VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.03.2006 - 13 S 389/06 - asyl.net: M8944
https://www.asyl.net/rsdb/M8944
Leitsatz:

Bei § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (Erforderlichkeit eines Visums) kommt es nicht auf den bei der Einreise beabsichtigten, sondern auf den mit dem aktuellen Antrag verfolgten Aufenthaltszweck an (im Anschluss an VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.03.2006 - 11 S 1797/05). Die Frage, ob ein sog. Nachentschluss vorliegt, kann jedoch für die Ermessensausübung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von Bedeutung sein.

Zur Gültigkeit ausländischer Eheschließungen (hier: Dänemark).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Touristenvisum, Visum, Visum nach Einreise, Visumspflicht, erforderliches Visum, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Ehegattennachzug, Eheschließung, Dänemark, Legalisierungsbescheinigung, Ermessen
Normen: AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthV § 39 Nr. 5
Auszüge:

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerde hat sachlich keinen Erfolg; die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung das Beschwerdegericht beschränkt ist (siehe § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führen nicht zu dem Ergebnis, dass der von der Antragstellerin angefochtene Beschluss abzuändern und der Antragstellerin der von ihr beantragte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren ist.

Da der Senat bei der gerichtlichen Überprüfung auf die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vorgebrachten rechtlichen Bedenken beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat der Senat nicht zu prüfen, ob das Begehren der Antragstellerin aus § 39 AufenthV begründet wäre. Nach § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer unabhängig von der Regelung des Aufenthaltsgesetzes einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er aufgrund einer Eheschließung während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat und wenn zusätzlich die Abschiebung des Ausländers nach § 60 a AufenthG ausgesetzt ist. An dieser zweiten Voraussetzung fehlt es jedenfalls, da eine entsprechende ausländerrechtliche Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung weder vorliegt noch von der Antragstellerin begehrt worden ist. Zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits weist der Senat allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Tatsache der Eheschließung in Dänemark der Anwendung des § 39 Nr. 5 AufenthV wohl nicht entgegenstehen würde (zur Anerkennung einer ausländischen Eheschließung siehe Amtliche Begründung zu § 39 AufenthV - BR-Drcks. 731/04, zu Nr. 5). Außerdem dürfte davon auszugehen sein, dass die in Dänemark erfolgte Eheschließung schon dann ausländerrechtlich beachtlich ist, wenn sie die dortigen Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt (siehe dazu Marx in GK-AufenthG, RdNr. 43 zu § 28 und Welte in Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Rdnr. 29 zu § 28); die von der Antragstellerin nach den dem Senat vorliegenden Akten noch immer nicht vorgelegte Legalisierungsbescheinigung dürfte in diesem Zusammenhang lediglich dem Nachweis der formgerecht erfolgten Eheschließung dienen. Das Fehlen der Bescheinigung stellt damit die (auch ausländerrechtliche) Gültigkeit der Ehe nicht entscheidend in Frage (siehe dazu OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.08.2002 - 8 WX 32.02 -, InfAuslR 2002, 478 und Welte a.a.O.).

Was die Problematik der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unmittelbar nach § 28 Abs. 1 AufenthG angeht, so hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die Annahme der Behörde, der Erteilung stehe § 5 Abs. 2 AufenthG entgegen, nicht ausreichend erschüttert. Sie trägt lediglich vor, ein sog. Nachentschluss sei gegeben gewesen, und belegt dies mit mehreren zu ihren Gunsten sprechenden Nachweisen und Indizien. Dieser Vortrag genügt allerdings nicht, um die entgegenstehende Auffassung des Ablehnungsbescheides und des Verwaltungsgerichts zu überwinden und einen Aufenthaltserlaubnisanspruch der Antragstellerin im erforderlichen Umfang glaubhaft zu machen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - im vorliegenden Fall einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG - voraus, "dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist". An dieser Voraussetzung fehlt es nach Auffassung des Ablehnungsbescheides deswegen, weil die Antragstellerin mit einem Besuchsvisum in das Bundesgebiet eingereist ist, das ihrem wahren Willen (Eheschließung) nicht entsprochen hat. Der Vortrag der Antragstellerin, sie habe zunächst in der Tat einen bloßen Besuchsaufenthalt beabsichtigt und sich erst später zur Ehe entschlossen, belegt demgegenüber nicht, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben sind; dies gilt auch dann, wenn er als zutreffend unterstellt wird. Wie bereits für die Vorgängerregelung des Ausländergesetzes entschieden worden ist (siehe dazu VGH Baden- Württemberg, Urteile vom 04.11.1996 - 1 S 1540/95 -, InfAuslR 1997, 242; vom 12.12.1995 - 13 S 3327/94 -, InfAuslR 1996, 138), kam es für die Visumsproblematik nicht darauf an, ob ein Sinneswandel vorlag oder nicht; entscheidend war vielmehr, ob der Ausländer bei der Einreise das Visum eingeholt hatte, das den jetzigen Aufenthaltszweck abdeckte (offen gelassen in BVerwG, Urteil vom 18.06.1996 - 1 C 17.95 -, BVerwGE 101, 265). Für die nunmehr geltende (sprachlich etwas abgewandelte) Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG geht der Senat ebenfalls davon aus, dass sich die Vorschrift zur Erforderlichkeit des Visums an demjenigen Aufenthaltstitel orientiert, um dessen Verlängerung bzw. Erteilung es nunmehr geht; für diese Interpretation sprechen neben der Vorgängerregelung die systematische Stellung des § 5 AufenthG bei den Erteilungsvoraussetzungen, die Tatsache, dass die frühere, auf den jeweiligen Willen abstellende Vermutungsvorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 AuslG ersatzlos gestrichen worden ist, und die Amtliche Begründung zu der die unerlaubte Einreise betreffenden Vorschrift des § 14 AufenthG (BT-Drcks. 15/420 (73) zu Abs. 1). Danach sollte nämlich durch den Verweis auf die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach § 4 AufenthG angesichts der unterschiedlichen Auffassung in Rechtsprechung und -lehre klargestellt werden, dass sich die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels "nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Aufenthaltszweck bemisst" (BT-Drcks., a.a.O.; s. auch BGH, Urteil vom 27.04.2005 - 2 StR 457/04 -, InfAuslR 2005, 332, und Benassi InfAuslR 2006, 182). Auch die systematische Selbständigkeit des § 39 AufenthV mit ihrer eigenen differenzierten Regelung der Einholung eines Aufenthaltstitels erst im Bundesgebiet legt die Annahme nahe, dass es bei § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Frage der "Erforderlichkeit" nicht auf den damaligen, sondern auf den nunmehr angestrebten Aufenthaltszweck ankommt (so auch Hessischer VGH, Beschluss vom 16.03.2005 - 12 TG 298/05 -, NVwZ 2006, 111; Zeitler in: HTKAuslR, § 5 AufenthG zu Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und insbesondere VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.03.2006 - 11 S 1797/05 - zur Veröffentlichung bestimmt -; a. A. bei nachträglichem Sinneswandel Hailbronner, AuslR, § 5 AufenthG RdNr. 50; Jakober, in: Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 5 AufenthG RdNr. 117 und Renner, AuslR, 8. Aufl., § 5 AufenthG RdNr. 47). Selbst bei einem nachträglich eingetretenen Sinneswandel kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin im Sinn des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem (nunmehr) erforderlichen Visum eingereist ist. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnet für diese Fälle der fehlenden Deckungsgleichheit zwischen Visum und aktuellem Aufenthaltszweck der Behörde Ermessen; sie kann von dem Erfordernis des dem Aufenthaltszweck entsprechenden Einreisevisums absehen, "wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen". Mit der Beschwerde wird allerdings nicht gerügt, die Antragstellerin sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AuslG seien nicht gegeben; zur Frage der von der Behörde verneinten Gültigkeit der Eheschließung äußert sich die Beschwerde nicht.