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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 17.09.2006 - 1 B 102.06 - asyl.net: M8827
https://www.asyl.net/rsdb/M8827
Leitsatz:
Schlagwörter: Revisionsverfahren, rechtliches Gehör, Überraschungsentscheidung, Darlegungserfordernis, mündliche Verhandlung, Fernbleiben, Bundesamt, Berg-Karabach, Aserbaidschan, Armenier, interne Fluchtalternative
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 133 Abs. 3 S. 3
Auszüge:

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.

Die Beschwerde rügt eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil es sich bei dem angefochtenen Urteil um eine unzulässige Überraschungsentscheidung handele. Das Berufungsgericht habe ohne Ankündigung seine ständige Rechtsprechung geändert, dass die Praxis der "Ausbürgerung" von armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan des politischen Charakters entbehre und sie zudem in Berg-Karabach eine zumutbare und erreichbare inländische Fluchtalternative hätten. Im Hinblick auf beide Fragen habe das Gericht in der angefochtenen Entscheidung eine "Kehrtwende" vollzogen, ohne dass die Beklagte Gelegenheit gehabt hätte, sich zu dieser Entwicklung fundiert zu äußern und gegebenenfalls nötige prozessuale Schritte vorzubereiten.

Damit wird die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine so genannte Überraschungsentscheidung nicht schlüssig dargetan. So beachtet die Beklagte nicht, dass in dem hier vorliegenden Fall, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, der Anspruch auf rechtliches Gehör vor allem das Recht der Partei auf Äußerung in dieser Verhandlung begründet (vgl. BVerfGE 42. 364 <370>; 86, 133 <144 f.>; Urteil vom 13. November 1980 - BVerwG 5 C 18.79 - BVerwGE 61, 145 <146 f.>: Beschluss vom 20. Dezember 2000 - BVerwG 8 B 238.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 31). Da die Beklagte der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2006 ohne Angabe von Gründen ferngeblieben ist und sie in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass bei Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne, hat sie dem Berufungsgericht schon keine Gelegenheit gegeben, den Fall auch im Hinblick auf mögliche Änderungen bisheriger Rechtsauffassungen mit ihr zu erörtern. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde schon im Hinblick hierauf keinen Erfolg haben kann. Jedenfalls fehlt es bereits an der erforderlichen Darlegung dessen, was auf den vermissten Hinweis des Berufungsgerichts im Einzelnen noch vorgetragen worden wäre, um das Berufungsgericht zur Aufgabe seiner zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG führenden Rechtsprechungsänderung zu bewegen. Die schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt, erfordert regelmäßig die substanziierte Darlegung dessen, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgebracht hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 28. Januar 2003 - BVerwG 4 B 4.03 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53; Beschluss vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 188.99 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 44).