VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 06.10.2006 - 19 C 06.1355 - asyl.net: M8840
https://www.asyl.net/rsdb/M8840
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Integrationskurs, Anspruch, Ermessen, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Suspensiveffekt, Bindungswirkung, Anerkennungsbescheid, Aufenthaltsdauer, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 44 Abs. 1; AufenthG § 44 Abs. 4; AsylVfG § 75; VwGO § 80; AsylVfG § 4 Abs. 1
Auszüge:

Die gemäß § 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet, denn die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass dem bedürftigen Kläger unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu gewähren ist (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).

Der die Teilnahme des Klägers an einem Integrationskurs ablehnende Bescheid vom 16. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2006 (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) begegnet Bedenken, soweit die Beklagte angesichts der Einleitung des asylrechtlichen Widerrufsverfahrens den Fortbestand der Aufenthaltserlaubnis, darüber hinausgehend den Daueraufenthalt des Klägers in Deutschland in Frage stellt und das zu den tragenden Ermessenserwägungen ihrer Ablehnung macht.

Die Beteiligten gehen wohl zutreffend davon aus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat. Zwar erfüllt er die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c AufenthG, aber bezüglich der künftigen Dauer des Aufenthalts steht ihm wegen des laufenden Widerrufsverfahrens die Regelvermutung des § 44 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht zur Seite. In einem derartigen Fall schafft aber § 44 Abs. 4 AufenthG die Möglichkeit, dem Bewerber eine Teilnahme am Integrationskurs im Ermessenswege einzuräumen. Denn hiernach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze - dass es hieran fehlte, macht die Beklagte nicht geltend - zur Teilnahme zugelassen werden. Der Kläger ist ersichtlich vom Wortlaut dieser Bestimmung erfasst, nach dem gerade Personen einbezogen sind, die vormals einen Anspruch auf den Zugang zum Integrationskurs hatten (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c AufenthG).

Zugunsten des Klägers spricht der Umstand, dass seiner Klage gegen den Widerspruchsbescheid gemäß § 80 Abs. 1 VwGO und dessen Grundsatz aufgreifend, speziell nach § 75 AsylVfG aufschiebende Wirkung zukommt mit der Folge, dass die verliehene Feststellung des Abschiebungsverbotes gemäß § 51 Abs. 1 AuslG bis zur Bestandskraft des Widerrufs seine Verbindlichkeit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG behält. Diese eigentlich selbstverständliche Sicht wird e contrario durch § 73 Abs. 2 a Satz 4 AsylVfG noch erhärtet. Demnach steht dem Kläger die neuerlich am 15. Juni 2006 erteilte Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c, § 25 Abs. 2 AufenthG auch zu (vgl. Marx, Kommentar zum AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNr. 270 zu § 73 m.w.N.). Dass der Kläger damit eine wesentliche Voraussetzung für eine Teilnahme am Integrationskurs erfüllt, darf bei der Ermessensentscheidung § 44 Abs. 4 AufenthG nicht außer Betracht bleiben.

Soweit die Beklagte den Blick auf die (ihrer Meinung nach fehlende) Dauerhaftigkeit des Aufenthalts richtet, stellt sich zunächst die Frage, ob jene überhaupt eine strikte Voraussetzung für eine Förderung nach § 44 Abs. 4 AufenthG ist. Ohne nähere Erörterung geht die Beklagte im Widerspruchsbescheid davon aus, wobei der Wortlaut des § 44 Abs. 4 AufenthG das nicht nahe legt. Denn hiernach kann im Falle eines nicht vorhandenen Anspruchs auf Teilnahme diese im Ermessenswege gewährt werden. Dass das nicht gelten sollte, wenn der Teilnahmeanspruch an der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts scheitert, ist nicht erkennbar.

Noch bedenklicher ist der Standpunkt der Beklagten, wonach die Prüfung des Bundesamtes nach Ermessen gemäß § 44 Abs. 4 AufenthG die Nichteinleitung eines asylrechtlichen Widerrufsverfahrens zur Voraussetzung habe, dass also im Falle des gemäß § 73 AsylVfG erlassenen Widerrufs (erst recht) die Gewährung einer Teilnahme am Integrationskurs schlechthin ausgeschlossen sei.

Näher liegt es, einen künftig zu erwartenden Aufenthalt als Ermessensgesichtspunkt heranzuziehen. Diesen hat die Beklagte bei ihren Erwägungen aber nicht mit Gewicht versehen. So hat sie nicht ausgeführt, dass die "Bildungsinvestition" bei einem verfügbaren Platz als Voraussetzung ohnehin z. B. durch Reisekosten oder Lernmittel nennenswerte Kosten verursacht und dieser Aufwand nur dann sinnvoll ist, wenn die vermittelten Inhalte auch das Integrationsziel zu fördern geeignet sind, was einen längeren zu erwartenden Verbleib in Deutschland voraussetzt. Weiterhin stellt die Beklagte die nahe liegende Überlegung, dass Integrationskurse die Verwurzelung fördern und dadurch das Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK gesteigertes Gewicht gewinnen kann, so dass die Rückführung eines - nach den Erwartungen der Beklagten - grundsätzlich ausreisepflichtigen Ausländers erschwert oder gar unmöglich wird, ebenfalls nicht an. Ein einigermaßen gewichtiger, etwa wirtschaftlicher oder ordnungspolitischer Belang für ihre Ablehnung wird damit nicht deutlich.

.Schließlich ist auch im Falle eines Widerrufs ein alsbaldiges Verlassen der Bundesrepublik Deutschland durch den Kläger nicht absehbar. Denn nach der Rechtsprechung der für die Frage einer Rückführung im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zuständigen Senate des Verwaltungsgerichtshofs besteht seit geraumer Zeit eine dem § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG entsprechende Erlasslage (U. v. 6.7.2006 - 23 B 06.30064; B. v. 16.1.2006 - 13 a B 05.30782; so auch Beschluss Nr. 1 zu Tagesordnungspunkt 10 der Innenministerkonferenz vom 5.5.2006, Asylinfo 6/2006, 7). Auch eine allein an der tatsächlichen Möglichkeit scheiternde Abschiebung ließe eine alsbaldige Beendigung des Aufenthalts nicht erwarten.