VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.12.2006 - A 3 S 1274/06 - asyl.net: M9284
https://www.asyl.net/rsdb/M9284
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfolgungsbegriff, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Anerkennungsrichtlinie, Anwendungszeitpunkt, Altfälle, Nachfluchtgründe, Berufungszulassungsantrag
Normen: RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Der auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag des Beteiligten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da sein Vorbringen den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht entspricht bzw. dieser Zulassungsgrund zumindest in der Sache nicht vorliegt.

In diesem Sinne rechtfertigt vorliegend die vom Beteiligten aufgeworfene Frage, ob und in welchem Umfang durch Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Abl. EU L 304/12 vom 30.09.2004 - Qualifikationsrichtlinie - seit 11.10.2006 über den bisherigen Schutzbereich von Art. 16 a Abs. 1 GG/§ 60 Abs. 1 AufenthG hinausgehende Ansprüche in Fällen befürchteter politischer Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit abgeleitet werden können, keine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung.

In formeller Hinsicht hält der Beteiligte lediglich die Anwendbarkeit der Richtlinie auf Asylanträge für problematisch, die bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind. Diese Frage ist indes nicht klärungsbedürftig, da sich die Anwendbarkeit der Richtlinie im vorliegenden Fall unmittelbar aus den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen ergibt. Nach § 77 Abs. 1 AsylVfG hat das Gericht bei asylrechtlichen Streitigkeiten auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Damit hatte das Verwaltungsgericht die aufgrund nicht fristgerechter Umsetzung unmittelbar geltende Qualifikationsrichtlinie bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Diese enthält in Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung, wonach die Vorschriften über die Aberkennung, Beendigung und Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus nur bei Anträgen Anwendung finden, die nach Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind. Eine vergleichbare Einschränkung enthalten indessen die Regelungen in der Richtlinie über die positive Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus nicht. Damit gilt die Richtlinie insoweit ersichtlich auch für "Altfälle". Entsprechend enthalten auch die Hinweise des Bundesministeriums des Innern zur Anwendung der Richtlinie vom 13.10.2006 keinerlei Anhaltspunkte für die vom Beteiligten im Zulassungsverfahren zur Diskussion gestellte Einschränkung.

Soweit der Beteiligte des Weiteren für klärungsbedürftig hält, ob im Kontext mit dem Rechtsgedanken des Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie von Art. 10 Abs. 1 b im Ansatz in aller Regel überhaupt nur solche Riten/religiöse Betätigungen als potenziell schutzbegründend in den Blick genommen werden dürften, die zeitlich vor der Ausreise aus dem Heimatland lägen, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie ausschließlich Folgeantragsverfahren betrifft. Dagegen geht es vorliegend um ein Erstantragsverfahren. Auch bezüglich Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie wird ein Klärungsbedarf nicht näher dargelegt. In diesem Zusammenhang setzt sich der Beteiligte insbesondere nicht damit auseinander, dass diese Regelung Nachfluchtgründe nicht ausschließt, sondern ausdrücklich festlegt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auch auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann.