OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.10.2006 - 18 B 738/06 - asyl.net: M9609
https://www.asyl.net/rsdb/M9609
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Türken, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Unionsbürger, Unionsbürgerrichtlinie, Anwendbarkeit, Vorabentscheidung, zwingende Gründe, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 7; ARB Nr. 1/80 Art. 14; RL 2004/38/EG Art. 28 Abs. 3; FreizügG/EU § 6 Abs. 1; RL 2004/38/EG Art. 28 Abs. 3; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 166; ZPO § 144
Auszüge:

Den Antragstellern ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und der zur Vertretung bereite Rechtsanwalt T., L., beizuordnen, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können und die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 144, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Die Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

Der Aussetzungsantrag ist begründet.

Von dem Vorstehenden ausgehend ist die Ausweisung des Antragstellers zu 1. nur rechtmäßig, wenn sie nicht aufgrund des Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG ausgeschlossen ist. Danach darf gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn u.a. die Unionsbürger ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben. Eine derartige Festlegung ist bisher nicht geschehen. Sie soll durch das 2. ÄndG im FreizügG/EU erfolgen. Bis dahin ist nach dem Erlass des Bundesministeriums des Inneren vom 18. April 2006 - M I 1 - 937 115-65/12 - die Feststellung des Verlustes des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nicht möglich.

Ob die vorstehende Regelung auch für türkische Staatsangehörige gilt, auf die Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 Anwendung findet, ist umstritten (bejahend Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 12 TG 494/06 -, InfAuslR 2006, 393; offen lassend Nieders. OVG, Urteil vom 16. Mai 2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, 350; verneinend VG E., Beschluss vom 20. September 2006 - 24 L 1310/06 -, Beschwerde anhängig beim OVG NRW unter 18 B 2219/06).

Zu Klärung der Frage hat das VG Darmstadt mit Beschluss vom 16. August 2006 - 8 E 1364/05 -, juris, eine Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (dortiges Aktenzeichen: C-349/06) gerichtet. Sollte die Regelung anwendbar sein, so ist ungeachtet der in der Rechtsprechung ebenfalls umstrittenen Frage, ob nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht mit dem 30. April 2006 (Art. 40 Abs. 1 der RL) die Richtlinie unmittelbar Anwendung findet (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2005 - 18 B 1529/05 - und vom 4. Oktober 2006 - 18 A 3084/06 -, Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 12 TG 494/06 -, a.a.O.; Nieders. OVG, Urteil vom 16. Mai 2006 - 11 LC 324/05 -, a.a.O.; VG E. , Urteil vom 4. Mai 2006 - 24 K 6197/04 -, InfAuslR 2006, 356), in Erwägung zu ziehen, dass die gegen den Kläger zuletzt verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt waren und deshalb kaum auf "zwingende Gründe" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 RL200/38/EG führen dürften.