprechender Übergangs-/Überleitungsregelungen etwa in den Vorschriften der §§ 87 - 87b AsylVfG oder des Zuwanderungsgesetzes selbst, bezieht sich § 14a Abs. 2 AsylVfG nach seinem Wortlaut auf alle unter 16 Jahre alten Kinder, die nach der Asylantragstellung der Eltern oder eines Elternteils einreisen oder geboren werden. Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für das Greifen der Norm sind die Antragstellung des Ausländers (Elternteils) und die danach stattfindende Einreise oder Geburt des Kindes, nicht aber, ob diese Umstände vor oder nach dem 1. Januar 2005 eingetreten sind.

Der Wortlaut des § 14a AsylVfG bietet demgegenüber keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Anwendbarkeit seines Absatzes 2 auf Kinder, die erst nach seinem Inkrafttreten geboren werden oder einreisen. Die Tatsache, dass die Vorschrift insgesamt in der Zeitform des Präsens gefasst ist, lässt keinen sicheren Rückschluss darauf zu, dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht schon vor Inkrafttreten dieser Bestimmung vorgelegen haben können. Diese Zeitform dient lediglich der Darstellung der objektiven Tatbestandsmerkmale, wie dies auch in zahlreichen anderen Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes, z.B. in § 1 Abs. 1 und § 13 AsylVfG ersichtlich ist. Namentlich die Wendung in § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, wonach die Anzeigepflicht als "unverzüglich" statuiert wird, erlaubt keinen überzeugenden Rückschluss auf den zeitlichen Geltungsbereich der Norm. Ein "unverzügliches", also ohne schuldhaftes Zögern erfolgendes (vgl. z.B. § 121 BGB) Handeln ist - gegebenenfalls anders als ein "sofortiges" oder "unmittelbares" Handeln, welches in unmittelbarer zeitlicher Folge zu dem auslösenden Ereignis erfolgen müsste - auch dann möglich, wenn die Handlungspflicht durch das Inkrafttreten eines Gesetzes erst neu begründet wird.

Das eingangs dargelegte, unmittelbar an den sinngebenden Wortlaut der Norm anknüpfende Verständnis des § 14a Abs. 2 AsylVfG, wonach diese Bestimmung ohne weiteres auch auf solche Fälle anzuwenden ist, die tatbestandlich vor ihrem Inkrafttreten liegen, wird durch deren systematischen Zusammenhang mit anderen Vorschriften nachhaltig bekräftigt. Insoweit ist zunächst die gleichzeitig erfolgte Änderung des § 26 AsylVfG durch das Zuwanderungsgesetz in den Blick zu nehmen. Diese Änderung berücksichtigt die Einführung des § 14a Abs. 2 AsylVfG, indem sie seit dem 1. Januar 2005 die Asylantragstellung des Familienasyl begehrenden Kindes eines anerkannten Elternteils unverzüglich nach der Einreise nicht mehr fordert, weil die Fiktionswirkung des § 14a Abs. 2 AsylVfG nunmehr diese Antragstellung sicherstellt (vgl. Gesetzentwurf des Zuwanderungsgesetzes vom 7. Februar 2003, BT-Drucksache 15/420, Seite 109, Begründung zu Art. 3 Nr. 17).

Durch diese Anpassung des § 26 AsylVfG an die Neuregelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG würde für Altfälle eine Lücke entstehen, wenn § 14a Abs. 2 AsylVfG lediglich für nach seinem Inkrafttreten geborene Kinder gelten sollte. Dass der Gesetzgeber eine solche Lücke hätte entstehen lassen wollen, ist gerade angesichts der Gesetzesmotive für die Einführung des fiktiv gestellten Asylantrags nur schwer vorzustellen. Für die auch vergangenheitsbezogene Geltung des § 14a Abs. 2 AsylVfG spricht ferner der Umstand, dass der Gesetzgeber diejenigen Sachverhalte, die nicht den (geänderten) Regelungen des Zuwanderungsgesetzes unterfallen sollten, im Einzelnen ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Aus § 73 Abs. 2a AsylVfG n.F. lässt sich unter systematischen Gesichtspunkten nicht folgern, auch die Bestimmung des § 14a Abs. 2 AsylVfG könnte hinsichtlich ihrer Tatbestandsmerkmale nur zukunftsbezogen zu verstehen sein. Die - streitige - Frage der Anwendbarkeit des § 73 Abs. 2a AsylVfG auf Widerrufs- und Rücknahmefälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 ist dadurch gekennzeichnet, dass bei diesen Altfällen der Bestandskraft fähige Entscheidungen des Bundesamtes vorliegen und eine Anwendung des § 73 Abs. 2a AsylVfG auf diese Entscheidungen dazu führen würde, dass einer Behörde - etwa bei unterbliebener Ermessensausübung - die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorgehalten würde, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht galt und die sie nicht beachten konnte (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -, DVBl 2006, 511, OVG NRW, Beschluss vom 14. April 2005, - 13 A 654/05 A -, Asylmagazin 2005, 42).

Die Nichtanwendbarkeit des § 73 Abs. 2a AsylVfG auf Widerrufs- und Rücknahmeentscheidungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 ergibt sich also daraus, dass bei diesen Entscheidungen bereits abgeschlossene Verfahrensabschnitte vorliegen, die sachgerecht nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden können. Ein derartiges, zumindest in Teilschritten abgeschlossenes Verwaltungsverfahren ist in den Fällen des § 14a Abs. 2 AsylVfG aber gerade nicht ersichtlich, sodass eine Gleichsetzung beider Fälle im gegebenen Zusammenhang nicht in Betracht kommt.

Eine Erfassung auch der "Altfälle" durch § 14a Abs. 2 AsylVfG wird darüber hinaus durch den in der Norm zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gestützt, wie er den aus der Gesetzesbegründung abzuleitenden Motiven zu entnehmen ist. Die Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 AsylVfG bezweckt danach eine Beschleunigung der Asylverfahren von Familien dahingehend, dass den Eltern des Kindes die Möglichkeit genommen wird, durch die taktisch bestimmte Wahl des Zeitpunkts der Asylantragstellung die Entscheidung des Bundesamtes und damit gegebenenfalls aufenthaltsbeendende Maßnahmen möglichst lange hinauszuzögern.

Der Umstand, dass die Erfassung der Altfälle die erhebliche Inanspruchnahme personeller Kapazitäten erfordern würde (vgl. z.B. die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. November 2005 - 1a K 2319/05.A -, www.NRWE.de, Juris), spricht nicht für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf den Zeitraum nach dem Inkrafttreten. Diese Inanspruchnahme stellt sich vielmehr als ein vorübergehendes Problem dar, das gegenüber dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck eher als geringfügig einzustufen ist.

Ob die Ausländerbehörde zur Anzeige der Geburt des Klägers berechtigt und verpflichtet war, ist keine Frage der temporalen Normgeltung des § 14a Abs. 2 AsylVfG, sondern eine solche seines materiellrechtlichen Anwendungsbereichs (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2006, a.a.O.).

Die allgemeinen Grundsätze des sogenannten intertemporalen Verfahrensrechts tragen in diesem Zusammenhang nichts weiter zur Problemlösung bei. Diese Grundsätze, nach denen neue Rechtsnormen grundsätzlich ab sofort für die Zukunft und unabhängig davon gelten sollen, wie die Materie bisher geregelt war, gelten nur für bereits begonnene Verfahren (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage § 96 Rdnr. 4).

§ 14a AsylVfG dagegen regelt, ob ein Verfahren überhaupt in Gang gesetzt wird. Der Umstand, dass durch § 14a Abs. 2 AsylVfG ein Verwaltungsverfahren eingeleitet wird, für das nach den allgemein anerkannten Regeln des Verwaltungsrechts das neue Verfahrensrecht gilt, da es erst unter Geltung diesen Rechts begonnen wurde, wobei dieses Verfahrensrecht nicht in ein bestehendes materielles Rechtsverhältnis eingreift (vgl. dazu im Einzelnen Niedersächsisches OVG, Urteil vom 15. März 2006, a.a.O., m.w.N.), führt in der (Auslegungs-)Frage, ob dieses neue Verfahrensrecht mit seinem Tatbestand auch an Sachverhalte anknüpft, die vor seinem Inkrafttreten eingetreten sind, ebenfalls nicht weiter. Er steht einer Anwendung des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf den Kläger jedenfalls nicht entgegen.

Dies gilt auch für § 77 Abs. 1 AsylVfG, nach dem das Gericht bei seiner Entscheidung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde zu legen hat. Auch durch diese Bestimmung wird der materielle Wirkungsbereich des § 14a Abs. 2 AsylVfG nicht beeinflusst.

Die am Wortlaut, der Systematik und der Genese orientierte Auslegung der Vorschrift mit der aus ihr folgenden Anwendung des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem 1. Januar 2005 geborene Kinder - wie den Kläger - verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

Eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung (zu deren Voraussetzungen vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239, Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, BVerfGE 72, 200, BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 C 4.05 - , NWVBl 2006, 252, Senatsurteil vom 27. Januar 2006 - 1 A 4120/04 - m.w.N., IÖD 2006, 180) liegt ersichtlich nicht vor, weil § 14a AsylVfG keine in die Vergangenheit wirkende Rechtsfolgen für einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt anordnet. Durch die Regelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG soll der zukünftige asylrechtliche Status des Ausländers durch die Fiktion der Asylantragstellung geklärt werden. Das durch den Senat vertretene Verständnis des § 14a Abs. 2 AsylVfG betrifft mithin keine (materiellen) Rechtsfolgen für die Vergangenheit, sondern knüpft die zukünftigen Rechtsfolgen auf der Tatbestandsseite im Sinne einer sogenannten "unechten" Rückwirkung - auch tatbestandliche Rückanknüpfung genannt (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Januar 2006, a.a.O., m.w.N.) an ein vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2005 liegendes Ereignis, nämlich die Geburt des Klägers. Diese tatbestandliche Rückanknüpfung kann allerdings nicht mit dem systematischen Argument verneint werden, die Antragsfiktion entstehe nach § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG erst in dem Zeitpunkt, in dem die Anzeige der Ausländerbehörde oder des Vertreters des Kindes beim Bundesamt eingehe, so dass keine Rückwirkung eintrete (so z.B. Bell, Der Einzelentscheider-Brief 5/05, S. 2).

Diese Argumentation greift zu kurz, denn die das Asylverfahren auslösende Anzeigepflicht selbst wird ebenfalls erst durch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Bestimmung (für die Zukunft) begründet. Sie hängt aber von den Umständen der Geburt bzw. Einreise des Kindes ab. Die Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift kann daher nicht durch eine isolierte Betrachtung des § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG beantwortet werden, sondern muss die Anknüpfung an die - im jeweiligen Einzelfall möglicherweise vor dem Inkrafttreten der Bestimmung eingetretenen - Tatbestandsvoraussetzungen berücksichtigen.

Die Anordnung von belastenden verfahrensrechtlichen Rechtsfolgen in Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Umstand ist nicht von vornherein unzulässig. Bei der hier in Rede stehenden Bestimmung des § 14a Abs. 2 AsylVfG handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift. Sie trifft keine direkten Regelungen hinsichtlich der materiellen Rechte des Klägers, sondern lediglich für das Verfahren zur Einleitung des Asylverfahrens (vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 15. März 2006, a.a.O., m.w.N.).

Die tatbestandliche Rückanknüpfung des § 14a Abs. 2 AsylVfG und die damit verbundenen Folgen enthalten weder einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit noch gegen die auch bei der "unechten" Rückwirkung von Gesetzen zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Die Regelung entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen zur Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung von Verfahrensvorschriften auch unter Beachtung der besonderen Bedeutung, welche diese im Asylverfahren haben. Allerdings gewinnt das Verfahrensrecht zur Durchsetzung des Asylgrundrechts verfassungsrechtliche Relevanz für dessen Schutz. Das Grundrecht auf Asyl setzt notwendigerweise eine geeignete Verfahrensregelung voraus, weil schon seine Innehabung von einem bestimmten Tatbestand, nämlich der drohenden oder bereits erfolgten politischen Verfolgung, abhängt, das Vorliegen dieses Tatbestands mithin einer Feststellung bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90 und 2 BvR 1728/90 -, BVerfGE 87, 48).

In welchen Grenzen alledem bei der Rechtssetzung Rechnung zu tragen ist (etwa durch Übergangsbestimmungen), ist anhand der für jedermann geltenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu prüfen. Im Einzelfall können dabei verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 a.a.O., Beschluss vom 7. Juli 1992, a.a.O.).

Diese Grenzen sind jedenfalls regelmäßig überschritten, wenn der Einzelne sein Vertrauen auf den Fortbestand der bestehenden Rechtslage ins Werk gesetzt hat und die Enttäuschung dieses Vertrauens schwerer wiegt als die Interessen der Allgemeinheit an der Veränderung der einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen.

Eine derartige, ihre Einbeziehung in das Regime des § 14a Abs. 2 AsylVfG ausschließende schutzwürdige Rechtsposition haben die der Regelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG unterworfenen Kinder von Asylbewerbern, die wie der Kläger vor Inkrafttreten der Norm hier geboren worden sind, jedoch nicht erlangt.

Ein materiell-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem asylsuchenden Ausländer und der Beklagten besteht bis zur Anerkennung des Asylbegehrens nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts steht das Asylgrundrecht unter einem Verfahrensvorbehalt.

Das Fehlen einer schutzwürdigen Rechtsposition, welche gegebenenfalls durch die tatbestandliche Rückanknüpfung in § 14a Abs. 2 AsylVfG beeinträchtigt werden könnte, folgt auch aus einem Vergleich der aufenthaltsrechtlichen Stellung des Klägers, die er vor der Einleitung des Asylverfahrens innehat, mit derjenigen danach.

Für die Dauer des Asylverfahrens nach dem fiktiven Asylantrag im Sinne des § 14a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ändert sich diese Rechtsposition nicht zum Nachteil des Klägers. Zwar kann ihm für die Dauer des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel nur unter den Voraussetzungen des § 10 AufenthG erteilt werden. Allerdings ist ihm während des Asylverfahrens der Aufenthalt zu gestatten (§ 55 Abs. 1 AsylVfG), was sogar eine rechtliche Verbesserung gegenüber seinem vorherigen Aufenthaltsstatus darstellt.

Für die Situation nach Abschluss des Asylverfahrens sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Wird das Verfahren für Kinder durchgeführt, bei denen der Asylantrag ihrer Eltern noch nicht unanfechtbar abgelehnt wurde, sind sie im Fall der unanfechtbaren Ablehnung ihres (fiktiven) Asylantrags als "einfach unbegründet" vollziehbar ausreisepflichtig und ihnen darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des AufenthG erteilt werden (§§ 10 Abs. 3 Satz 1, 50 Abs. 1 AufenthG). Diese Rechtsposition unterscheidet sich nicht von dem aufenthaltsrechtlichen Status, den sie vor der Asylantragstellung hatten. Wird dagegen - wie für den Kläger - der fiktive Asylantrag für ein unter 16 Jahre altes Kind gestellt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind, ist der Asylantrag - wie hier - als offensichtlich unbegründet abzulehnen (§ 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG). In diesem Fall können gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vor der Ausreise des Kindes keinerlei Aufenthaltstitel erteilt werden. Diese als nachteilig gegenüber dem Zustand vor der Asylantragstellung anzusehenden zwingenden Rechtsfolgen lassen sich jedoch vermeiden, indem der Vertreter des Kindes gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet und das Verfahren gemäß § 32 AsylVfG eingestellt wird. Die Rechtsfolgen der §§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und 38 Abs. 2 AsylVfG treten in diesem Fall nicht ein, da der Verzicht nach § 14a Abs. 3 der Rücknahme eines bereits gestellten Asylantrags nicht gleichsteht. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und § 38 Abs. 2 AsylVfG, die allein auf die Rücknahme des Asylantrags abstellen, während in § 32 AsylVfG zwischen der Antragsrücknahme und dem Verzicht nach § 14a AsylVfG unterschieden wird. Diese Unterscheidung beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, denn er hat in § 14a AsylVfG den neuen Begriff des Verzichts in das Gesetz eingeführt und andere Vorschriften (z.B. §§ 32 und 71 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) dementsprechend angepasst, indem er den Begriff der Antragsrücknahme ausdrücklich neben dem des Verzichts verwendet. Eine solche Erweiterung auf den Verzicht ist in § 10 Abs. 3 AufenthG und § 38 Abs. 2 AsylVfG unterblieben. Diese beiden Bestimmungen sind weiterhin nicht im Wege erweiternder Auslegung unter Berücksichtigung des Zwecks der Einfügung der Regelungen zur Familieneinheit (§§ 14a , 32 , 71 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) auf den Fall des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG anwendbar. Der Gesetzeszweck der Regelungen über die Familieneinheit erfordert es nicht, dass dem unter § 14a AsylVfG fallenden Kind eines Asylbewerbers nach einem Verzicht im Sinne von § 14a Abs. 3 AsylVfG im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens und der Entscheidung über Abschiebungsverbote (§ 32 AsylVfG) eine Ausreisefrist von lediglich einer Woche gesetzt und die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes von der vorherigen Ausreise abhängig gemacht wird. Der oben dargestellte Normzweck der Verhinderung einer - taktisch motivierten - verzögerten Asylantragstellung wird auch erreicht, wenn der Verzicht gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht unter die strengen Vorschriften des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und § 38 Abs. 2 AsylVfG fällt. Eine Klage gegen die im Falle des Verzichts zu erlassende und mit einer Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylVfG zu versehende Abschiebungsandrohung hätte nach § 75 AsylVfG zwar aufschiebende Wirkung. Die hierin liegende zeitliche Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung steht dem Zweck des § 14a AsylVfG jedoch nicht entgegen. Dieser liegt nach dem oben Dargestellten allein darin zu verhindern, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten entstehen. Eine darüber hinausgehende erhebliche Verkürzung der Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik, die nicht zuletzt durch die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bestimmt wird, ist ausweislich der Gesetzesbegründung vom konkreten Regelungszweck des § 14a AsylVfG hingegen nicht umfasst. Dies ist auch nicht aufgrund der übergeordneten allgemeinen Zwecksetzungen des Zuwanderungsgesetzes anders zu sehen. Zwar verfolgte der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz unter anderem das Ziel, die Durchführung des Asylverfahrens zu straffen und zu beschleunigen sowie dem Missbrauch von Asylverfahren entgegenzuwirken (vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 1, A. Problem und Ziel).

Die ausdrückliche Verzichtsregelung in § 14a Abs. 3 AsylVfG, die dazu dient, die Dispositionsbefugnis über die Geltendmachung des Asylgrundrechts zu wahren (vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 108, zu Nummer 10), wäre aber nicht erforderlich gewesen, wenn die Rechtsfolgen des Verzichts denen der Antragsrücknahme hätten gleichgestellt werden sollen. In diesem Fall hätte die Möglichkeit einer Antragsrücknahme vor der Entscheidung des Bundesamts im Sinne von § 32 AsylVfG zur Erreichung dieses Ziels ausgereicht. Dass der Gesetzgeber stattdessen die neue Verfahrenshandlung des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG geschaffen hat, spricht vielmehr dafür, dass die Rechtsfolgen der Antragsrücknahme für den Fall des Verzichts nicht gewollt waren (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. April 2006, a.a.O., Kammerbeschluss des VG Düsseldorf vom 21. Dezember 2005 - 1 L 2219/05.A -, www.NRWE.de, Juris).

Die aufenthaltsrechtliche Situation der Kinder, die auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichten, ändert sich daher gegenüber dem Zustand vor dem Verzicht ebenfalls nicht.

Wegen der fehlenden Rechtsposition des Klägers vor der Asylanerkennung ist schließlich ein Vertrauen darauf, dass die materielle und/oder verfahrensrechtliche Rechtslage während eines Asylverfahrens unverändert bleiben werde, rechtlich nicht geschützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285.86 -, BVerwGE 78, 332).

Dies gilt erst recht, wenn ein Asylverfahren überhaupt noch nicht betrieben oder eingeleitet wurde.

Durch die fiktive Asylantragstellung nach § 14a Abs. 2 AsylVfG wird den Eltern des Klägers somit allein die oben bereits dargestellte Möglichkeit der Verfahrensverschleppung durch taktisch platzierte Asylanträge genommen. Dass diese Verzögerungsmöglichkeit nach der ursprünglichen Rechtslage unter Berücksichtigung der oben angesprochenen verfassungsrechtlichen Grundsätze schutzwürdig sein könnte, ist nicht ersichtlich. Unter Berücksichtigung des oben dargestellten aufenthaltsrechtlichen Status des Klägers erweist sich ein Taktieren mit der Stellung des Asylantrages sogar als rechtsmissbräuchlich.