VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 28.06.2006 - 2 K 1409/01 - asyl.net: M8765
https://www.asyl.net/rsdb/M8765
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Passlosigkeit, Chinesen, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Identität ungeklärt, Verschulden
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 82 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem hier allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG; die Versagung verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG darf eine Aufenthaltserlaubnis allerdings nur erteilt werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger unverschuldet im Sinne dieser Vorschrift an seiner freiwilligen Ausreise gehindert ist. Verschulden liegt nach der nicht abschließenden Legaldefinition in § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG insbesondere vor, wenn der Ausländer falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

Ob der Kläger falsche Angaben macht oder über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit täuscht (1. und 2. Alt in § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG) steht nicht fest. Aus dem Verhalten der chinesischen Botschaft, die wiederholt mitgeteilt hat, der Kläger könne nicht identifiziert werden, kann nicht geschlossen werden, dass er tatsächlich unzutreffende Angaben macht (anders als die Clearingstelle T. oder auch die ZAB wohl meinen). Dies würde erst feststehen, wenn der Kläger aufgrund anderer Angaben als bisher von den chinesischen Behörden identifiziert werden würde. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nach der Erfahrung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 8.11.2005, S. 44) die chinesischen Regierungsbehörden wenig Bereitschaft an einer Identifizierung ihrer mutmaßlichen Staatsangehörigen und geringes Interesse an einer Rückübernahme abgelehnter Asylbewerber haben. Zudem ist gesetzmäßiges Handeln der staatlichen Organe in der VR China nicht immer gewährleistet; vielmehr sind Behördenwillkür und Korruption traditionell weit verbreitet (vgl. Auswärtiges Amt, aaO, S. 6 und 9).

Das Gericht ist allerdings nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse i.S.d. § 25 Abs. 4 Satz 4 3. Alt. AufenthG erfüllt hat.

Grundsätzlich obliegt es gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dem Kläger, alle seine Belange und für ihn günstige Umstände sowie die erforderlichen Mittel zur Glaubhaftmachung unverzüglich geltend zu machen und beizubringen (vgl. zum früheren § 30 AuslG: BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, DVBl. 1999, 546 ff.). So ist es in erster Linie Sache des Ausländers, seine Identität aufzuklären und sich bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Ausweispapiers oder sonstigen Reisedokuments zu bemühen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 14.3.2006, 18 E 924/04, Juris). Der Ausländer muss sich frühzeitig und nachhaltig um die Beseitigung der Ausreisehindernisse bemühen, um seinen Verbleib im Bundesgebiet abzukürzen, und er muss hierfür zumutbare Anstrengungen unternehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.1998, InfAuslR 1999, 110 ff. und Beschl. v. 30.4.1997, - 1 B 74.97, Juris). Vorwerfbar ist es, wenn der Ausländer durch ein in seinem freien Willen stehendes Verhalten seine freiwillige Ausreise und seine Abschiebung verhindert oder nachhaltig verzögert (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, DVBl. 1999, 546 ff.). So kann er bei rechtsmissbräuchlicher Verzögerung der Rückführung in die Heimat keine Aufenthaltstitel beanspruchen (vgl. OVG Rhld.-Pf., Beschl. v. 14.6.2000, AuAS 2000, 172). Zweifel in Bezug auf die Unmöglichkeit der Passbeschaffung gehen nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen regelmäßig zu Lasten des Ausländers (vgl. OVG NW, Beschl. v. 14.3.2006, - 18 E 924/04, Juris; Beschl. v. 21.3.2005, 18 A 4184/03; Urt. v. 9.2.1999, DVBl. 1999, 1222 ff.; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. § 25 AufenthG RdNr. 36).

Allerdings hat die Ausländerbehörde die Aufgabe, den Betreffenden auf diese Pflichten hinzuweisen, ggf. auch auf etwaige Folgen der Nichtmitwirkung (§ 82 Abs. 3 AufenthG). Erst wenn der Ausländer die (üblichen) Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann (vgl. OVG NW, Beschl. v. 14.3.2006, - 18 E 924/04, Juris). Daher ist im jeweiligen Einzelfall anhand der konkreten Umstände (st. Rspr. vgl., BVerwG, Beschl. v. 30.3.2005, NVwZ 2005, 709 m.w.N.) zu prüfen und zu bewerten, ob der Ausländer alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung des bestehenden Ausreisehindernisses unternommen hat oder ob womöglich die Ausländerbehörde verpflichtet gewesen wäre, dem Ausländer Hinweise auf bestimmte Mitwirkungspflichten zu erteilen. So vertritt etwa der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 23.3.2006, - 24 B 05.2889, Juris) die Auffassung, dass es nicht möglich sei, die Verantwortung für die Beseitigung von Ausreisehindernissen entweder der Ausländerbehörde oder dem Ausländer allein und ausschließlich aufzuerlegen. Ähnlich äußert sich das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 18.1.2006, - 18 B 1772/05, Juris), wonach die unzureichende Mitwirkung des Ausländers bei der Passbeschaffung kausal dafür sein muss, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden.

Über die Zumutbarkeit der dem Kläger obliegenden Handlungen ist - wie ausgeführt - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.3.2005, aaO).

Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger von sich aus Anstrengungen unternommen hat, um bei seiner Identifizierung mitzuwirken. Es liegt auf der Hand, dass er spätestens seit 1995 in Eigeninitiative zu seinen Verwandten oder ggf. Freunden und Bekannten hätte (brieflich oder telefonisch) Kontakt aufnehmen können, um sich Identifikationsnachweise schicken zu lassen. Dies zu tun obliegt ihm aufgrund der dargestellten Rechtslage, selbst wenn er persönlich kein Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland hat.