VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 02.10.2006 - 8 L 46/06 - asyl.net: M9203
https://www.asyl.net/rsdb/M9203
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Fiktionsbescheinigung, Fortgeltungsfiktion, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Ablehnung, Ausländerbehörde, Suspensiveffekt, Widerspruch, Klage, Arbeitsberechtigung, Arbeitsgenehmigung, Duldung, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, räumliche Beschränkung, Wiedereinreise, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AufenthG § 81 Abs. 5; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 3; AufenthG § 61 Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, wird abgelehnt.

Der sinngemäß gestellte Hilfsantrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung über die Fortbestandsfiktion gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (mit der Bezeichnung des vormals innegehabten Aufenthaltstitels, der Bestätigung, dass die Erwerbstätigkeit jeder Art und die Aus- und Wiedereinreise gestattet sind, sowie mit Siegel und Unterschrift) zu erteilen, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht nicht bereits das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Denn mehr als die vorläufige Sicherung eines Rechts wird hier seitens des Antragstellers nicht begehrt.

Allerdings steht dem Antragsteller der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht zu. Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG dauert die durch den Antrag auf Verlängerung der zuvor innegehabten Aufenthaltserlaubnis ausgelöste Fiktion des Fortbestehens der Aufenthaltserlaubnis nämlich nur bis zur (ablehnenden) Entscheidung der Ausländerbehörde an. Nach dieser Entscheidung ist der Verwaltungsakt, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, hier die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG unbeschadet der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage wirksam. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nur dann nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage entfaltet nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich beschränkte Wirkungen. Sie lässt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 AufenthG) und damit die Möglichkeit der Abschiebung entfallen und führt gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zur Fiktion des Fortbestehens des zuvor innegehabten Aufenthaltstitels nur für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Die Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG lässt sie jedoch nicht wieder aufleben (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 1. Februar 2000 - 1 C 14.99 -, InfAuslR 2000, 274; Urteil vom 22. Januar 2002 - 1 C 6/01 -, InfAuslR 2002, 281).

Die Kammer hält diese Auslegung des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG angesichts des eindeutigen Wortlauts für zwingend.

Der Antragsteller besitzt für die Zeit des Laufs des Hauptsacheverfahrens einen Anspruch auf Ausstellung einer solchen Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in dem tenorierten Umfang.

Unstreitig besaß der Antragsteller als Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Ausländergesetz (AuslG) i. V. m. § 9 Abs. 2 Ziff. 1 Durchführungsverordnung zum AuslG (DVAuslG) eine unbefristete Arbeitserlaubnis, die gemäß § 105 Abs. 2 AufenthG als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung fortgilt. Auch wenn die Konstruktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom neuen Aufenthaltsrecht ausgeht, nach dem die Arbeitsberechtigung aus dem Aufenthaltstitel folgt, muss die in noch nach dem früheren Ausländerrecht geregelten Fällen gegebene Situation entsprechend behandelt werden. Die frühere Arbeitserlaubnis des Antragstellers gilt demnach entsprechend § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als fortbestehend, weil mit dem Beschluss der Kammer vom 30. September 2005 eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erhobenen Klage vorliegt, die Klage also im Sinne der Vorschrift "aufschiebende Wirkung hat" (§ 84 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz AufenthG). Auch die danach fortgeltende Arbeitsberechtigung bedarf aber gemäß § 4 Abs. 2 AufenthG einer positiven, eindeutig erkennbaren Festschreibung. Insbesondere muss auch die Grundlage der Arbeitsberechtigung ersichtlich sein. Da ein Arbeitgeber den Ausländer nur beschäftigen darf, wenn sich sein Status aus einem Aufenthaltstitel bzw. einer Bescheinigung über eine fortgeltende Arbeitsberechtigung im Weg der Fiktion ergibt, hat der Bundesminister des Innern in den Vorläufigen Anwendungshinweisen zur Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes zu Recht und notwendigerweise vorgesehen, dass die Ausländerbehörde auf Antrag des Ausländers das Vorliegen der Wirkungen der Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bescheinigt. Dass dafür bisher kein besonderer Vordruck vorgesehen, sondern nur mitgeteilt worden ist, welcher Vordruck zur Vermeidung von Missverständnissen nicht verwendet werden soll, setzt die Ausländerbehörde in die Pflicht, die Bescheinigung formlos auszustellen. Der Klarheit halber hat die Bescheinigung die Angabe zu enthalten, dass der Antragsteller zuvor über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 Ziff. 1 AuslG i. V. m. § 9 Abs. 2 Ziff. 1 DVAuslG verfügte, die nunmehr entsprechend § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG für Zwecke der Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend gilt.

Die dem Antragsteller ausgestellte Duldung wird diesen Erfordernissen nicht gerecht. Sie enthält die oben umschriebenen, notwendigen Informationen nicht. Insbesondere kann sie - wie ausgeführt - zu dem Missverständnis führen, der Antragsteller sei dem Erlaubnisverfahren nach § 10 BeschVerfV unterworfen.

Die Kammer sieht sich ferner zu der im Tenor vorgenommenen Maßgabe für die Ausstellung der daneben erforderlichen Bescheinigung über die Erteilung einer Duldung aus folgenden Gründen veranlasst.

Die dem Antragsteller auszustellende Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG allein bildet seinen Status nicht vollständig ab. Der Antragsteller bedarf der Klarheit darüber, ob sein Aufenthalt - wie der Antragsgegner meint und in der erteilten Duldung festgeschrieben hat - gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt ist. Ferner steht die vom Antragsteller aufgeworfene Frage im Raum, ob er für den Fall einer Ausreise aus dem Bundesgebiet ein Recht auf Wiedereinreise besitzt.

Da das Aufenthaltsgesetz entweder nur Aufenthaltstitel oder die Duldung, nicht aber eine oben auch erwogene Bescheinigung "eigener Art" über den Status des Antragstellers kennt, sprechen gute Gründe dafür, dem Antragsteller neben der Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG für Zwecke der Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit noch eine Duldung mit besonderen Festlegungen zu erteilen, damit er bei etwaigen Kontrollen keinen Schwierigkeiten begegnet. Eine solche Duldung, bei der es sich aus den oben dargelegten Gründen nicht um eine "echte" Duldung handelt, kommt dem Status des Antragstellers in Verbindung mit der genannten Bescheinigung über die Arbeitsberechtigung noch am nächsten. Nach der Systematik des Ausländerrechts ist die Erteilung einer Duldung generell geeignet, die rechtliche Situation eines Ausländers, dessen Ausreisepflicht nicht durchgesetzt werden kann, klarzustellen, auch wenn keine Vollziehbarkeit vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 3/97 -, BVerwGE 105, 232, InfAuslR 1998, 12, NVwZ 1998, 297).

Dieser Weg kann auch deshalb beschritten werden, weil dies dem Antragsteller keine Rechte nimmt.

Die letztgenannte Funktion erfüllt die Duldung allerdings nur, wenn sie - wie im Tenor dieses Beschlusses vorgesehen - den Zusatz enthält, dass der Aufenthalt des Antragstellers mangels Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt ist. Dieser Ausspruch entspricht der Rechtslage. Es ist keine Vorschrift ersichtlich, die die in der dem Antragsteller bisher ausgestellten Duldungsbescheinigung aufgeführte räumliche Beschränkung auf das Land Nordrhein-Westfalen trägt. Insbesondere ist § 61 Abs. 1 AufenthG nicht einschlägig. Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach dieser Vorschrift setzt nämlich ausdrücklich voraus, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dass dies wegen der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht der Fall ist, folgt aus den obigen Ausführungen (vgl. auch hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. März 2006 - 2 M 130/06 -).

Die Kammer sieht in Ablehnung auch des Hilfsantrages insoweit keine Nebenbestimmung einer Duldung etwa des Inhalts vor, dass die Aus- und Wiedereinreise zulässig ist. Es ist keine aufenthaltsrechtliche Vorschrift ersichtlich, die dem Antragsteller nach einer etwaigen freiwilligen Ausreise einen Anspruch auf Wiedereinreise verschaffen könnte. Dem Antragsteller fehlt - wie eingangs dargelegt - wegen der nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zurzeit wirksamen Versagung der Verlängerung seiner vormalige Aufenthaltserlaubnis sowohl ein Aufenthaltstitel als auch eine andauernde Fortbestehensfiktion (§ 81 Abs. 4 AufenthG).