VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 19.09.2006 - 7 E 2188/04.A (2) - asyl.net: M9035
https://www.asyl.net/rsdb/M9035
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Sikhs aus Afghanistan wegen Gefahr von Übergriffen durch Nachbarn, insbesondere von Entführungen; kein Schutz durch Regierung.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Sikhs, Hindus, Übergriffe, Entführung, Nachbarn, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Schutzfähigkeit, religiös motivierte Verfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Sikhs aus Afghanistan wegen Gefahr von Übergriffen durch Nachbarn, insbesondere von Entführungen; kein Schutz durch Regierung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Nach dem Vorbringen der Klägerin insbesondere bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass sie vor ihrer Ausreise aus Afghanistan dort aus berechtigter Furcht vor Übergriffen der muslimischen Nachbarn das Haus nicht verließ, dass ihre Familie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Sikhs Drohungen erhielt, dass die Klägerin und ihr Bruder entführt würden, wenn die Eltern das geforderte Geld nicht zahlten, dass ihr Bruder schließlich entführt wurde und sich die Eltern der Klägerin entschlossen, dass die Tochter das Land verlassen sollte. Diese Schilderungen der Klägerin entsprechen auch der Auskunftslage zur Situation der Sikh-Minderheit in Afghanistan (vgl. Dr. Mustafa Danesch, Auskunft vom 13.01.2006 an das VG Wiesbaden; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan vom 03.02.2006; Aussage von Dr. Mustafa Danesch vor dem Hess. VGH am 27.04.2006; Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan vom 13.07.2006). Vor dem Hintergrund der Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und der Auskunftslage geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin und ihre Familie auch nicht durch staatliche Stellen wirksam vor den Übergriffen der muslimischen Nachbarn geschützt werden konnten. Auch das Auswärtige Amt führt im Lagebericht Afghanistan vom 13. Juni 2006, dass die früher in Kabul lebende Hindu- und Sikhminderheit sich gegenwärtig praktisch nicht zu erkennen gibt. Nach der Auskunft von Dr. Mustafa Danesch vor dem Hess. Verwaltungsgerichtshof vom 27.04.2006 trifft man im Kabuler Stadtbild Hindus oder Sikhs kaum noch an. Nach der Auskunft von Dr. Mustafa Danesch an das VG Wiesbaden vom 13.01.2006 sind die materiellen Lebensverhältnisse der afghanischen Hindus und Sikhs Leute dadurch gekennzeichnet, dass sie Opfer illegaler Landnahme wurden, die einhergeht mit massiven Einschüchterungen gegen die rechtmäßigen Eigentümer (vgl. hierzu: Dr. Mustafa Danesch an das VG Wiesbaden vom 13.01.2006 sowie Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.07.2006). Das Gericht ist davon aufgrund der Angaben der Klägerin und der Auskunftslage überzeugt, dass der Klägerin aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit die Gefahr konkreter Verfolgungsmaßnahmen - insbesondere Gefahr des Entführens - durch nicht staatliche Akteure drohen und die staatliche und internationale Organisationen nicht in der Lage sind, ihr Schutz zu bieten.