VG Münster

Merkliste
Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 17.02.2006 - 10 K 339/04.A - asyl.net: M8851
https://www.asyl.net/rsdb/M8851
Leitsatz:
Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kinder, alleinstehende Personen, alleinerziehende Frauen, soziale Bindungen, HIV/Aids, Versorgungslage, medizinische Versorgung, Situation bei Rückkehr, Semi-Immunität, Malaria, in Deutschland geborene Kinder
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg, soweit die Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbotes in ihrer Person nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Demokratischen Republik Kongo sowie die entsprechende Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes begehren.

Denn die Kläger würden nach der Überzeugung des Gerichts unmittelbar nach ihrer Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo in eine extreme Gefahrenlage im o.g. Sinne geraten.

Die wirtschaftliche Lage der Demokratischen Republik Kongo ist verheerend. Die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln ist weiterhin angespannt.

Das Gesundheitswesen in der Demokratischen Republik Kongo befindet sich in einem äußerst schlechten Zustand.

Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen hängt das Überleben der Menschen in der Demokratischen Republik Kongo von Improvisationsvermögen, Durchhaltewillen und der Durchsetzungskraft individuell handelnder Menschen ab. Kleinbürgerliche Selbstversorgungswirtschaft und ohne jede soziale Sicherung praktizierte Erwerbstätigkeit im sogenannten informellen Sektor der Städte bilden die Hauptgrundlage für das Überleben (vgl. Institut für Afrikakunde, Auskunft an das VG München vom 18. Mai 1999).

Auch wenn man davon ausgeht, dass angesichts der Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in Kinshasa und Umgebung für erwachsene Personen und auch für Mütter mit Kleinkindern grundsätzlich keine konkrete Gefahr besteht, aus Mangel an Nahrungsmitteln nicht überleben zu können (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95.A -, S. 44 des amtlichen Umdrucks), so gilt dies aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht für die Kläger im Alter von fünf bzw. sechs Jahren. Die Kläger könnten im Falle einer Abschiebung in den Kongo aufgrund ihres Alters ihre Versorgung mit Lebensmitteln nicht selbst sicherstellen, sondern wären auf die Hilfe anderer angewiesen. Derzeit ist aber offen, ob sie zusammen mit ihrer Mutter in den Kongo abgeschoben werden können. Zwar ist die Mutter der Kläger ausreisepflichtig. Bei ihr wurde allerdings kurze Zeit vor der mündlichen Verhandlung eine HIV-Infektion festgestellt. Es ist noch nicht geklärt, in welchem Stadium sich die HIV-Infektion befindet und welche Therapie erforderlich ist. Aber auch wenn die Mutter der Kläger in den Kongo abgeschoben werden könnte, würde sie aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein, die beiden Kläger sowie ihren weiteren minderjährigen Sohn ausreichend zu versorgen. Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erwägungen: Die Mutter der Kläger hält sich seit etwa zehn Jahren in Deutschland auf. Sie ist mit den heutigen Verhältnissen in der Demokratischen Republik Kongo in keiner Weise mehr vertraut. Sie könnte sich bei einer Rückkehr nach Kinshasa nicht auf die Unterstützung eines Familienverbandes verlassen, da sie im Kongo über keine Verwandten mehr verfügt. Ihr fehlten jegliche persönliche Bindungen und Beziehungen, die erforderlich wären um zumindest auf dem informellen Wirtschaftssektor das Existenzminimum für ihre Kinder zu erwirtschaften. Auf die Hilfe internationaler Organisationen werden sich die Kläger ebenfalls nicht verlassen können. Die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen setzt ein erhebliches Durchsetzungsvermögen voraus, das bei ihnen aufgrund ihres kindlichen Alters und auch bei ihrer Mutter aufgrund ihrer HIV-Infektion, ihrer langjährigen Abwesenheit in Kinshasa sowie aufgrund des Fehlens eines familiären Rückhalts nicht vorhanden ist. Die Mutter der Kläger würde sehr bald in eine Situation der völligen Überforderung gelangen, weil sie nicht nur Lebensmittel für ihre Kinder beschaffen müsste, sondern auch dafür Sorgen tragen müsste, die aufgrund ihrer HIV-Infektion erforderliche Behandlung zu erlangen und dafür Behandlungskosten aufzubringen, die in der Regel das Durchschnittseinkommen eines Kongolesen weit übersteigen. Somit spricht alles dafür, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr in den Kongo den täglichen Existenzkampf nicht bestehen würden und alsbald der Verelendung ausgesetzt wären.

Die konkret für die Kläger bereits durch das Fehlen der Grundversorgung gegebene extreme Gefahrenlage wird zusätzlich verschärft durch die hohe Gefahr, lebensbedrohlich oder mit schwersten Leiden verbunden zu erkranken und absehbar keine medizinische Hilfe zu finden. Die Krankheitsgefahr wird durch die Mangelernährung indiziert, der die Kläger nach obigen Ausführungen ausgesetzt sein würden. Darüber hinaus fehlt den in Deutschland geborenen Klägern die Semi-Immunität gegen den Malaria-Erreger. Eine Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten ist im Hinblick auf die bestehende und voraussichtlich anhaltende Mittellosigkeit der Kläger in der Demokratischen Republik Kongo mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.