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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.11.2006 - 13 S 2157/06 - asyl.net: M9432
https://www.asyl.net/rsdb/M9432
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Schutz von Ehe und Familie, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ehegattennachzug, Eltern-Kind-Verhältnis, Stiefkinder, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Umgangsrecht, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Beschwerde, Beschwerdebegründung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 146 Abs. 4 S. 6; AufenthG § 31 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6; BGB § 1685
Auszüge:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Soweit die Beschwerdebegründung in ihren rechtlichen Angriffen gegen die angefochtene Entscheidung (allein) das Bestehen eines Aufenthaltserlaubnisanspruchs aus § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG behauptet, verhilft dies der Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg; ein solcher Aufenthaltserlaubnisanspruch für den Antragsteller besteht nicht.

Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer der - wie zur Zeit der Antragsteller (siehe § 81 Abs. 4 i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) - vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der grundgesetzlich gebotene Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG - auf ihn beruft sich der Antragsteller - ein solches (rechtliches) Ausreisehindernis begründen kann (siehe dazu zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - m.w.N. zur Zumutbarkeitsprüfung; OVG Saarland, Urteil vom 15.9.2006 - 2 R 1/06 - juris; Hess.VGH, Urteil vom 7.7.2006 - 7 UE 509/06 - juris; OVG Münster, Beschluss vom 7.2.2006 - 18 E 1534/05 -, NVwZ-RR 2006, 576). Ein solches rechtliches Ausreisehindernis folgt insbesondere aus dem von dem Antragsteller geltend gemachten - und vom Senat auch unterstellten - "de-facto-Vater-Kind-Verhältnis" zum Sohn seiner Lebensgefährtin nicht. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 Abs. 1 GG und nach ganz errschender Auffassung in der Literatur ist der grundgesetzliche Schutz der "Familie", auf den es im vorliegenden Zusammenhang ankommt, nur für solche Familien gegeben, die bürgerlich rechtlich als "umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern" - seien sie ehelich oder nichtehelich - aufzufassen sind (siehe dazu die Nachweise bei Jarass-Pieroth, GG, 2004, Rn 4 zu Art. 6 und Leibholz-Rinck, GG, Rn 60 f. zu Art. 6 sowie Dreier, GG, 2004, Rdnr. 67 und 78 zu Art. 6). Wenn auch nicht nur die rechtliche Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sondern auch die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft geschützt wird (siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 8.6.1977 - 1 BvR 265/75 -, E 45, 104, 123; Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 37/85 -, E 79, 203, 211 und Leibholz-Rinck a.a.O.), setzt dieser Schutz doch immer eine bestehende Eltern-Kind-Beziehung voraus. In der auch in der Beschwerdebegründung aufgegriffenen Entscheidung vom 9.4.2003 (- 1 BvR 1493/96 u.a. -, NJW 2003, 2151) hat das Bundesverfassungsgericht dieses Erfordernis mehrfach ausdrücklich betont; wenn es die biologische Vaterschaft als zulässigen Anknüpfungspunkt grundrechtlichen Schutzes aus Art. 6 Abs. 2 GG ansieht, sofern zwischen dem biologischen Vater und dem Kind eine besondere sozial-familiäre Beziehung besteht, knüpft es als Ausgangspunkt an eine (tatsächliche) Vaterschaft an (vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.6.2004 - 13 S 990/04 -, InfAuslR 2004, 389 m.w.N.; vgl. auch Dreier a.a.O. Rdnr. 78, der bei gemeinsamen Kindern von der "nichtehelichen Familie" spricht). Auch die späteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - speziell diejenigen zur ausländerrechtlichen Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG (siehe etwa Beschluss vom 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852; vom 6.7.2004 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2005, 48; vom 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, AuAS 2006, 26 und vom 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682) - betreffen ebenso wie schon frühere Entscheidungen (siehe etwa Beschluss vom 30.1.2002 - 2 BvR 23100 -, NVwZ 2002, 849) Fallkonstellationen, in denen entweder eine rechtliche oder aber eine biologische Vaterschaft vorlag. Das bedeutet nicht, dass der Grundgesetzgeber das Bestehen einer tatsächlichen sozial-familiären Beziehung zwischen einem "de-facto-Vater" und dem Kind seiner Lebensgefährtin in irgend einer Weise missbilligen würde; der spezielle für Ehe und Familie verfassungsrechtlich gebotene Schutz kommt einer solchen Familien-Konstellation aber nicht zu.

Daran ändert es nichts, dass der Gesetzgeber in § 1685 BGB aus Anlass der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Umgangsrecht des biologischen Vaters vom 9.4.2003 eine spezielle Vorschrift für den Umgang des Kindes mit anderen Bezugspersonen als den eigentlichen Verwandten geschaffen hat; nach dieser Vorschrift haben ein Umgangsrecht mit dem Kind auch "enge Bezugspersonen des Kindes, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben", und eine solche Übernahme tatsächlicher Verantwortung "ist in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat". Der Gesetzgeber ist mit dieser Regelung über das verfassungsrechtlich Gebotene hinausgegangen, auch wenn er die Absicht gehabt haben sollte, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum biologischen Vater lediglich familienrechtlich nachzuvollziehen (vgl. dazu Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, Rn 1 und 6 zu § 1685 und BGH, Beschluss vom 9.2.2005 - XII ZB 40/02 -, FamRZ 2005, 705).

Auch als einfach-gesetzliche Vorschrift stellt das Umgangsrecht des Antragstellers zu dem Kind seiner jetzigen Lebensgefährtin kein rechtliches Abschiebungshindernis dar. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und ebenso die Literatur gehen davon aus, dass im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter Gesichtspunkten des Familienschutzes lediglich höherrangige Vorschriften, insbesondere solche des Verfassungs- und des Völkervertragsrechts, ein rechtliches Abschiebungshindernis begründen, sofern nicht unmittelbar gleichrangige ausländerrechtliche Vorschriften wie etwa § 60 AufenthG eingreifen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 a.a.O.; Göbel-Zimmermann ZAR 2005, S. 278 und Marx ZAR 2006, 262). Es liegt für den Senat auf der Hand, dass nicht jedes Recht oder jeder Anspruch, den das einfach gesetzliche Recht einem Ausländer einräumt, im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zur Unzumutbarkeit der Ausreise führt. Bei einer existenziellen Gefährdung eines Kindes durch die Ausreise einer Bezugsperson im Sinn des § 1685 Abs. 2 BGB mag sich eine solche im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG beachtliche Schranke aus Art. 1 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 und 2 GG ergeben; eine solche extrem zugespitzte Situation ist aber mit dem Vortrag, das Kindeswohl verlange die weitere Anwesenheit des Antragstellers, noch nicht geltend gemacht. Zudem spricht viel dafür, dass der Antragsteller in einem solchen Fall nicht selbst klage- bzw. antragsbefugt wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.8.1996 - 1 C 08.94 -, NVwZ 1997, 1116 und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.2.1999 - 11 S 1854/98 -, VBlBW 1999, S. 342). Er hätte es mit seiner Lebensgefährtin ohnehin in der Hand, durch die Schaffung eines Stiefkindverhältnisses für die Beziehung zu dem Kind im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG den Schutz des Art. 6 GG zu erlangen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.3.2001 - 13 S 2643/00 -, InfAuslR 2001, 283).