VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.05.2006 - 14 A 205/03 - asyl.net: M9390
https://www.asyl.net/rsdb/M9390
Leitsatz:
Schlagwörter: Armenien, Aserbaidschan, Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit, Wohnsitz, Verlust, Abschiebungsandrohung, Einreiseverweigerung, freiwillige Ausreise, Antrag, Einbürgerung, Zumutbarkeit, gemischt-ethnische Abstammung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im übrigen unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Soweit der Ausländer eine Staatsangehörigkeit besitzt, ist grundsätzlich zu prüfen, ob ihm im Lande seiner Staatsangehörigkeit politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG (ehemals § 51 Abs. 1 AuslG) droht. Im vorliegenden Fall nimmt das Gericht an, dass die Klägerin weder die aserbaidschanische, noch die russische oder armenische Staatsangehörigkeit besitzt, sie vielmehr staatenlos ist.

Auch die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit hat das Kind nach Auffassung des Gerichts nicht erhalten. Diese könnte allenfalls durch den Vater vermittelt worden sein.

Letztlich entscheidend ist zur Überzeugung des Gerichts, dass der Vater der Klägerin auch dann, sollte er die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit jemals erworben haben, diese jedenfalls durch das aserbaidschanische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 30.09.1998 vor der Geburt der Klägerin wieder verloren hat. Nach Art. 5 Abs. 1 dieses Gesetzes besitzen Personen die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit (weiterhin), die die Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes besaßen (lt. Botschaft Baku vom 12.12.2000 an Auswärtiges Amt, Nr. 82 Erkenntnismittelliste Aserbaidschan; lt. Rat der Europäischen Union vom 01.09.2000 an CIREA, Nr. 85 c) der Erkenntnismittelliste Aserbaidschan). Als Grundlage für das Fortbestehen der Staatsangehörigkeit wird ausdrücklich die Meldung der Person an ihrem Wohnsitz in der Republik Aserbaidschan am Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes genannt. Damit wird ausdrücklich auf die Existenz eines faktischen Wohnsitzes und die amtliche Meldung an diesem Wohnsitz abgestellt (so ausdrücklich auch VG Schleswig, Urteil vom 02.02.2005 a.a.O.).

Der Vater der Klägerin hatte aber zum fraglichen Zeitpunkt keinen faktischen Wohnsitz in Aserbaidschan mehr, so dass er jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit verloren hatte. Damit konnte er der Klägerin diese Staatsangehörigkeit auch nicht bei ihrer Geburt vermitteln.

Die Klägerin hat aber auch die armenische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Auch diese wäre nach Art. 9 des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit der Republik Armenien vom 16.11.1995 durch die Geburt dann erworben, wenn es sich nach Art. 11 Abs. 2 des Gesetzes um ein Kind handelt, dass ein Elternteil die Staatsangehörigkeit der Republik Armenien hat und der andere Elternteil unbekannt oder staatenlos ist. Auch hier wäre daher eine armenische Staatsangehörigkeit nur über die Vermittlung eines Elternteils, hier der Mutter, möglich. Die Vermittlung scheitert aber auch in diesem Fall daran, dass die Mutter staatenlos ist. Nach Art. 10 des genannten Staatsangehörigkeitsgesetzes der Republik Armenien werden u. a. als armenische Staatsangehörige solche Angehörige der früheren armenischen Sowjetrepublik angesehen, die sich dauerhaft im jetzigen Staatsgebiet aufhalten und die bis zum Inkrafttreten der armenischen Verfassung (am 05.07.1995) nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erworben oder auf solche innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht verzichtet haben, ferner Staatenlose oder Angehörige anderer früherer Sowjetrepubliken, die, ohne Ausländer zu sein, drei Jahre vor Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsgesetzes ständig im Staatsgebiet der Republik Armenien lebten und innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes die armenische Staatsangehörigkeit beantragt haben, außerdem Angehörige der früheren Sowjetrepublik Armenien, die seit dem 21.09.1991 außerhalb der Republik Armenien leben, die Staatsangehörigkeit dieses Staates nicht erworben haben und bis zum Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsgesetzes bei einem Konsulat registriert waren. Alle diese Voraussetzungen liegen bei der Mutter der Klägerin nach Kenntnis des Gerichts nicht vor, so dass von einer armenischen Staatsangehörigkeit nicht ausgegangen werden kann.

Ein Staat, in dem die in Deutschland geborene Klägerin vorher ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, existiert nicht.

Im Hinblick auf die angedrohte Abschiebung nach Armenien kann die (an sich gebotene) Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entfallen. Die Abschiebungsandrohung kann nämlich im vorliegenden Verfahren ohne Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG aufgehoben werden (siehe VG Schleswig, a.a.O.), weil die Abschiebungsandrohung aufzuheben ist, soweit der Klägerin die Abschiebung nach Armenien angedroht worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21/02 -, BVerwGE 118, 308 ff.) ist die Androhung der Abschiebung in einen bestimmten Zielstaat ausnahmsweise dann ohne Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) aufzuheben, wenn bereits aufgrund der Entscheidung über das Asylbegehren zweifelsfrei feststeht, dass eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Ausreise in den Zielstaat auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen sind.

Nach den dem Gericht vorliegenden Auskünften und Erkenntnissen ist staatenlosen Personen ohne Personalpapiere die Einreise nach Armenien nicht möglich. Danach wird für eine Einreise nach Armenien ein anerkanntes Reisedokument ggf. mit armenischem Visum benötigt, welches die Klägerin nach Kenntnis des Gerichts nicht besitzt, auch nicht mittelbar über ihre Eltern.

Soweit die Möglichkeit genannt wird, für eine Einreise zuvor die armenische Staatsangehörigkeit zu beantragen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Zum einen besitzt die Klägerin derzeit - und auf diesen Zeitpunkt kommt es an - weder die armenische Staatsangehörigkeit noch armenische Personalpapiere, zum andern kann die Stellung eines solchen Antrags nicht von ihr, bzw. von ihren Eltern verlangt werden.

Der Vater der Klägerin stammt aus Aserbaidschan, für ihn wäre die armenische Staatsangehörigkeit die eines Staates, zu dem er keine Beziehung hat. Für die Mutter der Klägerin wäre ein solcher Antrag unzumutbar, nachdem sie 1988 Armenien verlassen hat, weil sie dort wegen ihrer teilaserbaidschanischen Abstammung Verfolgung ausgesetzt war und sie ihre Staatenlosigkeit nicht selbst verursacht hat, diese vielmehr die Folge des Auseinanderbrechens der UdSSR und der Tatsache ist, dass Armenien sich ein Staatsangehörigkeitsgesetz gegeben hat, unter das sie nicht fiel.