Die Auslieferung kann nicht für zulässig erklärt werden, weil ihr ein Auslieferungshindernis entgegensteht.
Wie bereits im Senatsbeschluss vom 10. Juli 2006 ausgeführt, ist die Auslieferung dann nicht zulässig, wenn sie mit dem nach Art. 25 des Grundgesetzes verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar ist. Während die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens ausländischer Strafurteile grundsätzlich nicht nachzuprüfen ist, besteht speziell bei Abwesenheitsverurteilungen die Pflicht zu untersuchen, ob insbesondere das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) beachtet worden ist. Für das Strafverfahren besteht danach das zwingende Gebot, dass ein Verfolgter im Rahmen der von der Verfahrensordnung des ausländischen Staates aufgestellten allgemeinen Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich nutzen können muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen und deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und ggf. auch Berücksichtigung zu erreichen. Unzulässig ist danach grundsätzlich die Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils insbesondere dann, wenn der Verfolgte weder über die Tatsachen der Durchführung und des Abschlusses des ihn betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war, noch ihm die Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (BVerfG NJW 1991, 1411; BGHSt 47, 120). Zulässig ist hingegen die Auslieferung in sog. Fluchtfällen; der weitgehende Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren für einen Verfolgten besteht dann nicht, wenn er sich dem ausländischen Strafverfahren willentlich entzogen und der Hauptverhandlung bewusst ferngeblieben ist. Diesen Grundsätzen entspricht auch der Neuregelung des IRG in §§ 73 und 83 Nr. 3, die seit dem 2. August 2006 in Kraft getreten ist.
Nach der Klärung der bisher noch offenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen ist nunmehr von Folgendem auszugehen:
Das dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Urteil des Strafgerichts in Mechelen vom 27. März 2003 (Az. ME.IRC 30/03 VER.03/966; Kanzlei Nummer: 485; Vermerk Nummer: ME 20.01.102715-99) ist ein sog. Versäumnisurteil nach belgischem Strafprozessrecht. Die Auslieferungsunterlagen ergeben, dass der Verfolgte in der Hauptverhandlung am 27. März 2003 nicht anwesend und auch nicht durch einen Verteidiger vertreten war. Eine Ladung zur Hauptverhandlung konnte ihm mangels Kenntnis einer Anschrift nicht zugestellt werden. Es handelt sich somit nicht um einen sog. Fluchtfall. Danach genügt das Abwesenheitsurteil nicht den nach den in der Bundesrepublik Deutschland zu beachtenden Mindestanforderungen, die an ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren zu stellen sind (OLG Karlsruhe StV 2004, 444).
Soweit grundsätzlich die Auslieferung zur Vollstreckung belgischer Abwesenheitsurteile mit der Begründung als zulässig erachtet wird, der Angeklagte könne nach Art. 187 der belgischen Strafprozessordnung das Urteil bis zum Eintritt der Verjährung durch einfachen Einspruch beseitigen (BGHSt 20, 198; Grützner/Pötz Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 2. Aufl. § 73 IRG Rn 88), muss jedoch gewährleistet sein, dass dem Verfolgten dieser nachträgliche Rechtsschutz auch tatsächlich zur Verfügung steht. Dies ist, wie nunmehr feststeht, nicht der Fall. Mit der Generalstaatsanwaltschaft und den belgischen Justizbehörden ist davon auszugehen, dass der Verfolgte im Rahmen seiner Anhörung durch die Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Alzey am 28. September 2005 von der Existenz des belgischen Abwesenheitsurteils und der (öffentlichen) Zustellung erfahren hat. Entsprechend den Darlegungen der Staatsanwaltschaft Mechelen begann ab diesem Zeitpunkt die Frist von 15 Tagen zu laufen, binnen welcher der Verfolgte gemäß Art. 187 der belgischen Strafprozessordnung gegen das Urteil hätte Einspruch einlegen und damit eine erneute Verhandlung in seiner Anwesenheit hätte erreichen können. Da er zu diesem Zeitpunkt in Belgien keinen Wohnsitz, Aufenthaltsort oder gewählten Wohnort hatte, verlängerte sich dieser Zeitraum um weitere 15 Tage, so dass die Frist am 28. Oktober 2005 abgelaufen ist. Einspruch hat der Verfolgte, so die Auskunft der Staatsanwaltschaft Mechelen, nicht eingelegt, so dass für ihn nicht mehr die Möglichkeit besteht, ein neues Verfahren zu erreichen.
Die Gründe, warum der Verfolgte nicht von der Möglichkeit des Rechtsbehelfs nach Art. 187 der belgischen Strafprozessordnung Gebrauch gemacht hat, stehen letztlich nicht fest, bei natürlicher Betrachtung kommt jedoch lediglich Unkenntnis über die belgische Rechtslage in Betracht. Dies kann ihm entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht zum Vorwurf gemacht werden. Eine Rechtsmittelbelehrung war dem belgischen Urteil nicht beigefügt und eine solche ist nach belgischem Recht auch nicht vorgesehen. In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe (StV 2004, 444) geht auch der Senat davon aus, dass eine Rechtsmittelbelehrung zur Sicherung der Rechte des Verfolgten auf ein faires Verfahren unerlässlich ist. Speziell bei dem Einspruch nach Art. 187 der belgischen Strafprozessordnung handelt es sich keineswegs um einen einfach gelagerten Rechtsbehelf. Die Unkenntnis dieser komplizierten Rechtslage kann dem Verfolgten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dass er bei seiner Anhörung am 28. September 2005 durch einen deutschen Rechtsanwalt vertreten war, ändert hieran nichts. Denn selbst in vorliegendem Auslieferungsverfahren waren mehrere Rückfragen bei den belgischen Justizbehörden zur Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Situation erforderlich. Der Verfolgte ist auch kein belgischer Staatsangehöriger, von dem die Kenntnis der Rechtsvorschriften seines Heimatlandes noch eher zu erwarten gewesen wäre.