VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 24.05.2006 - 8 K 20276/02.Me - asyl.net: M8753
https://www.asyl.net/rsdb/M8753
Leitsatz:
Schlagwörter: Georgien, Abchasen, Straftäter, Strafverfolgung, Folter, Todesstrafe, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, paranoide Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Versorgungslage, Existenzminimum
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Kläger sind nicht politisch Verfolgte im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG.

Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus Georgien ausgereist. Unmittelbarer Anlass für die Ausreise 1998/1999 war der Umstand, dass der Kläger zu 1) in Streit mit seinen Vorgesetzten geraten ist und diese angegriffen und erschossen hat. Auch wenn der Kläger zu 1) die Befehle seines Kommandeurs und Stabschefs missbilligte, berechtigte ihn dies nicht, diese nach dem missglückten Einsatz anzugreifen. Wenn der Kläger wegen dieser Taten gesucht und bestraft wird, handelt es sich dabei nicht um Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung, seiner Volkszugehörigkeit oder andere für ihn unverfügbare Merkmale, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts.

Die Beklagte ist auch nicht zur Feststellung verpflichtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr nach Georgien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung von Seiten des georgischen Staates. Soweit sich der Kläger zu 1) darauf beruft, dass er als Abchase im Kernland Georgien wegen seiner Volkszugehörigkeit und seines Einsatzes in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Georgien und Abchasien politisch verfolgt würde, wird dies durch die allgemeine Auskunftslage und die im Verfahren der Kläger eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2004 und des Transkaukasus-Instituts vom 11.02.2005 nicht bestätigt. Amnesty International hat in seiner Auskunft vom 04.06.2003 an das VG Sigmaringen darauf hingewiesen, dass die Zahl der ethnischen Abchasen im georgischen Kernland sehr gering sein dürfte. Auch ist zu befürchten, dass die ethnischen Georgier den abchasischen Volkszugehörigen häufig nicht freundlich gesonnen sein dürften. Allein daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der Kläger zu 1) von Seiten des georgischen Staates verfolgt würde, denn Feinseligkeiten unter den Bevölkerungsgruppen können dem Staat nur dann zugerechnet werden, wenn er diese toleriert und nichts unternimmt, um seine Bürger davor zu schützen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich nach der Auskunftslage nicht.

Den Klägern ist auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewähren. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem die Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. Vorausgesetzt wird dabei ein vorsätzlich geplantes und auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.1995, BverwGE 99, 133). Es ist nach den obigen Ausführungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien seitens der dortigen Behörden der Folter ausgesetzt würden.

Nach § 60 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat ihn wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Todesstrafe besteht. Es ist bereits fraglich, ob der georgische Staat den Kläger zu 1) wegen der Ermordung seiner Vorgesetzten in Abchasien sucht; jedenfalls droht ihm im Kernland Georgien deswegen nicht die Todesstrafe, denn die Todesstrafe wurde durch Beschluss des georgischen Parlaments vom 11.11.1997 abgeschafft (vgl. AA, Lagebericht Georgien vom 24.04.2006).

Abschiebungsschutz ist den Klägern jedoch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

Der Kläger zu 1) ist nach den von ihm vorgelegten, glaubhaften Kurzgutachten seiner Ärztin an einer paranoiden Schizophrenie und einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt.

Nach der nahezu einhelligen Auskunftslage sind die allgemeine medizinische Versorgungslage und die psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten in Georgien völlig unzureichend (vgl. AA, Lagebericht Georgien vom 24.04.2006; Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Georgien: Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis C und der Umgang mit Drogensüchtigen" vom 21.06.2005; Transkaukasus-Instituts an das VG Meiningen vom 11.02.2005; Österreichisches Rotes Kreuz, Reisebericht Georgien 18. - 25. Mai 2003). Zwar besteht theoretisch freier Zugang zu medizinischer Behandlung bei bestimmten Krankheiten, tatsächlich muss die georgische Bevölkerung jedoch nahezu alle Behandlungskosten selbst zahlen. Zudem müssen die Patienten zusätzliche Kosten für die Ärzte, das Pflegepersonal und das Krankenbett übernehmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Georgien: Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis C und der Umgang mit Drogensüchtigen" vom 21.06.2005). In besonders schlechtem Zustand sind die psychiatrischen Krankenhäuser, in denen es zudem viel zu wenig Betten gebe (vgl. Östereichisches Rotes Kreuz, Reisebericht Georgien 18. - 25. Mai 2003). Zwar soll eine psychiatrische Behandlung nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24.04.2006 in schweren Fällen kostenlos sein; das Auswärtige Amt räumt jedoch selber ein, dass die Finanzierung dieser Behandlungsprogramme angesichts der großen Finanzprobleme des Staates nicht immer gesichert ist. Aus anderen Auskünften ergibt sich dementsprechend auch, dass nahezu alles von den Patienten bezahlt werden muss (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis C und der Umgang mit Drogensüchtigen vom 21.06.2005; Transkaukasus-Instituts vom 11.02.2005; Östereichisches Rotes Kreuz, Reisebericht Georgien 18. – 25. Mai 2003). Auch die Versorgung mit Medikamenten kann nur mit erheblichen finanziellen Mittel ermöglicht werden. Es kann dahinstehen, ob die Medikamente, die der Kläger zu 1) in Deutschland bekommt, in Georgien überhaupt erhältlich sind. Die Kläger werden in ihrem Heimatland voraussichtlich nicht die finanziellen Mittel haben, die erforderlichen Medikamente zu erwerben.

Schon für ethnische Georgier, die aus Abchasien geflüchtet sind, ist es schwierig, in Georgien den nötigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Zudem ist fraglich, ob die Kläger überhaupt in den Genuss dieser staatlichen Leistungen kommen würden. Angesichts des Umstandes, dass so gut wie keine männlichen ethnischen Abchasen im wehrfähigen Alter im Kernland Georgien bekannt sind, sind auch keine gesicherten Auskünfte darüber auffindbar, ob diese vom georgischen Staat ebenso behandelt werden, wie Binnenflüchtlinge georgischer Volkszugehörigkeit. Selbst wenn die Kläger die staatliche Unterstützung in Höhe von 12 Lari monatlich erhalten würden, hält es das Gericht für ausgeschlossen, dass davon die nach Ansicht seiner Ärztin lebensnotwendigen Medikamente für den Kläger zu 1) finanziert werden können. Eine Möglichkeit für die Kläger, den notwendigen Lebensunterhalt und die Medikamentenkosten durch Arbeitslohn sicherzustellen, erscheint völlig unwahrscheinlich. Schon für Binnenflüchtlinge georgischer Volkszugehörigkeit ist es nahezu unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden, wenn überhaupt, dann nur eine geringst bezahlteAushilfsstelle (Östereichisches Rotes Kreuz, Reisebericht Georgien 18. - 25. Mai 2003). Chancen auf Arbeitsplätze für ethnische Abchasen, die in der georgischen Zivilbevölkerung aufgrund des Abchasien-Krieges nicht gut angesehen sind, dürften nicht vorhanden sein. Die Kläger können auch nicht auf die Hilfe von Verwandten zurückgreifen, da sie nach den Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung keine Verwandten im Kernland von Georgien haben.