LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.09.2006 - L 7 AY 4940/05 - asyl.net: M8913
https://www.asyl.net/rsdb/M8913
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Verschulden, Mitwirkungspflichten, Leistungskürzung, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Auslandsvertretung, Passverfügung, Formular, Zustellung, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AsylbLG § 1a Nr. 2; AufenthG § 60a Abs. 2; AsylbLG § 3 Abs. 1 S. 4; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die Kläger sind beide ehemalige Asylbewerber und derzeit im Besitz von Duldungen nach § 60a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (vom 30. Juli 2004, BGBl I 1950 - AufenthG). Sie gehören damit zum Kreis der Leistungsberechtigten. Ihnen stehen grundsätzlich Leistungen gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG einschließlich eines Taschengeldes nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG zu. Dieser Anspruch durfte nicht auf der Grundlage des § 1a Nr. 2 AsylbLG beschränkt werden. Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungsberechtigte Leistungen nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG für beide Kläger nicht vor.

Was den Kläger angeht, beruht dies auf Folgendem: Die vom zuständigen RP angeordnete Vorsprache bei der Botschaft der Republik Aserbaidschan konnte zu keinem Erfolg führen, da dem Aufforderungsschreiben ein fehlerhaftes Formular beigefügt war, das von der Botschaft nicht ausgefüllt werden konnte. Dieser Fehler kann dem Kläger nicht zugerechnet werden. Er ist der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig und musste davon ausgehen, dass das ihm übergebene Formular das richtige sei. Die zweite Aufforderung des RP hat der Kläger befolgt und dabei - wie er für den Senat glaubhaft in Übereinstimmung mit seinem früheren Vorbringen angegeben hat - wegen der infolge des Fehlers des RP unzureichenden Bescheinigung Beschimpfungen über sich ergehen lassen müssen.

Was die weitere Aufforderung zur Vorsprache bei der Botschaft angeht (vom 11. Oktober 2003), gibt es zwar einen Zustellungsnachweis (16. Oktober 2003) in den Akten; dieser bezieht sich jedoch auf ein anderes Aktenzeichen und auf ein Schreiben vom 9. Oktober 2003 und damit offenbar nicht auf den Bescheid vom 11. Oktober. Der Kläger hat den Zugang dieser Aufforderung stets verneint, was ihm angesichts seines sonst gezeigten Verhaltens geglaubt werden kann. Dazu kommt, dass diese Aufforderung mit der Androhung der Vorführung beim Generalkonsulat der Russischen Föderation erneut einen Fehler enthält, der die Mitarbeitsbereitschaft der aserbaidschanischen Botschaft nicht befördern dürfte. Das RP ist auf der Grundlage der bisherigen vergeblichen Bemühungen auch dazu übergegangen, den Kläger aufzufordern, entsprechende Formulare auszufüllen und selber die Rückreisepapiere zu beantragen. Bei diesen Bemühungen hat der Kläger die von ihm verlangten Angaben gemacht. Das heißt aber, dass die für die Abschiebung zuständige Behörde eine weitere Mitwirkung des Klägers in Form von Vorsprachen bei der Botschaft nicht mehr verlangt. Angesichts der geschilderten Vorgeschichte musste es sich ihm nicht aufdrängen, dass er gleichwohl aus eigenem Antrieb noch einmal bei der Vertretung seines Landes vorsprechen sollte, wie es der Beklagte offenbar meint.

Nach Ansicht des Senats kann dem Kläger dieses Unterlassen nicht als Obliegenheitsverletzung vorgehalten werden. Damit fehlt es aber an einem zurechenbaren Verhalten, das zu dem derzeitigen Zustand der Passlosigkeit und damit der fehlenden Möglichkeit der Aufenthaltsbeendigung geführt hat.

Dazu kommt ein weiteres: Eine Ausreise nach Aserbaidschan zum derzeitigen Zeitpunkt würde den Kläger voraussichtlich definitiv von seiner minderjährigen Tochter, der Klägerin, trennen. Unabhängig von deren offenbar nicht geklärter Staatsangehörigkeit existiert ihr gegenüber eine Abschiebungsandrohung des Bundesamtes in die Russische Föderation. Offensichtlich bemüht sich weder das RP noch die allgemeine Ausländerbehörde, Rückreisepapiere für die Klägerin nach Aserbaidschan zu beschaffen. Bei dieser Sachlage führte die Ausreise des Klägers notwendig zur Trennung von seiner minderjährigen Tochter, der gegenüber er personensorgeberechtigt und -verpflichtet ist. Die verlangte Ausreise stellte mithin eine Verletzung seines aus Artikel 6 Grundgesetz folgenden Elternrechts dar. Angesichts dieser Situation ist es auch unter diesem Gesichtspunkt nicht im Sinne des § 1a AsylbLG vom Kläger zu vertreten, dass derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen ihm gegenüber nicht vollzogen werden können. Dies beruht vielmehr auf anderen Gründen.