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Zitieren als:
, Bescheid vom 29.11.2006 - 5227409-423 - asyl.net: M9231
https://www.asyl.net/rsdb/M9231
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Blutrache, Folgeantrag, neues Beweismittel, interne Fluchtalternative, Kabul, Existenzminimum, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Hizbollah, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Sicherheitslage, Kriminalität, Wohnraum, medizinische Versorgung
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 15
Auszüge:

1. Die Anträge auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens werden abgelehnt.

Bei den vorliegenden Anträgen handelt es sich um Folgeanträge nach § 71 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Ein weiteres Asylverfahren ist danach aber nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt sind, mithin Wiederaufgreifensgründe vorliegen.

Der Wiederaufgreifensgrund des neuen Beweismittels nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG liegt nicht vor, da hierzu das neue Beweismittel - gegebenenfalls in Verbindung mit anderen (beachtlichen) Beweismitteln - tatsächlich eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben müsste.

Zunächst ist festzustellen, dass sich das vorgelegte Gutachten des Sachverständigen Dr. Danesch vom 23.06.2006 vornehmlich mit den Ausführungen im Urteil des VG Minden vom 31.07.2003 auseinander setzt. Hierzu hat das VG Minden aber mit Urteil vom 20.05.2005, Az.: 9 K 3449/04.A, schon klar gestellt, dass der Antragsteller zu 1. selbst bei einer Wahrunterstellung des Vorbringens, nämlich seiner Mitgliedschaft in der Hizbollah und seiner daraus resultierenden Gefährdung, nicht zum gefährdeten Personenkreis gehört.

Weiterhin ist festzustellen, dass im Gegensatz zu den Ausführungen im Gutachten des Dr. Danesch, die sich vornehmlich auf Herat beziehen, dem Antragsteller zu 1. und seiner Familie eine inländische Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung steht.

Eine Schutzgewährung im Ausland kommt nicht in Betracht, wenn im Herkunftsland an einem anderen als dem Herkunftsort Schutz vor Verfolgung gefunden werden kann. Eine solche interne Schutzmöglichkeit, nach deutschem Recht "inländische Fluchtalternative", ist dann zu bejahen, wenn am Zufluchtsort eine Verfolgung durch die in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG bzw. Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 genannten Akteure nicht droht und vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in diesem Landesteil aufzuhalten. Das Zufluchtsgebiet muss zudem für den Antragsteller tatsächlich erreichbar sein. (vgl. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004).

Ein Rückkehrer muss in den als Zufluchtsort in Betracht kommenden Gebieten eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden. Ist nicht zumindest das Existenzminimum Gewähr leistet, kann eine interne Schutzmöglichkeit nicht angenommen werden. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind.

Bei der Prüfung, ob der Antragsteller vor Verfolgung sicher ist und eine ausreichende Lebensgrundlage zur Verfügung steht, kommt es auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag an (Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004). Der Antragsteller kann somit, wenn die Voraussetzungen hierfür zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt vorliegen, auch auf einen Zufluchtsort verwiesen werden, der zum Zeitpunkt seiner Ausreise so noch nicht bestanden hat oder für ihn nicht erreichbar war.

Die Antragsteller können sich in Kabul niederlassen, wo sie keine Nachteile zu befürchten haben. Die Regierung in Kabul ist innerhalb ihres Einzugsbereichs willens und - unter Berücksichtigung, dass die Forderung nach einem lückenlosen Schutz an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbei geht - grundsätzlich auch in der Lage, Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung zu bieten.

Es ist den Antragstellern möglich, in Kabul eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden, zumindest das Existenzminimum ist Gewähr leistet.

Hinsichtlich der geltend gemachten Blutrache haben die Antragsteller keine konkrete Gefährdung darlegen können, dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Blutrache droht.

2. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG i.V.m. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 sind im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.

Für den hier maßgeblichen Raum Kabul kann festgestellt werden, dass die Sicherheitslage auf Grund der Anwesenheit internationaler Truppen zwar immer noch fragil, aber vergleichsweise zufrieden stellend ist.

Angesichts dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die Kriminalitätsrate in Kabul sehr hoch ist. Dies trifft aber alle Bewohner Kabuls gleichermaßen. Es ist nicht erkennbar, weshalb Rückkehrer hiervon besonders betroffen sein sollten und das in einem Maße, dass sie durch die Abschiebung "sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würden.

Auch die Versorgungslage ist für Kabul nicht derartig schlecht, dass eine extreme Gefährdung angenommen werden müsste.

Gegenwärtig gibt es daher keine Anzeichen für eine Hungerkatastrophe, insbesondere gibt es keine Berichte über eine drohende Nahrungsmittelknappheit in Kabul. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die internationalen Hilfsorganisationen dort derart in ihrer Arbeit behindert würden, dass keinerlei Versorgung der Bevölkerung mehr möglich wäre.

Die medizinische Versorgung ist zwar weiterhin ungenügend und erscheint in vielen Fällen nicht möglich. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass die Antragsteller in Afghanistan alsbald auf medizinische Hilfe angewiesen sein könnten.

Gegen eine Einschätzung der allgemeinen Lage als "extrem gefährlich" spricht schließlich auch die Tatsache, dass in den letzten Jahren etwa 4,4 Millionen Afghanen in ihr Heimatland zurückgekehrt sind (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 13.07.2006, Az.: 508-516.80/3 AFG). Von den aus Pakistan und Iran mit Unterstützung durch UNHCR und IOM zurückgekehrten Afghanen sind über eine Million in die Provinz Kabul zurückgekehrt (UNHCR: BO Kabul, Operational Information Monthly Summary Report March 02 - May 06, www.aims.org.af).

Zumindest für den Bereich Kabul kann nach alldem eine extreme Gefahrenlage derzeit ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation der Antragsteller ist somit davon auszugehen, dass sie im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werden. Die Antragsteller gehören nicht zu den Personen, die auf Grund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig sind, wie etwa allein stehende Frauen, Kranke, Behinderte, ältere Personen, oder Minderjährige (vgl. UNHCR: Update an the Situation in Afghanistan and International Protection Consideration vom Juni 2005).