OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.10.2006 - OVG 8 S 58.06 - asyl.net: M9250
https://www.asyl.net/rsdb/M9250
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Abschiebungshindernis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Visum, Visum nach Einreise, Schutz von Ehe und Familie, Deutschverheiratung, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Unionsbürger, illegale Einreise
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 81 Abs. 3; AufenthG § 81 Abs. 4; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat es mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem nach seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen in Schweden ohne Einholung eines Visums in das Bundesgebiet zurückgereisten Antragsteller, einem erfolglos gebliebenen Asylbewerber aus Indien, vorläufig eine Duldung zu erteilen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Neben den in § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG gesetzlich geregelten Fällen eines fingierten Aufenthaltsrechts bzw. einer fingierten Duldung, die gegebenenfalls gemäß § 80 Abs. 5 VwGO geltend zu machen sind, ist für eine im Wege einstweiliger Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu erstreitende Duldung mit dem Ziel der Sicherung eines Aufenthaltsrechts grundsätzlich kein Raum. Die gegenteilige Auffassung widerspricht der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, da sie eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Erweiterung des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG zur Folge hätte (u.a. Beschluss des Senats vom 14. September 2006 - OVG 8 S 97.06 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. April 2006 - OVG 11 S 18.06 -, Beschluss vom 28. Februar 2006 - OVG 7 S 65.06 -; Beschluss vom 24. Januar 2006 - OVG 3 S 8.06 -; so auch OVG Berlin, Beschluss vom 26. Juni 2003 - OVG 6 S 138.03 -; Beschluss vom 11. April 2003 - OVG 3 S47.03 -; Beschluss vom 24. April 2002 - OVG 8 SN 99.01 -; OVG Münster, Beschluss vom 26. März 1998 - 18 B 2195/96 -, juris; VGH Kassel, Beschluss vom 22. Mai 1996, EZAR 622 Nr. 28, jeweils zu dem mit § 81 AufenthG vergleichbaren § 69 AuslG; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, Rz. 35 zu § 81 AufenthG). Soweit der Rechtsprechung des OVG Frankfurt (Oder) eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen sein sollte (vgl. Beschluss vom 3. November 1998 - 4 B 124/98 -), ist das Beschwerdegericht dem nicht gefolgt (vgl. die oben zitierten Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg). Ein nicht gemäß § 81 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG geschützter Ausländer muss mithin grundsätzlich ausreisen und die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ausland abwarten (Renner, a.a.O., Rz. 31).

Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist eine Abschiebung des Antragstellers auch nicht deswegen i.S.v. § 60 a Abs. 2 AufenthG rechtlich unmöglich, weil sie sich als unzulässiger Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 GG sowie des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen würde. Vielmehr liegt ein Abschiebungshindernis nur dann vor, wenn es aus den besonderen Gründen des Einzelfalles dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch eine Ausreise zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997, InfAuslR 1997, 355, 358; Urteil vom 9. Dezember 1997, InfAuslR 1998, 213, 214). Derartige Umstände sind hier nicht vorgetragen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es ferner grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, Beschluss vom 7. November 1984, NVwZ 1985, 260; BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1995, InfAuslR 1996, 137).

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK erfordern auch die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang herangezogenen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes in der "Carpenter-Entscheidung" (Urteil vom 11. Juli 2002, NVwZ 2002, Beilage I, 105; ebenso: Urteil vom 25. Juli 2002 - "MRAX" -, NVwZ 2002, Beilage I, 121) keine andere Entscheidung. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass sich aus dem Urteil des EuGH vom 11. Juli 2002 schon wegen des Fehlens eines gemeinschaftsrechtlich erheblichen Sachverhalts dem Antragsteller Günstiges nicht ergibt (vgl. dazu auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. September 2005 - OVG 3 S 56.05 -). Abgesehen davon, dass eine Ausweisung im vorliegenden Verfahren nicht in Rede steht, verkennt der Antragsteller, dass die Ausführungen des EuGH ihren für die Aussagekraft der Entscheidungen maßgeblichen Ausgangs- und Anknüpfungspunkt in den europäischen Gemeinschaftsregelungen über die Freizügigkeit der Erwerbstätigen, den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit haben. Dies hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 25. Juli 2002 ausdrücklich hervorgehoben (a.a.O., Tz. 39). Überdies hat der für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention in erster Linie berufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Art. 19 EMRK) auch im zeitlichen Gefolge der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, wonach sich weder aus Art. 8 EMRK noch aus sonstigen Regeln der Konvention oder ihrer Protokolle das Recht eines Ausländers ergibt, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten (EGMR, Entscheidung vom 7. Oktober 2004, NVwZ 2005, 1043, 1044; Urteil vom 16. Juni 2005, InfAuslR 2005, 349; so auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage 2005, S. 199, Rz. 43 m.w.N.).