VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 25.09.2006 - W 7 K 06.30215 - asyl.net: M8919
https://www.asyl.net/rsdb/M8919
Leitsatz:

Gruppenverfolgung von Zeugen Jehovas in Eritrea.

 

Schlagwörter: Eritrea, Zeugen Jehovas, religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Glaubwürdigkeit, Folgeantrag, neue Beweismittel
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Gruppenverfolgung von Zeugen Jehovas in Eritrea.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet, denn der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf die Feststellung zu, dass bei ihr die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Bei dem Antrag der Klägerin vom 6. April 2006 an das Bundesamt handelt es sich um einen Folgeantrag i.S. des § 71 Abs. 1 AsylVfG.

Die Klägerin hat zur Begründung ihres Folgeantrages ausgeführt, dass sie nunmehr beweisen könne, dass sie - wie sie schon im Erstverfahren behauptet hat - Zeugin Jehovas sei. Sie beruft sich dabei auf neue Unterlagen, nämlich die eidesstattlichen Versicherungen von in Kanada lebenden Verwandten bzw. Bekannten vom 5. Januar 2006 bzw. vom 13. März 2006, auf eine Patientenverfügung sowie auf die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftstücke, Bücher und Broschüren, die dazu dienen sollen, sie im Glauben der Zeugen Jehovas anzuleiten, zu unterweisen und zu stärken und auch auf die bevorstehende Taufe vorzubereiten. Die Klägerin beruft sich also auf neue Beweismittel i.S. des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG.

Es bedarf hier keines Eingehens auf die im Bescheid des Bundesamtes gemachten Andeutungen, wonach nicht auszuschließen sei, dass es sich bei den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen um Gefälligkeitsschreiben handele. Dies kann so sein, muss aber so nicht sein. Die Klägerin hat nämlich in der mündlichen Verhandlung mehrere Bücher, Lose-Blatt-Sammlungen und Broschüren zur Einsichtnahme vorgelegt, in deren Besitz sie erst seit dem 13. August 2006 ist, die eindeutig von der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas herrühren und deren Sinn und Zweck ausschließlich darin besteht, die Klägerin in diesem Glauben zu unterweisen und anzuleiten. Eindeutig zu ihren Gunsten und damit für ihre Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas spricht auch, dass die Klägerin im Besitz von zwei Broschüren (eine auf tigrina und eine in englischer Sprache) ist, die dazu dienen, sie auf die Taufe vorzubereiten. Der Text dieser Broschüren weist zahlreiche handschriftliche, von der Klägerin herrührende Anmerkungen, Unterstreichungen und sonstige Bearbeitungsvermerke auf, weshalb für das Gericht kein Zweifel mehr daran besteht, dass die Klägerin tatsächlich Zeugin Jehovas ist.

Als Mitglied dieser Religionsgesellschaft hat die Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea aber eine politische Verfolgung wegen dieser Religionszugehörigkeit zu befürchten. Wie bereits der Bayer. VGH mit Urteil vom 24. Juni 2005 Nr. 9 B 04.30824 entschieden hat, hat sich die missliche Lage der Zeugen Jehovas etwa seit dem Jahre 2002 deutlich verschlechtert. Die Zeugen Jehovas z.B. weigerten sich, dem Staat die Listen mit den Namen und Adressen ihrer Mitglieder zu übergeben. Folglich sei noch keine Registrierung vorgenommen worden. Bis zur Registrierung seien Aktivitäten der nicht registrierten kleineren Religionsgesellschaften weiterhin unzulässig. Auch private Gebetszusammenkünfte in Privathäusern in kleinen Gruppen würden seither von den Sicherheitskräften aufgelöst, soweit sie ihnen bekannt werden. Die dabei ertappten Gläubigen würden vorübergehend verhaftet. Das Auswärtige Amt berichte, dass die Anhänger der kleinen Glaubensgemeinschaften in der Haft gefoltert würden, um sie für ihre Zugehörigkeit zu diesen Religionsgemeinschaften zu bestrafen.

Andere sollen in der Haft gezwungen worden sein, ihrem Glauben abzuschwören oder ihn nicht mehr zu praktizieren. Nur dann seien sie freigelassen worden. Anderen Berichten zufolge seien Verwandte der Inhaftierten ge-zwungen worden, solche Erklärungen zu unterschreiben, wenn die Inhaftierten sich weigerten, dies zu tun. Nach Ansicht des BayVGH spricht alles dafür, dass diese Behandlung der Zeugen Jehovas durch den eritreischen Staat wegen ihrer Verfolgungsdichte eine Gruppenverfolgung i.S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesverwaltungsgerichtes darstellt, weil auch das religiöse Existenzminimum nicht mehr gewährleistet sei.