VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 26.07.2006 - AN 18 K 05.31527 - asyl.net: M9621
https://www.asyl.net/rsdb/M9621
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, häusliche Gewalt, nichtstaatliche Akteure, außerehelicher Geschlechtsverkehr, nichteheliche Kinder, alleinerziehende Frauen, Auspeitschung, menschenrechtswidrige Behandlung, Sorgerecht, Kindschaftsrecht, Familienabschiebungsschutz
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

Unbegründet ist die Klage der Klägerin zu 1) und 2) hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG, weil sie keinen Anspruch darauf haben, dass in ihrem Falle das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt wird.

Soweit die Klägerin zu 1) Übergriffe ihres bereits in den Iran zurückgekehrten früheren Ehemannes befürchtet, von dem sie nach ihrem Vortrag nach deutschem Recht rechtskräftig seit 30. Mai 2006 geschieden ist, stellen derartige Nachstellungen bzw. Übergriffe keine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG dar. Eine Verfolgung durch Privatpersonen aus dem Familienkreis fällt nicht unter den Begriff Verfolgung durch "nicht staatliche Akteure" im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG. Was unter solchen Akteuren zu verstehen ist, ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift. Die Verfolgung durch nicht staatliche Akteure sollte einer Verfolgung durch die in Buchstabe a und b genannten Akteure gleichgestellt werden, also eine Verfolgung durch den Staat oder durch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen. Daraus kann entnommen werden, dass eine Verfolgung durch "nicht staatliche Akteure" im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG nur vorliegt, wenn eine Verfolgung von Gruppen ausgeht, die dem Staat oder den Parteien oder Organisationen ähnlich sind, nicht aber, wenn es sich um Verfolgung durch Familienmitglieder handelt (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 17.1.2005, Az: RO 3 K 04.30596).

Nachdem die Klägerin zu 1) durch die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung vom 24. Juli 2006 den Eintritt einer Schwangerschaft in den Mittelpunkt ihres Vortrags gerückt hat, sie demnach außerehelich schwanger geworden ist, ist festzustellen, dass die für außerehelichen Geschlechtsverkehr vorgesehenen Strafen im Iran nicht unter § 60 Abs. 1 AufenthG zu subsumieren sind. Auch wenn diese Strafen zwar europäischen Grundsätzen und den hiesigen Anforderungen an eine rechtsstaatliche Judikatur widersprechen, sie mit dem Wertesystem des Grundgesetzes somit nicht vereinbar sind, fehlen aber jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der iranische Staat mit diesen Vorschriften allgemein eine politisch missliebige Gesinnung oder Betätigung ahnden wollte. Es bestehen weiterhin auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die iranischen Behörden die strafrechtliche Verfolgung sexuellen Fehlverhaltens im Falle der Klägerin zu 1) als Vorwand für eine bei der Klägerin weder vorhandene noch vermutete politische Gegnerschaft missbrauchen könnten. Den einschlägigen iranischen Strafvorschriften liegt auch keine geschlechtsspezifische Verfolgung zu Grunde, da sie vielmehr Frauen und Männern gleicherweise betreffen (vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 18.5.2006, A 6 K 12318/04).

Bei der Klägerin zu 1) besteht aber ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich ihres Heimatlandes.

Nach, den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen droht der Klägerin zu 1) im Hinblick auf den außerehelichen und damit unerlaubten Geschlechtsverkehr zumindest die Auspeitschung. Bei dieser Sachlage besteht für die Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr in den Iran die konkrete Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. auch VG München, Urteil vom 7.7.1999, M 9 K 97.52999).

Im Gegensatz zur Klägerin zu 1) liegen bei der Klägerin zu 2) die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Abschiebeverbotes nach § 60 AufenthG nicht vor, auch wenn es, solange der Vater der Klägerin zu 2) noch in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hat, zu Übergriffen auf die Tochter, demnach auf die Klägerin zu 2), gekommen ist und diese Übergriffe Anlass für die nach dem Gewaltschutzgesetz vom Amtsgericht Erlangen am 7. September 2005 zu Lasten des Vaters der Klägerin zu 2) erlassene einstweilige Verfügung gewesen ist. Das iranische Recht wird zwar von dem Grundsatz beherrscht, dass minderjährige Kinder unter der elterlichen Sorge (Walayat) des Vaters stehen (vgl. Art. 1180 iranisches ZGB). Im vorliegenden Fall ist aber zu berücksichtigen, dass nach Art. 1173 iranisches ZGB die elterliche Sorge der Mutter übertragen werden kann, wenn, was im Falle des Vaters der Klägerin zu 2) anzunehmen ist, dieser sich besonders schweren kriminellen oder sittlichen Verfehlungen gegenüber dem Kind zu Schulden hat kommen lassen. Nach der nach dem iranischen Zivilgesetzbuch bestehenden Gesetzeslage haben die iranischen Behörden auch entsprechend der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Gesetzeslage das Kindeswohl zu berücksichtigen.

Im Falle der Klägerin zu 2) liegen auch nicht die Voraussetzungen des § 26 AsylVfG - Familienasyl und Familienabschiebungsschutz - vor.