VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 24.10.2006 - 5 L 779/06 - asyl.net: M8947
https://www.asyl.net/rsdb/M8947
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Suizidgefahr, Glaubhaftmachung, fachärztliche Stellungnahmen, Glaubwürdigkeit, Privatleben, Integration, Sprachkenntnisse, Situation bei Rückkehr, Aufenthaltsdauer, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; EMRK Art. 8; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Der - sinngemäß gestellte - Antrag der Antragsteller, dem Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Antragsteller nach Sri Lanka abzuschieben und ihnen weiterhin Duldungen auszustellen, ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Abschiebungsschutzbegehren richtet sich nach § 60 a Abs. 2 AufenthG.

Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass - worauf sich die Antragsteller im Wesentlichen berufen - die Antragstellerin zu 2. unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet und wegen dieser Erkrankung aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig und ihre Abschiebung deshalb mit Blick auf Artikel 1, 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) rechtlich unmöglich und die Abschiebung allein der übrigen Antragsteller wegen der Trennung von der Ehefrau bzw. Mutter mit den Schutzwirkungen aus Artikel 6 GG bzw. Artikel 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht vereinbar ist.

Dabei glaubt das Gericht der Antragstellerin zu 2. schon das Vorliegen der behaupteten PTBS nicht, weil die Darstellungen der Antragstellerin über die angeblichen Verfolgungserlebnisse in ihrem Heimatland als Auslöser dieser Störung unglaubhaft sind. Das Gericht ist im Asylverfahren der Antragstellerin auf Grund der durchgeführten mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass ihr ihr Vorbringen nicht geglaubt werden kann.

Hinsichtlich der Ausführungen in dem Bericht der Universitätsklinik Münster fällt ins Gewicht, dass nach den dortigen Ausführungen eine Diagnostik angesichts der fehlenden Deutschkenntnisse der Antragstellerin nur schwer möglich war. Im Übrigen fällt auf, dass in den beiden genannten ärztlichen Stellungnahmen die untersuchenden Ärzte das Vorbringen der Antragstellerin jeweils ungeprüft übernommen haben, ohne die Richtigkeit ihrer Angaben zu überprüfen oder auch nur zu hinterfragen. Die Feststellung der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörung beruht danach offensichtlich auf der unkritischen Übernahme der eigenen Schilderungen der Patientin. Bei der Feststellung einer Krankheit eines Asylbewerbers ist aber zu berücksichtigen, dass dieser ein erhebliches Interesse an der Feststellung dieser Krankheit hat, um seine Abschiebung zu verhindern (vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 4. November 2003 - 15 A 5193/00.A - und VG Münster, Urteil vom 5. Oktober 2006 - 11 K 2434/04.A -).

Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine - äußerst komplexe - psychische Erkrankung wie die posttraumatische Belastungsstörung sich der Feststellung äußerlich objektivierbarer Befundtatsachen weitestgehend entzieht, so dass für deren Diagnose maßgeblich auf die Glaubhaftigkeit der geschilderten inneren Erlebnisse abgestellt werden muss (vgl. VG Münster, a. a. O., m. w. N.).

Ausgehend hiervon genügen die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen den Anforderungen an den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine akute psychische Erkrankung im Sinne einer depressiven Störung bei der Antragstellerin zu 2. vorliegt, ist nicht dargelegt, dass der Zustand der Antragstellerin zu 2. einer Abschiebung entgegensteht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das inlandsbezogene Vollstreckungshindernis der Reiseunfähigkeit nur dann zu bejahen ist, wenn sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als deren unmittelbare Folge wesentlich verschlechtern wird. Soweit sich unterhalb dieser Schwelle durch die Abschiebung eine Gesundheitsverschlechterung einstellen sollte, hat der Ausländer dies grundsätzlich hinzunehmen. Nicht jede mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr in das Heimatland einhergehende - damit letztlich abschiebungsbedingte - Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann zu einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) wegen Reiseunfähigkeit führen. Das Aufenthaltsgesetz sieht die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vor und nimmt die in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartenden Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen damit in Kauf und lässt sie nur unter besonderen Umständen als Duldungsgründe gelten. Bei psychischen Erkrankungen kann davon nur ausgegangen werden, wenn die ernsthafte Gefahr der Selbsttötung unmittelbar durch die Abschiebung droht und dieser Gefahr nicht durch ärztliche Hilfen bis hin zu einer Flugbegleitung begegnet werden kann (vgl. VG Münster, Beschlüsse vom 10. April 2006 - 8 L 45/06 -, vom 12. April 2006 - 5 L 268/06 - und vom 11. Oktober 2006 - 5 L 753/06 -; ständige Rechtsprechung des 18. Senats des OVG NRW, u. a. Beschluss vom 17. Februar 2006 - 18 B 52/06 - m. w. N.).

Soweit die Antragsteller darüber hinaus geltend machen, dass wegen ihrer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse eine Abschiebung rechtlich unmöglich sei, haben sie ebenfalls das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht.

Allerdings kann sich die rechtliche Unmöglichkeit im Sinne des § 60 a Abs. 2 AufenthG aus Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, aus dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und aus Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergeben (vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 18 B 1725/06 -, m. w. N.).

Die Vorschrift des Artikel 8 Abs. 1 EMRK darf jedoch nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen oder vermittle diesem ein Aufenthaltsrecht allein deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit lang im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat (vgl. OVG NRW, a. a. O.; VG Münster, u. a. Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 L 753/06 -).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach einem langen Aufenthalt sind für sich allein genommen noch kein Eingriff in das Privatleben des Ausländers im Sinne von Artikel 8 Abs. 1 EMRK. Dies haben die Antragsteller nicht dargetan und erst recht nicht glaubhaft gemacht. Alleine der Umstand, dass der Antragsteller zu 1. zeitweise einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, reicht für die Annahme einer faktischen Integration im oben angeführten Sinne nicht aus. Dagegen spricht vielmehr beispielsweise die Tatsache, dass die Antragstellerin zu 2. ausweislich der vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen die deutsche Sprache nicht beherrscht; dies ist aber als eine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer erfolgten erfolgreichen Integration anzusehen.