OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 28.04.2005 - 34 Wx 045/05 - asyl.net: M8971
https://www.asyl.net/rsdb/M8971
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Asylgesuch, Drittstaatenregelung, Asylantrag, Sachaufklärungspflicht, Anhörung, Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Verhältnismäßigkeit
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2; AsylVfG § 26a Abs. 2; AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 3; AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5; AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 3; FGG § 12; FreihEntzG § 5 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

1. Zutreffend ist das Landgericht jedenfalls vom Vorliegen eines Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ausgegangen.

Das Asylgesuch des Betroffenen beim Haftrichter im Rahmen seiner Anhörung hindert die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftanordnung nicht, da es kein Aufenthaltsrecht gemäß § 55 Abs. 1 AsylVfG begründet. Der Betroffene reiste auf dem Landweg und damit in jedem Fall über einen sicheren Drittstaat (§ 26a Abs. 2 AsylVfG) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei einer solchen Fallgestaltung setzt die Erlangung einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) einen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylVfG voraus (vgl. BGHZ 153, 18).

Auch durch seinen formellen Asylantrag vom 10.3.2005 hat der Betroffene keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft befand. Die Abschiebungshaft wurde auch wegen eines Haftgrundes gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angeordnet. Damit steht der förmliche Asylantrag der Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht entgegen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).

Die vierwöchige Frist, binnen der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den formellen Asylantrag entscheiden muss, damit die Abschiebungshaft weiter aufrechterhalten werden kann (§ 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG), war im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts am 29.3.2005 noch nicht abgelaufen.

2. Dennoch ist der Beschluss des Landgerichts, soweit er das Rechtsmittel zurückweist, aufzuheben, weil das Gericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und somit gegen § 12 FGG verstoßen hat. Zudem hat das Landgericht den Betroffenen nicht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung persönlich angehört (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG; Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. Einl. Rn. 72). Eine weitere Aufklärung war hier aber unerlässlich, weil der ausweislose Betroffene Personalien angegeben hat, nach denen er minderjährig ist, Ermittlungen des Gerichts zum tatsächlichen Alter des Betroffenen bisher jedoch nicht stattgefunden haben.

3. Sollte das Landgericht nach entsprechender Überprüfung auch unter Würdigung des erweiterten Tatsachenvortrags der Ausländerbehörde im Rechtsbeschwerdeverfahren zu dem Ergebnis kommen, der Betroffene sei tatsächlich noch minderjährig, so ist Folgendes zu berücksichtigen:

Die Minderjährigkeit eines Ausländers schließt nicht generell die Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG aus (BayObLG Beschluss vom 26.6.2003, 4Z BR 38/03; BayObLGZ 2000, 203, jeweils zu § 57 Abs. 2 AuslG). Jedoch sind erhöhte Anforderungen an die Beachtung des Beschleunigungsgebots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Minderjährige sind besonders schutzbedürftig. Sie werden durch den Vollzug der Haftanordnung typischerweise erheblich betroffen und können dadurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs wird es deshalb regelmäßig erfordern, dass die Ausländerbehörde prüft, ob mildere Mittel als Haft zur Sicherung der zwangsweisen Ausreise in Betracht kommen, z.B. die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung (vgl. OLG Frankfurt am Main vom 30.8.2004, 20 W 245/04 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; KG Beschluss vom 18.3.2005, 26 W 84/04; OLG Köln vom 11.9.2002, 16 Wx 164/2002 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Falls die Ausländerbehörde solche Möglichkeiten nicht sieht, hat sie dies im Einzelnen darzulegen.