1. Art. 31 der seit dem 1. Mai 2006 unmittelbar anwendbaren Richtlinie 2004/38/EG verlangt - anders als noch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - nicht die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Offen bleibt, ob Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (ebenso wie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden ist.
2. Die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger bestimmt sich nach § 55 AufenthG (Ermessensausweisung, st. Rspr. d. BVerwG seit dem Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315); die Grundsätze, die für die Aufenthaltsbeendigung von EU-Bürgern gelten (vgl. § 6 FreizügG/EU), sind nicht entsprechend anzuwenden (a.A. Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport v. 30.1.2006 - 45.22-12361 - unter Berufung auf Renner, ZAR 2005, 295 f.).
3. Ob die materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG über den erhöhten Ausweisungsschutz auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelten und wie insbesondere der Begriff der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" in Abs. 3 a auszulegen ist, bleibt ebenfalls offen.
1. Art. 31 der seit dem 1. Mai 2006 unmittelbar anwendbaren Richtlinie 2004/38/EG verlangt - anders als noch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - nicht die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Offen bleibt, ob Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (ebenso wie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG) auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden ist.
2. Die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger bestimmt sich nach § 55 AufenthG (Ermessensausweisung, st. Rspr. d. BVerwG seit dem Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315); die Grundsätze, die für die Aufenthaltsbeendigung von EU-Bürgern gelten (vgl. § 6 FreizügG/EU), sind nicht entsprechend anzuwenden (a.A. Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport v. 30.1.2006 - 45.22-12361 - unter Berufung auf Renner, ZAR 2005, 295 f.).
3. Ob die materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG über den erhöhten Ausweisungsschutz auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelten und wie insbesondere der Begriff der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" in Abs. 3 a auszulegen ist, bleibt ebenfalls offen.
(Amtliche Leitsätze)
Zwar ist die Ausweisungsverfügung nach nationalem Recht nicht zu beanstanden (1.). Sie steht jedoch nicht in Übereinklang mit dem ARB 1/80 (2.).
1) Die als "Regel-Ausweisung" ergangene Verfügung ist nach dem nationalen Recht nicht zu beanstanden.
2) Die Ausweisungsverfügung steht jedoch nicht in Übereinklang mit dem ARB 1/80.
a) Der Kläger unterfällt dem vom ARB 1/80 erfassten Personenkreis.
bb) Der Kläger hat seine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht dadurch verloren, dass er in der Vergangenheit keine ernsthaften Bemühungen unternommen hat, eine Berufstätigkeit auszuüben. Allerdings hatte der Senat noch im Beschluss vom 25. Juli 2005 in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht und dem Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 10.12.2004 - 18 B 2599/04 -, NVwZ-RR 2005, 572; ebenso Renner, AuslR, 8. Aufl., § 4 AufenthG Rdnr. 109) die Auffassung vertreten, dass ein türkischer Staatsangehöriger sich nicht auf Art. 7 Satz 1 ARB berufen könne, wenn er von den beschäftigungsbezogenen Rechten gar keinen Gebrauch machen wolle, sich also gar nicht konkret und ernsthaft um Arbeitsstellen im Bundesgebiet bewerbe. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht aufrecht erhalten werden. Der EuGH hatte bereits mit Urteil vom 07. Juli 2005 (C-373/03 - Aydinli -, AuAS 2005, 182 = DVBl. 2005, 1256) ausgeführt, dass Art. 7 Satz 1 ARB den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers Zugang zu einer Beschäftigung gewähre, ihnen jedoch keine Verpflichtung auferlege, eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wie dies in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehen sei. Die Aufnahme oder das ernsthafte Bemühen um Arbeit ist somit nicht Voraussetzung für die Weitergeltung eines aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworbenen Aufenthaltsrechtes.
cc) Der Kläger hat die aus Art. 7 Abs. 1 ARB 80 erlangte Rechtsposition auch nicht dadurch verloren, dass er bei Erlass der Ausweisungsverfügung bereits 26 Jahre alt und damit nach Auffassung des Beklagten kein "Familienangehöriger" im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 (mehr) war.
Der Begriff "Familienangehöriger" wird im ARB 1/80 nicht näher erläutert. Es könnte nahe liegen, den Kreis der Familienangehörigen im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ausschließlich nach nationalem Recht zu bestimmen. Hierfür spricht, dass allein die Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates darüber entscheidet, ob Angehörigen eines türkischen Arbeitnehmers als "Familienangehörigen" ein Nachzug und damit ein erstmaliger Zugang zum Mitgliedstaat gestattet werden soll, während Art. 7 ARB 1/80 nur die Folgen dieser vom Mitgliedstaat zugelassenen Einreise regelt (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl., § 4 AufenthG Rdnr. 102). Geht man von diesem Ansatz aus, wäre jeder Familienangehöriger im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, der in der Vergangenheit ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bei dem türkischen Arbeitnehmer zum Zwecke der Familienzusammenführung erlangt hat. Das können nach dem deutschen Aufenthaltsrecht nicht nur minderjährige ledige Kinder oder Ehegatten sein, sondern auch "sonstige Familienangehörige" (vgl. § 36 AufenthG). Der Kläger ist diesem Personenkreis gleichzustellen, da er im Bundesgebiet geboren ist.
Legt man den Begriff "Familienangehöriger" im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 in Anlehnung an die europarechtlichen Vorgaben aus, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes.
Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (abgedr. bei Renner, AuslR, 8. Aufl., S. 1248) sind Familienangehörige u.a. der Ehegatte und Verwandte in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind und denen Unterhalt gewährt wird, sowie Verwandte aufsteigender Linie, deren Unterhalt gewährt wird. Art. 10 ist mit Wirkung vom 30. April 2006 durch die Richtlinie 2004/38/EG (abgedr. bei Renner, AuslR, 8. Aufl., S. 1267) aufgehoben worden. Die Richtlinie 2004/38/EG enthält in Art. 2 Nr. 2 allerdings eine entsprechende Definition. Eine vergleichbare Definition findet sich zudem in dem ab 1. Januar 2005 geltenden § 3 Abs. 2 FreizügG/EU.
Auf die Frage, ob der Kläger auch im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch als Familienangehöriger anzusehen ist, kommt es nämlich nicht an. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zwar nur als Familienangehöriger erworben werden (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 30.9.2004 - C-275/02 - Ayaz -, NVwZ 2005, 73, wonach auch ein Stiefsohn Familienangehöriger sein kann, wenn er unter 21 Jahre alt ist bzw. über 21 Jahre alt ist, dann aber Unterhalt bezieht; der EuGH hat in jenem Urteil ausdrücklich auf die Definition von Familienangehörigen in der Verordnung Nr. 1612/68 verwiesen). Für das Fortbestehen der einmal erworbenen Rechte ist es dann aber unerheblich, ob der betreffende Ausländer noch weiterhin als Familienangehöriger anzusehen ist.
b) Die Ausweisungsverfügung entspricht nicht den von der Rechtsprechung zum ARB 1/80 entwickelten Anforderungen.
aa) Nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt allerdings, dass diese nicht mehr in einem Widerspruchsverfahren überprüft werden kann. Zwar stand der Bescheid ursprünglich im Widerspruch zu den Verfahrensanforderungen der Richtlinie 64/221/EWG (abgedr. bei Renner, AuslR, 8. Aufl., S. 1247). Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie verlangte, dass die Ausweisungsverfügung vor Abschluss des behördlichen Verfahrens noch durch eine unabhängige Stelle auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft wird. Diese Richtlinie ist jedoch nicht mehr aktuell. Mittlerweile gilt die Richtlinie 2004/38/EG, deren Umsetzungsfrist am 30. April 2006 abgelaufen war (vgl. Art. 38 Abs. 2, Art. 40 Abs. 1). Nach dieser Richtlinie ist lediglich noch erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung "ein Rechtsbehelf bei einem Gericht oder gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaates" eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind nunmehr (nur noch) die Rechtmäßigkeit (und nicht mehr die Zweckmäßigkeit) der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht zu überprüfen insbesondere darauf, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist (Art. 31 Abs. 3). Zwar ist die Richtlinie 2004/38/EG bisher nicht in deutsches Recht umgesetzt worden, doch gilt sie ab dem 1. Mai 2006 unmittelbar (vgl. Groß, Die Umsetzung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie im deutschen Recht, ZAR 2006, 61, 64).
bb) Die Ausweisungsverfügung erweist sich aber als rechtswidrig, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit dem Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315 = InfAuslR 2005, 26) assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Ermessen ausgewiesen werden können, wobei - wie bereits erwähnt - für die gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine Ermessensentscheidung. Allerdings heißt es dort - nachdem die Regelausweisung begründet worden ist -: "Unabhängig davon wäre eine Ausweisung auch unter Berücksichtigung dieser Vorschriften (gemeint ist das ARB 1/80) im Ermessen angemessen." Nähere Erläuterungen hierzu, insbesondere welche weitergehenden Ermessensüberlegungen angestellt wurden, sind dem Bescheid jedoch nicht zu entnehmen.
Die bislang fehlende Ermessensentscheidung kann nicht nachgeholt werden, weil der vom Bundesverwaltungsgericht hierfür eingeräumte Übergangszeitraum bis zum 31. Januar 2005 (vgl. Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 = InfAuslR 2005, 26) bereits bei Erlass des Bescheides abgelaufen war.
Der Auffassung des Beklagten, mit der er dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 30. Januar 2006 (Az. 45.22-12361-) und der dort übernommenen Meinung von Renner (ZAR 2005, S. 295) folgt und eine Ermessensentscheidung nicht für erforderlich hält, vermag der Senat nicht zuzustimmen.
Maßgeblich ist, dass bislang lediglich für EU-Bürger durch das ab 1. Januar 2005 geltende FreizügG/EU ausdrücklich geregelt worden ist, dass diese nicht (mehr) ausgewiesen werden können, sondern nur der Verlust des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt festzustellen ist. Es kann dahinstehen, ob diese nach § 6 FreizügG/EU zu treffende Feststellung - was Renner verneint - als eine Ermessensentscheidung ausgestaltet ist. Eine gleichlautende Regelung ist im ARB 1/80 nämlich nicht enthalten. Es besteht auch kein Anlass, die nunmehr für EU-Bürger getroffenen Regelungen vollständig auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige zu übertragen; denn das Aufenthaltsrecht der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist kein ihnen zustehendes Grundrecht vergleichbar mit dem Recht, das jeder Unionsbürger aufgrund von Art. 18 EG hat, sondern nur die notwendige Folge ihrer Rechte als Arbeitnehmer bzw. als Familienangehörige von Arbeitnehmern (vgl. Schlussantrag von Generalanwalt Geelhaed vom 25.5.2004 in C-275/02 - Ayaz, Rdnr. 39). Es ist mithin davon auszugehen, dass auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige (weiterhin) die Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes anzuwenden sind, ergänzt durch das ARB 1/80. Da der EuGH eine Ist- und Regelausweisung für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige als nicht zureichend angesehen hat (vgl. z.B. Urt. v. 29.4.2004 - C-482/01 u. 493/01 - Orfanopoulos und Olivieri -, InfAuslR 2004, 268), bleibt nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes nur eine Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG übrig.
Ist nach alledem eine Ermessensentscheidung der Beklagten erforderlich, ist der angefochtene Bescheid aufzuheben, da ein derartiges Ermessen bislang nicht ausgeübt worden ist.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist, ob und in welchem Umfang der Beklagte bei einer etwaigen neuen Ausweisung im Rahmen dieses Ermessens die Richtlinie 2004/38/EG, insbesondere deren Art. 28, zu berücksichtigen hat.