VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 22.11.2006 - AN 3 K 03.30940 - asyl.net: M9617
https://www.asyl.net/rsdb/M9617
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Glaubwürdigkeit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

2. Der Kläger hat des Weiteren keinen Anspruch darauf, dass ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG, der § 51 Abs. 1 AuslG zum 1. Januar 2005 abgelöst hat, festgestellt wird.

Unter Würdigung dieser gesetzlichen Vorgaben hat der Kläger das Gericht nicht davon überzeugt, dass er zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem Iran von politisch motivierter Verfolgung bedroht gewesen ist oder dass eine Bedrohung des Lebens oder der Freiheit des Klägers zum jetzigen Zeitpunkt oder in absehbarer Zukunft auf Grund asylerheblicher Gründe zu befürchten ist. Dies beruht darauf, dass der Kläger zum einen in der mündlichen Verhandlung anders lautende Angaben als bei seiner Bundesamtsanhörung gemacht hat und zum anderen darauf, dass bereits bestehende Widersprüche und Zweifel nicht ausgeräumt werden konnten, teilweise noch verstärkt wurden und damit das Vorbringen des Klägers für das Gericht insgesamt in Bezug auf die asylerhebliche Gründe nicht realistisch und nachvollziehbar ist.

3. Abschiebungshindernisse im Sinne vom § 60 Abs. 2 - 6 AufenthG sind nicht gegeben. Ein Abschiebehindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist jedoch zu bejahen.

Nach Überzeugung des Gerichts leidet der Kläger tatsächlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese Erkrankung ist als verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung mit tiefer Verzweiflung zu verstehen. Das Erstgutachten und die ergänzenden Ausführungen der Therapeutin/Gutachterin des Klägers sind für das Gericht neben den Eindrücken aus der mündlichen Verhandlung ausreichend für die Bejahung der angestellten Diagnose. Das Erstgutachten in Verbindung mit seinen nachfolgenden Ergänzungen beruht auf zahlreichen Sitzungen. Der Kläger bekundete zudem in der mündlichen Verhandlung sein Vertrauen gegenüber der Therapeutin, so dass das Gericht davon ausgeht, dass sie einen Einblick in das Seelenleben des Klägers erhalten hat und damit eine hinreichenden Beurteilungsgrundlage für die abgegebene Diagnose vorliegt. Die von der Therapeutin geschilderten Symptome wie suizidale Gedanken, Schlafstörungen, erhöhte Aggressivität und niedrige Frustrationstoleranz sind zudem typische Merkmale dieses Krankheitsbildes. Die geschilderten Verhaltensweisen und Reaktionen ließen sich teilweise auch in der mündlichen Verhandlung beobachten.

Das Gericht geht weiter davon aus, dass die festgestellte Erkrankung des Klägers ihre Ursache in einer Behandlung durch iranische Polizeibeamte im Rahmen einer Inhaftierung hat. Anders als beim Tatsachenvortrag, der bereits oben dargestellt wurde, hat das Gericht insoweit keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen. Zum einen erscheint es plausibel, dass der Kläger, der im grenznahen Gebiet mit seinen Eltern und seinen Geschwistern aufgewachsen ist, tatsächlich am Schmuggel mit schwarzem Tee beteiligt war und dabei aufgegriffen wurde. Zum anderen sind solche Vorfälle jedenfalls in Einzelfällen bekannt und deshalb ein solches Erlebnis nicht als völlig unrealistisch zu bewerten. Die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung waren diesbezüglich wesentlich detaillierter und von wahrnehmbaren Gefühlsregungen begleitet als bei seinen Erzählungen im Übrigen. Insgesamt war deutlich zu erkennen, dass er bei diesem Teil seiner richterlichen Anhörung, anders als bei dem schon dargestellten Sachvortrag, wohl durch die erneute Vorstellung des Erlebten stark mitgenommen wirkte, auf Fragen jedoch schnell und ohne Widersprüche antwortete, und das Gericht dadurch das Gefühl hatte, er antworte aus seiner Erinnerung heraus.

Damit ist davon auszugehen, dass die Traumatisierung jedenfalls nicht nur auf exilbedingten Gründen beruht und damit ein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu bejahen ist. Das Gericht hat auch keine Zweifel an der Einschätzung der Psychologin/Gutachterin, dass im Falle einer Rückkehr mit einer Retraumatisierung und Reaktualisierung der PTBS-Symptomatik bis hin zu Suizidalität zu rechnen ist. Damit ist die im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geforderte Erheblichkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigung im Falle der Rückführung gegeben.

Der Kläger kann deshalb auch nach Einschätzung des Gerichts nicht auf eine Behandlung im Zielstaat Iran verwiesen werden. Eine Behandlung ist zwar nach den dem Gericht vorliegenden Auskünften und Erkenntnisquellen im Iran grundsätzlich gegeben. Im konkreten Fall des Klägers erscheint eine erfolgreiche Behandlung am Ort der Traumatisierung jedoch nicht zielführend und es kann wohl nicht von einer erfolgreichen Behandlung ausgegangen werden. Es kann damit offen bleiben, ob eine theoretisch verfügbare Behandlung für den Kläger dann auch finanziell tragbar wäre.

Die Tatsache, dass der Vortrag des Klägers nach Überzeugung des Gerichts in einigen Teilen glaubhaft, in anderen aber ebendies nicht ist, hat nicht zur Konsequenz, dass das Gericht den gesamten Vortrag in Frage stellen müsste. Die Ziehung einer Grenze zwischen glaubhaftem und nicht glaubhaftem Vortrag ist für das Gericht ohne weiteres möglich und auch zu begründen. Das Gericht geht davon aus, dass dem Kläger durchaus bekannt ist, dass das tatsächlich Erlebte nicht für die Bejahung eine politische Verfolgung genügt. Deshalb hat er das Erlebte durch einen Teil zu "ergänzen" versucht, der einen Asylgrund schaffen und damit ein Bleiberecht begründen würde.