VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 16.05.2006 - 10 K 4943/03 - asyl.net: M9026
https://www.asyl.net/rsdb/M9026
Leitsatz:

Die Zahnarztausbildung in der ehemaligen Sowjetunion ist nicht gleichwertig mit der deutschen Ausbildung. Eine andere Beurteilung ist im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung von EU-Recht nicht geboten, solange jedenfalls das "3-in-5-Erfordernis" nicht erfüllt ist. Mit der Erlaubnis nach § 13 ZHG kann dieses nicht erfüllt werden, wenn diese eine Tätigkeit nur unter Aufsicht und Verantwortung eines approbierten Zahnarztes erlaubt.

 

Schlagwörter: D (A), Zahnarzt, Approbation, Sowjetunion, Gleichwertigkeit, Ausbildung, Diplom, Arzt-Stomatologe, Gleichheitsgrundsatz, Gemeinschaftsrecht, Bundesvertriebenengesetz, Vertriebene
Normen: ZHG § 2 Abs. 1; ZHG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; ZHG § 13; GG Art. 3 Abs. 1; RL 78/686/EWG Art. 7b; RL 2005/36/EG Art. 23 Abs. 4; BVFG § 10 Abs. 2
Auszüge:

Die Zahnarztausbildung in der ehemaligen Sowjetunion ist nicht gleichwertig mit der deutschen Ausbildung. Eine andere Beurteilung ist im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung von EU-Recht nicht geboten, solange jedenfalls das "3-in-5-Erfordernis" nicht erfüllt ist. Mit der Erlaubnis nach § 13 ZHG kann dieses nicht erfüllt werden, wenn diese eine Tätigkeit nur unter Aufsicht und Verantwortung eines approbierten Zahnarztes erlaubt.

(Amtliche Leitsätze)

 

Soweit die Klage noch anhängig ist - Erteilung der zahnärztlichen Approbation -, ist sie zulässig, aber unbegründet.

2. Auch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZHG ist dem Kläger die Approbation als Zahnarzt nicht zu erteilen.

Nach dieser Vorschrift ist vorausgesetzt, dass der Kläger eine außerhalb des Geltungsbereiches des ZHG abgeschlossene Ausbildung für die Ausübung des zahnärztlichen Berufes erworben hat und die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben ist.

a) Der Kläger hat allerdings eine abgeschlossene Ausbildung für die Ausübung des zahnärztlichen Berufes in der ehemaligen Sowjetunion absolviert.

b) Der damit erreichte Ausbildungsstand ist indes nicht gleichwertig.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 98, 180; E 92, 88; NJW 2002, 456 jeweils zur entsprechenden Regelung in der BÄO; BVerwGE 102, 44; NJW 2002, 455 zu § 2 Abs. 2 ZHG) ist das Maß für die Prüfung der Gleichwertigkeit der Ausbildungsstand nach einem Studium der Zahnheilkunde von mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZHG). Der Vergleich dieses Ausbildungsstandes mit demjenigen, der sich nach Abschluss der in Rede stehenden ausländischen Ausbildung für die Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufes ergibt, stellt nicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweiligen Antragstellers ab, sondern ausschließlich auf objektive Umstände des jeweiligen Ausbildungsganges. Dies folgert das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) aus dem Wortlaut und der Systematik der maßgebenden Vorschriften (kritisch dazu Haage, NJW 1997, 2439). Dieser Rechtsprechung folgt das erkennende Gericht.

cc) Nach Auffassung des Gerichts führt auch eine Heranziehung einschlägiger europarechtlicher Regelungen bei der Auslegung des Begriffs der Gleichwertigkeit unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu dem Ergebnis, den hier zu beurteilenden Ausbildungsstand als gleichwertig im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZHG anzuerkennen.

(1.) Die Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25.07.1978, Amtsblatt EG L 233 vom 24.08.1978, S. 1 ff., (aufgehoben durch Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 07.09.2005 mit Wirkung vom 20.10.2007, Amtsblatt EU L 255 vom 30.09.2005, S. 22 ff.) betraf zunächst (insbesondere in Art. 7) nicht den hier zu entscheidenden Fall des Erwerbs einer Qualifikation in der ehemaligen Sowjetunion. Erst durch die Einfügung von Art. 7 b in diese Richtlinie durch Art. 20 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik und anderer Staaten zur Europäischen Union zum 01.05.2004, Anhang II. 2. C. III (Liste nach Art. 20 der Beitrittsakte), Amtsblatt EU 2003 L 236 vom 23.09.2003, S. 1, 318, ergab sich eine weiterreichende Relevanz. Nach Art. 7 b Abs. 1 bis 3 erkennt bei den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, deren Befähigungsnachweise des Zahnarztes von der früheren Sowjetunion vor bestimmten Stichtagen verliehen wurden, jeder Mitgliedstaat diese Nachweise an, wenn die Behörden Estlands, Lettlands oder Litauens bescheinigen, dass diese Nachweise in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet die gleiche Rechtsgültigkeit hinsichtlich des Zugangs zum Beruf des Zahnarztes und dessen Ausübung haben wie die entsprechenden estnischen, lettischen oder litauischen Nachweise; außerdem ist eine Bescheinigung der genannten Staaten von Nöten, dass die Tätigkeit in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre ununterbrochen tatsächlich und rechtmäßig im jeweiligen Hoheitsgebiet ausgeübt wurde.

In Art. 62 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 07.09.2005 (a.a.O.) - in Kraft ab 20.10.2005 (Art. 64) - wird die Richtlinie 78/686/EWG mit Wirkung vom 20.10.2007 aufgehoben. Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie 2005/36/EG enthält eine dem Art. 7 b Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 78/686/EWG im Wesentlichen entsprechende Regelung.

(2.) Beide Richtlinien richten sich an die Mitgliedstaaten, sind also bereits kein für den Kläger unmittelbar geltendes Recht, sondern bedürfen der Umsetzung in nationales Recht.

(3.) Aber auch wenn diese Regelungen nach ihrem Geist, Sinn und Zweck zur Auslegung des Begriffes der Gleichwertigkeit in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZHG mittelbar heranzuziehen wären, erlangten sie im weiteren Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz im Ergebnis keine Bedeutung für den zu entscheidenden Fall in einem dem Begehren des Klägers günstigen Sinn.

Nach den vom Gericht eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 14.02.2006 und 08.03.2006 steht für das Gericht allerdings außer Zweifel, dass jedenfalls die litauischen Behörden für ihre Staatsangehörigen die Qualifikation des Klägers einer in Litauen erworbenen Berufsqualifikation als Zahnarzt ohne weiteres gleichstellen bei Nachweis einer entsprechenden dreijährigen Tätigkeit innerhalb der letzten fünf Jahre. Ähnliches dürfte nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10.03.2006 für Lettland und nach der Auskunft vom 04.05.2006 für Estland gelten.

Indes kann der Kläger jedenfalls nicht den in den genannten Richtlinien für eine EU-weite Anerkennung geforderten Nachweis erbringen, in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre "ununterbrochen tatsächlich und rechtmäßig die betreffende Tätigkeit" im Hoheitsgebiet der baltischen Staaten ausgeübt zu haben. Dabei mag man unter Gleichheitsgesichtspunkten noch darauf verzichten können, dass gerade der (vom Kläger nicht zu erbringende) Nachweis eines der baltischen Staaten beizubringen ist - etwa in dem Fall, dass ein Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates mit zahnärztlicher Ausbildung in der früheren Sowjetunion das "3-in-5-Erfordernis" in einem beliebigen EU-Mitgliedstaat erfüllt hat. Der Kläger hat das "3-in-5-Erfordernis" jedoch (bislang) überhaupt nicht erfüllt, insbesondere auch nicht durch seine Tätigkeit in Deutschland aufgrund seiner Erlaubnisse nach § 13 ZHG seit 01.02.1995.

(4.) Dieses Ergebnis führt nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte (Art. 3 Abs. 1 GG). Zu vergleichende Sachverhalte sind die hier zu beurteilende (abstrakte) Qualifikation des Klägers einerseits und diejenige eines Staatsangehörigen der baltischen EU-Staaten andererseits, der die gleiche Ausbildung wie der Kläger durchlaufen hat und das "3-in-5-Erfordernis" erfüllt. Diese Gruppen weisen - auch vor dem Schutzzweck des ZHG, auf den es hier maßgeblich ankommt - in ihrer Qualifikation wesentliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht auf, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen (so die sog. neue Formel des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 55, 72; 82, 60; 88, 87; 93, 99; 95, 39; w. N. bei Gubelt, in v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., Art. 3, Rn. 14; Rüfner, in Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rn 25 ff.). Eine rechtliche Unterscheidung findet in dem "3-in-5-Erfordernis" eine ausreichende Stütze in sachlichen Unterschieden (zu diesem Erfordernis BVerfGE 87, 234).

3. Die Approbation ist dem Kläger auch nicht nach § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG - in der Fassung vom 02.06.1993, BGBl I, 829 mit späteren Änderungen) zu erteilen. Auch insoweit setzt eine Anerkennung der Befähigungsnachweise des Klägers, die er in der früheren Sowjetunion erworben hat, voraus, dass sie den entsprechenden Befähigungsnachweisen im Geltungsbereich des Gesetzes gleichwertig sind. Das ist aber nach den Ausführungen zu 2. nicht anzunehmen.