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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 14.09.2006 - 11 K 81/06.A - asyl.net: M9315
https://www.asyl.net/rsdb/M9315
Leitsatz:
Schlagwörter: Ägypten, Homosexuelle, Verfolgungsbegriff, Festnahme, Misshandlungen, Folter, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; EMRK Art. 8
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Zur Überzeugung des Gerichts ist der Kläger weder vorverfolgt aus Ägypten ausgereist noch droht ihm bei einer Rückkehr dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Aufgrund seiner homosexuellen Veranlagung, die grundsätzlich eine asylrechtlich relevante unveränderliche Eigenschaft darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278/86 -, NVwZ 1998, 838 (839)) droht dem Kläger jedoch in Ägypten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weder unmittelbare noch mittelbare politische Verfolgung.

Zwar hat es in Ägypten seit 2001 eine zunehmende Anzahl von Anklagen und Verurteilungen im Zusammenhang mit dem Vorwurf homosexueller Praktiken gegeben. Nach einem Bericht von Human Rights Watch vom 28. Februar 2004 können 179 Fälle namentlich dokumentiert werden. Die tatsächliche Anzahl dürfte höher liegen. In den meisten Fällen wurde wegen "Ausschweifung" (arabisch fugur) nach Art. 9 lit. c) des Gesetzes Nr. 10/1961 zur Bekämpfung der Prostitution angeklagt und verurteilt, wobei in den meisten Fällen Strafen zwischen einem und drei Jahren Haft häufiger an der Obergrenze dieser Spanne verhängt wurden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 12. Januar 2005 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 6. Juni 2005 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main; amnesty international, Stellungnahme vom 29. Juli 2005 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main).

Dabei haben viele der Festgenommenen auch von Misshandlungen und Folterungen in der Haft berichtet (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 6. Juni 2005 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, 9.8, amnesty international, Stellungnahme vom 29. Juli 2005 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, 9.4.).

Es ist jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die zuständigen ägyptischen Behörden überhaupt auf den Kläger aufmerksam werden und von einer homosexuellen Betätigung des Klägers Kenntnis erlangen. Bei dieser Prognose ist davon auszugehen, dass es dem Kläger aus asylrechtlicher Sicht zuzumuten ist, seine homosexuelle Veranlagung und Betätigung nicht nach außen hin bekannt werden zu lassen, sondern auf den Bereich seines engsten persönlichen Umfeldes zu beschränken. Denn der asylrechtliche Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ist nicht uneingeschränkt. Zum einen ist selbst nach dem Grundgesetz (GG) das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung nach Art. 2 Abs. 1 GG, das in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG der engeren persönlichen Lebenssphäre Schutz bietet, zu der eben auch der intime Sexualbereich gehört, der die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen umfasst, nur in den Schranken des Sittengesetzes gewährleistet (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvL 3/03 -, JZ 2006, 513; BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1978 -1 BvR 16/72 -, NJW 1979, 595).

Vergleichbares gilt für die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die in Art. 8 das Recht auf Achtung des Privatlebens, zu dem auch das Recht gehört, in seinem privaten Sexualverhalten respektiert zu werden, unter entsprechenden Vorbehalt stellt (vgl. hierzu OVG Bremen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 1 A 33/99.A -, NVwZ-Beilage 1999, 101 f.).

Dementsprechend sind in Europa strafbewehrte Beschränkungen homosexueller Betätigung zum Schutz der öffentlichen Moral noch bis in die 80er Jahre in der Rechtsprechung für rechtlich zulässig erachtet worden (vgl. EGMR, Urteil vom 22. Oktober 1981 - Fall Dudgeon -; NJW 1984, 541; BVerfG, Urteil vom 10. Mai 1957 - 1 BvR 550/52 -, BVerwGE 6, 389 (432 ff.)).

Zum anderen stellt selbst eine Beeinträchtigung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten in anderen Staaten nicht in jedem Fall eine asylerhebliche politische Verfolgung dar (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, NVwZ 1988, 237 (239); BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1986 - 9 C 16.85 -, NVwZ 1986, 569 (571)).

Berücksichtigt man schließlich, dass die Homosexualität im islamischen Kulturkreis allgemein und speziell auch in Ägypten als eine besondere verächtliche und verabscheuungswürdige sexuelle Abweichung angesehen wird (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom 6. Juni 2005, S. 7), so stellt auch eine weitgehende Beschränkung homosexueller Betätigung zum Schutz der dort herrschenden Moral keine politische Verfolgung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278186 -, NVwZ 1988, 838 (839 f.)), mit der Folge, dass es dem Betreffenden Ausländer asylrechtlich zumindest zuzumuten ist, seine homosexuelle Veranlagung ausschließlich im engsten privaten Umfeld auszuleben und nach außen hin nicht bekannt werden zu lassen. Ob ein vollständiges Verbot homosexueller Betätigung die Menschenwürde verletzt und deshalb asylrechtlich nicht hinnehmbar, ist (so VG Frankfurt am Main, Urteil vom 25. November 2005 - 6 E 1715/04.A (1) -, S. 8 des Entscheidungsabdrucks), ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Hält der Kläger sich nämlich dementsprechend in seinem Verhalten nach außen hin zurück, ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die zuständigen ägyptischen Behörden aufgrund seiner Homosexualität auf ihn aufmerksam werden.

Soweit amnesty international in seiner Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mehrere Fälle benennt, in denen Homosexuelle zum Teil unter Mitarbeit von Polizeispitzeln auf größeren Partys oder nach der Kontaktaufnahme über einschlägig bekannte Internet-Seiten festgenommen worden sind, ist der Kläger darauf zu verweisen, dass er bei einer Rückkehr vermeiden muss, dass seine Homosexualität in einem solchen größeren Rahmen bekannt wird. Dabei muss die Zahl der Verhaftungen Homosexueller bei der anzustellenden Gefahrenprognose immer auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Homosexualität in allen islamischen Ländern nicht weniger weit verbreitet ist als bei uns (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom 6. Juni 2005, S. 7).

Schließlich liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es in Ägypten ähnlich wie etwa im Iran in Form privater Sittenwächter eine enge soziale Kontrolle gibt, die sich gerade auch auf homosexuelles Verhalten bezieht. Dem Kläger dürften daher insbesondere größere Städte, in denen man typischerweise anonymer lebt, die Möglichkeit bieten, seine Homosexualität für die Öffentlichkeit unerkannt auszuleben.

Die Voraussetzungen für die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, sind gleichfalls nicht gegeben.

Dem Kläger droht jedoch eine konkrete erhebliche Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Sie ergibt sich aus oben genannten Gründen zwar nicht aus seiner Homosexualität im Hinblick auf mögliche Übergriffe gegen seine Person, aber aus seiner psychischen Erkrankung. Erheblich ist eine auf einer Krankheit beruhende Gefahr, wenn sich durch die Rückkehr der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde; konkret, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr eintreten würde (vgl. zur tatbestandlich gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, DVBl. 1998, 284 (285 f.)).

Die danach erforderliche psychotherapeutische Behandlung wird der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht erhalten können. Ägypten hat zwar ein kostenloses öffentliches Gesundheitswesen. Dies gewährt jedoch nur eine Basisversorgung auf niedrigem Niveau (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 19. Dezember 2001 an das Verwaltungsgericht Oldenburg; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kairo, Auskunft vom 5. Juli 2005 an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach).

Diese ermöglicht gegebenenfalls die Versorgung mit Schmerzmitteln und einfachen Antidepressiva (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 29. November 2005).

Dass sie aber auch eine zeitaufwendige Psychotherapie durch einen Facharzt erfasst, ist ausgeschlossen. Daneben gibt es zwar ein fast unübersichtliches System privater Gesundheitssorge, meistens auf einem ziemlich hohen Spezialisierungsgrad, so dass in Ägypten grundsätzlich die Möglichkeit besteht, auch äußerst anspruchsvolle medizinische Behandlungen durchzuführen. Derartige private Behandlungen sind in Ägypten aber teuer und daher für den Durchschnittsbürger oft nicht realisierbar (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 19. Dezember 2001 an das Verwaltungsgericht Oldenburg; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kairo, Auskunft vom 5. Juli 2005 an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach).

Bei der Frage nach den Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland kann aber nur auf solche abgestellt werden, die für den betreffenden Ausländer auch tatsächlich, vor allem auch nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, NVwZ-Beilage 2003, 53 (54)).

Für eine teure private Behandlung werden dem Kläger nach einer Rückkehr nach Ägypten dort aber aller Voraussicht nach die finanziellen Mittel fehlen.