SG Düsseldorf

Merkliste
Zitieren als:
SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2006 - S 29 AY 6/06 ER - asyl.net: M9354
https://www.asyl.net/rsdb/M9354
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, Sozialhilfe, Sozialhilfebezug, BSHG, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; ZPO § 920
Auszüge:

Das Gericht kann zur Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Regelung - etwa um wesentliche Nachteile abzuwenden - nötig erscheint, § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Antragstellerin hat für ihr Begehren Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 1 AsylbLG. Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 AsylbLG abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG Leistungen entsprechend dem SGB XII, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass die Antragstellerin Leistungsberechtigte gemäß § 1 AsylbLG ist und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Sie streiten allein um die Frage, ob in die 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auch Zeiten des Bezugs von Sozialhilfe nach dem BSHG einzubeziehen sind. Das Gericht geht in Übereinstimmung mit dem zuständigen 20. Senat des LSG NRW davon aus, dass in die Berechnung der 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auch Zeiten des Bezugs von Sozialhilfe nach dem BSHG einzubeziehen sind, die vor dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG am 01.01.2005 liegen. Der 20. Senat hat entschieden, dass es eine übertriebene Förmelei darstellen würde, wenn allein darauf abzustellen wäre, dass die Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben, und deshalb Zeiten des Sozialhilfebezugs auszuklammern wären, vgl. Beschluss vom 27.04.2006 - L 20 B 10/06 AY ER -. Auch wenn der Antragsgegnerin zuzugeben ist, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG für ihre entgegengesetzte Auffassung streitet, so ist die Kammer mit dem LSG NRW der Auffassung, dass die Vorschrift unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers und des Gesetzeszwecks erweiternd auszulegen ist.

Die Absicht des Gesetzgebers, dass nur solche Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 AsylbLG von den Leistungen auf Sozialhilfeniveau nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen sein sollen, die rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthalts verlängern bzw. ihre Ausreise verhindern, wird durch die Verständnisweise des Gerichts nicht weniger verwirklicht, als bei der engeren von der Antragsgegnerin bevorzugten Auslegung. In beiden Fällen ist kumulatives Tatbestandsmerkmal, dass die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich von den Leistungsberechtigten beeinflusst worden sein darf. Dies ist zum einen somit gesondert zu prüfen, zum anderen haben soweit ersichtlich nur solche Asylbewerber und andere Ausländer, die nunmehr Leistungsberechtigte gemäß § 1 AsylbLG sind, vor dem 01.01.2005 Leistungen nach dem BSHG bezogen, die über einen ausländerrechtlichen Status verfügten, der voraussetzte, dass sie die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hatten. So war es anscheinend auch im Fall der Antragstellerin, deren BSHG-Bezug auf ihrer Eigenschaft als "de-Facto-Flüchtling" fußte, die ihr eine Aufenthaltsbefugnis verschafft hatte. Es ist insofern nicht nur abstrakt, sondern auch konkret auf die Antragstellerin bezogen kein Grund ersichtlich, warum ihr unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks keine Leistungen auf Sozialhilfeniveau zugestanden werden sollten. Das Gericht geht davon aus, dass es dem Gesetzgeber des ZuwanderungsG nicht darum ging, Fälle wie den der Antragstellerin aus dem Bezug von Sozialhilfeleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG auszuschließen, sondern dass es sich eher um eine vom Gesetzgeber übersehene Konstellation handelt. Für die Antragstellerin würde es aber eine Verschlechterung bedeuten, wollte man der Auffassung der Antragsgegnerin folgen: Sie wäre für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr auf ein Leistungsniveau verwiesen, wie es das AsylbLG "Neuankömmlingen" in provisorischen Lebensverhältnissen zumutet. Es ist auch ein Anordnungsgrund im oben genannten Sinne gegeben, da der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zur Abwendung unzumutbarer Nachteile geboten ist. Das Gericht folgt auch insofern der Rechtsprechung des 20. Senats des LSG NRW, wonach die Leistungen nach § 2 AsylbLG den Regelfall bilden sollen, weshalb es Leistungsberechtigten lediglich im begründeten Einzelfall zumutbar sein dürfte, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit den niedrigeren Leistungen nach § 3 AsylbLG zu wirtschaften. Vgl. LSG NRW, a. a. O. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich.