OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 18.09.2006 - 34 Wx 113/06 - asyl.net: M8814
https://www.asyl.net/rsdb/M8814
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Anhörung, Ehegatte, Sachaufklärungspflicht
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2; FreihEntzG § 5 Abs. 3 S. 2; FreihEntzG § 5 Abs. 3 S. 3; FGG § 12
Auszüge:

2. Der Beschluss des Landgerichts hat keinen Bestand, weil das Verfahren auf einer Rechtsverletzung beruht.

b) Jedoch rügt der Betroffene zu Recht die unterbliebene Anhörung seiner Ehefrau. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG ist, sofern die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, auch der Ehegatte des Betroffenen zu hören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist. Kommt es in einem Abschiebungsverfahren auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen an, ist die persönliche Anhörung des Ehepartners grundsätzlich unerlässlich (BayObLG InfAuslR 2001, 174). Die Anhörung hat mündlich stattzufinden und ist ein wesentlicher Bestandteil der dem Gericht obliegenden Sachaufklärungspflicht. Die Regelung des § 5 Abs. 3 FreihEntzG soll einen Mindeststandard der nach § 12 FGG gebotenen Sachaufklärung sicherstellen und gehört zu denjenigen Vorschriften, ohne deren Beachtung eine Freiheitsentziehung nicht zulässig ist (OLG Düsseldorf vom 3.6.1996, 3 Wx 191/96; OLG Düsseldorf AuAS 1996, 258). Eine ohne Anhörung des Ehegatten erfolgte richterliche Entscheidung über die Anordnung oder die Fortdauer der Auslieferungshaft wird jedenfalls dann, wenn Gründe für ein Absehen der Anhörung nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 Satz 3 FreihEntzG nicht vorliegen, verfahrensfehlerhaft sein (OLG Celle InfAuslR 2005, 423 m.w.N.).

c) Das Verfahren des Tatrichters wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

(1) Aus dem Antrag der Ausländerbehörde ergab sich bereits, dass der Betroffene am 6.12.2005 noch im Rahmen des Strafvollzugs eine namentlich bekannte deutsche Staatsangehörige heiratete und nach der Haftentlassung (am 10.2.2006) zu dieser gezogen ist. Vor dem Amtsgericht berief sich der Betroffene auch ausdrücklich auf seine ehelichen und familiären Bindungen.

Weder das Amtsgericht noch das Landgericht haben § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG beachtet.

(2) Nach § 5 Abs. 3 Satz 4 FreihEntzG kann die Anhörung nur unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist. Zu dieser Ausnahme fehlen gerichtliche Feststellungen. Die Ehefrau ist Deutsche, ihre Anschrift im Bereich des Landgerichtsbezirks ist bekannt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Anhörung die Entscheidung wesentlich verzögert oder unverhältnismäßige Kosten verursacht hätte.

(3) Die Regelung in § 5 Abs. 3 FreihEntzG gehört zu denjenigen Vorschriften, ohne deren Beachtung nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG eine Freiheitsentziehung nicht zulässig ist (OLG Düsseldorf vom 3.6.1996, 3 Wx 191196; OLG Düsseldorf AuAS 1996, 258; KG FGPrax 1.995, 83/84 f.; OLG Celle InfAuslR 2005, 423). Auf die Frage der Erheblichkeit von Angaben des Ehegatten stellt § 5 Abs. 3 FreihEntzG nicht ab (OLG Celle aaO). Im Übrigen ist die Erheblichkeit der Anhörung gerade beim Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wegen § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht auszuschließen. Zudem muss der Haftrichter in jedem Einzelfall auch im Rahmen der übrigen Haftgründe die Vereinbarkeit der Haft mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot sowie Art. 2 und Art. 6 GG prüfen (Renner Ausländerrecht 8. Aufl. § 62 Rn. 5 und 11). § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG bietet zur Aufklärung dieser Umstände den formalen Rahmen.