SG Köln

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Zitieren als:
SG Köln, Beschluss vom 13.02.2007 - S 6 AS 30/07 ER - asyl.net: M9613
https://www.asyl.net/rsdb/M9613
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Unionsbürger, Arbeitssuche, Gleichbehandlungsgrundsatz, Inländergleichbehandlung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Eilbedürftigkeit
Normen: FreizügG/EU § 5; SGB II § 19; SGB II § 7 Abs. 1 S. 1; SGB II § 8 Abs. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2; RL 2004/38/EG Art. 14 Abs. 4; RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2; EG Art. 12 S. 1
Auszüge:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), mit dem der Antragsteller, ein griechischer Staatsangehöriger, der in Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung gemäß § 5 Freizügigskeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) ist, die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung seit dem 01.11.2006 zu gewähren, ist im tenorierten Umfang begründet.

1. a) Nach § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.

Es ist bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich, dass diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II dem Grunde nach gegenwärtig vorliegen.

b) Es ist jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht davon auszugehen, dass der Anspruch des Antragstellers gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen ist.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind von der Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Mit der Neufassung von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II hat der Gesetzgeber Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 lit.b) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. April 2004, L 158/77 ff.) umgesetzt (vgl. Bundestagsdrucksache 16/688, Seite 13). Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder ggfs. während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 lit.b) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 lit. b) der Richtlinie sieht vor, dass gegen Unionsbürger auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden darf, wenn der Unionsbürger eingereist ist, um Arbeit zu suchen oder eine Ausbildung aufzunehmen, jedenfalls so lange sie nachweisen können, dass sie Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

Es ist bereits zweifelhaft, ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Falle des Antragstellers erfüllt ist. So hat das Sozialgericht Osnabrück (Beschluss vom 02.05.2006, Az.: S 22 AS 263/06 ER) die Auffassung vertreten, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei im Wege einer teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen, dass von der Neuregelung nur Ausländer betroffen seien, die sich erstmalig in das Bundesgebiet begeben hätten und dort unmittelbar mit dem Zuzog Sozialleistungen in Anspruch nähmen.

Darüber hinaus spricht viel dafür, dass die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Satz 1 EG, der unbeschadet besonderer Bestimmung des EG im Anwendungsbereich des Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, unanwendbar ist. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.09.2004, Az.: C-456/02 (Trojani) ausgeführt, eine nationale Regelung bedeute eine nach Art. 12 EG verbotene Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, wenn sie Unionsbürgern, die sich in dem Mitgliedsstaat rechtmäßig aufhielten, ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, die Leistungen von Sozialhilfe auch dann nicht gewähre, wenn sie die Voraussetzungen erfüllten, die für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates gälten. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat hieraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Unionsbürgern, die sich in Übereinstimmung mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz-EU rechtmäßig zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten und denen dies durch eine nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU auszustellende Freizügigkeitsbescheinigung bescheinigt wird, nicht im Hinblick darauf, dass sie sich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, Sozialhilfeleistungen verweigert werden dürfen, sofern die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen ist, etwa weil die Einreise in der Absicht erfolgt ist, Sozialhilfe zu erlangen (vgl. Beschluss vom 04.09.2006, Az.: L 20 B 73/06 SO ER; Beschluss vom 03.11.2006, Az.: L 20 B 248/06 AS ER). In europarechtskonformer Auslegung hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers nach § 23 Abs. 1 SGB XII angenommen und den beigeladenen Sozialhilfeträger entsprechend verurteilt. Nachdem der Gesetzgeber jedoch § 23 Abs. 3 SGB XII durch Änderungsgesetz vom 02.12.2006 mit Wirkung ab dem 07.12.2006 geändert hat und nunmehr entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II den Anspruch auf Sozialhilfe von Ausländern, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, ausgeschlossen hat, scheitert nunmehr eine entsprechende europarechtskonforme Auslegung am eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Der vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH angenommene Verstoß gegen Art. 12 Satz 1 EG kann daher nunmehr nur dazu führen, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht im Einzelfall unanwendbar ist (so auch Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn. 14). Für die von der Antragsgegnerin angeregte Verpflichtung der Stadt Rheinbach besteht demgegenüber für den Zeitraum vom 06.02.2007 bis zum 14.03.2007 keine Rechtsgrundlage, da der Antragsteller als Erwerbsfähiger dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat und deshalb Ansprüche zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII ausscheiden. Auf eine Beiladung der Stadt Rheinbach nach § 75 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 SGG kann daher verzichtet werden. In Konsequenz der Ausführungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen findet vielmehr der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf den Antragsteller, der in Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU ist, keine Anwendung. Anhaltspunkte für eine unangemessene Inanspruchnahme der Leistungen nach dem SGB II sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist offensichtlich nicht in der Absicht in das Bundesgebiet eingereist, Sozialhilfe zu erlangen, da er direkt nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat.

Die vorstehenden Erwägungen führen in jedem Fall dazu, dass aufgrund einer Abwägung von einem Anspruch des Antragstellers für den Zeitraum vom 06.02.2007 bis zum 14.03.2007 auszugehen ist. Gegenwärtig spricht mehr dafür als dagegen, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 dem Anspruch des Antragstellers auf Arbeitslosengeld II nicht entgegensteht. Im Hauptsacheverfahren ist ggfs. ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EG durchzuführen. In jedem Fall überwiegen die Interessen des Antragstellers, da es um die Gewährung existenzsichernder Leistungen und die Erfüllung der Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG geht und die Verpflichtung der Antragsgegnerin zeitlich erheblich begrenzt ist.