VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 28.08.2006 - 10 F 45/06.A - asyl.net: M9012
https://www.asyl.net/rsdb/M9012
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Behinderte, Gehbehinderung, medizinische Versorgung, Existenzminimum, Situation bei Rückkehr, Sozialhilfe, Registrierung, Roma, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO zulässige Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 08.06.2005, 10 F 13/05.A, mit dem die Antragstellerin vergeblich begehrt hat, die Antragsgegnerin gemäß § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG festzustellen, bleibt ohne Erfolg.

Auch hinsichtlich § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet eine Abänderung dieses Beschlusses aus, da die Antragsgegnerin zu dem beantragten Wiederaufgreifen des Verfahrens, das nach § 49 VwVfG in ihren pflichtgemäßen Ermessen steht, im Hauptsacheverfahren nicht zu verpflichten sein wird.

Nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme im Klageverfahren steht zur Überzeugung der Kammer auf der Grundlage des vorliegenden fachchirurgischen Gutachtens über Art und Auswahl der bei der Antragstellerin unfallbedingt bestehenden körperlichen Behinderung, gegen dessen Verwertung weder die Beteiligten Bedenken erhoben haben, noch gerichtlicherseits Bedenken bestehen, zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Antragstellerin eine ausgeprägte Gehbehinderung, insbesondere bei längeren Strecken jedoch keine Gehunfähigkeit besteht, so dass eine "ständige Rollstuhlpflichtigkeit" bei ihr nicht besteht.

Die vorgenommene fachärztliche Bewertung durch den Gutachter verdeutlicht, dass der Antragstellerin bei Rückkehr in ihr Herkunftsland, den serbischen Teil von Serbien und Montenegro, bereits keine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes droht. Vielmehr hat die im Bundesgebiet erfolgte Behandlung der Unfallfolgen - ungeachtet der im Beschluss des Gerichts vom 08.06.2005 Grund des Entlassungsberichts des Universitätsklinikums des Saarlandes vom 26.10.2004 ihr attestierten fehlenden adäquaten Compleance - eine Stabilität erreicht, die keine weitergehende medizinische Behandlung in absehbarer Zukunft indiziert. Dies gilt auch für krankengymnastische Übungen und physikalische Therapien, da diese ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens allein der Erhaltung des erreichten Zustandes dienen und einer Verschlechterung des Krankenbildes bzw. der Beweglichkeit des rechten Armes vorbeugen sollen. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei Ausbleiben diesbezüglicher Therapiemöglichkeiten in ihrem Herkunftsland bereits konkret und zeitnah nach einer Rückkehr nach Serbien Montenegro eine wesentliche Verschlechterung des behinderungsbedingten Gesundheitszustandes wegen evtl. fehlender Möglichkeiten therapeutischer Hilfe mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit droht.

Ebenso wenig droht der Antragstellerin nach Rückkehr in ihr Herkunftsland wegen der festgestellten und auch von der Antragsgegnerin erkannten "nicht unerheblich eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten" eine sonstige existenzielle Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit der Antragstellerin zur Volksgruppe der Roma und der Lebensbedingungen die sie in ihrem Herkunftsland erwarten.

Aufgrund der vorliegenden Behinderungen wird die Antragstellerin in Serbien insbesondere auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten für Roma auf Zugang zum mehr als angespannten Arbeitsmarkt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) Stand: Ende Januar 2006, vom 28.02.2006, 508 - 516.80/3SCG -, S. 17, 18, 29 ff.) kann keine Chance haben, einer geregelten, ihren Lebensunterhalt auf Dauer gewährleistenden Tätigkeit nachzugehen. Dennoch besteht nach der Einschätzung der Kammer für sie keine Gefahr der Verelendung bzw. des Fehlens eines Existenzminimums. Nach dem vorliegenden Lagebericht (a.a.O., S. 25) besteht in Serbien-Montenegro das Instrument der Sozialhilfe. Diese wird denen gewährt, die arbeitsunfähig sind und keine sonstigen Mittel zum Unterhalt nachweisen können. Voraussetzung ist die Registrierung des Sozialhilfeempfängers in Serbien Montenegro, die nach den weiteren Angaben des Auswärtigen Amtes auch den Roma grundsätzlich Zugang zu allen staatlichen Einrichtungen und Dienstleistungen bietet, in der Registrierungspraxis aber ihre Schwierigkeiten hat, wenn die entsprechenden Antragsteller eine Reihe von Identitätsunterlagen (z.B. Geburtsunterlagen "nicht vorlegen" können) (a.a.O., S. 17). Nach den dortigen weiteren Angaben stellt die Registrierung allerdings im Falle der in (Inner-) Serbien geborenen Roma "üblicherweise kein Problem dar." Von daher bestehen hinsichtlich der Antragstellerin, die entweder im unmittelbaren Umkreis von Belgrad oder in der etwa 150 km südöstlich von Belgrad gelegenen Stadt Parazin geboren ist, keine durchgreifenden Bedenken, zumal dieser ausweislich der vorliegenden Ausländerakte vom Generalkonsulat von Serbien-Montenegro am 26.06.2006 Paßersatzpapiere ausgestellt worden sind, wonach sie in Belgrad geboren ist. Zwar führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht weiter aus (vgl. a.a.O. O., S. 25), dass der Bezug von Sozialhilfe zur Deckung der realen Lebenshaltungskosten "kaum" ausreiche. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass für die Antragstellerin in ihrem Herkunftsland das Existenzminimum nicht gewährleistet sein wird. Zu berücksichtigen ist nämlich weiter, wie im Beschluss vom 08.06.2005 bereits ausgeführt, dass die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie im serbischen Teil von Serbien-Montenegro über keinerlei familiären Rückhalt verfügt. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in dem erwähnten Lagebericht (a.a.O., S. 26) bestehen in Serbien-Montenegro allgemein noch relativ funktionsfähige familiäre und nachbarschaftliche Solidaritätsnetzwerke, die erfahrungsgemäß dazu führen, dass wohnungssuchende Personen bei Verwandten und Freunden unterkommen. Dies gilt erst recht für den traditionell familiär geprägten Zusammenhalt innerhalb der Minderheitengruppe der Roma.