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Zitieren als:
BGH, Urteil vom 22.11.2006 - XII ZR 119/04 - asyl.net: M9670
https://www.asyl.net/rsdb/M9670
Leitsatz:
Schlagwörter: Familienrecht, Ehegatte, Ehe, Scheidung, Unterhalt, nachehelicher Unterhalt, Unterhaltsverzicht, Sittenwidrigkeit, Wirksamkeitskontrolle, Ehevertrag, Ausländer
Normen: BGB § 138 Abs. 1
Auszüge:

Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in OLGR Koblenz 2005, 355 ff. veröffentlicht ist, hat der Antragsgegnerin dem Grunde nach zu Recht Unterhalt zuerkannt.

a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 11. Februar 2004 (BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601; vgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 6. Oktober 2004 - XII ZB 110/99 - FamRZ 2005, 26 und - XII ZB 57/03 - FamRZ 2005, 185; Senatsurteile vom 12. Januar 2005 - XII ZR 238/03 - FamRZ 2005, 691 und vom 25. Mai 2005 - XII ZR 296/01 - FamRZ 2005, 1444 sowie - XII ZR 221/02 - FamRZ 2005, 1449) dargelegt hat, darf die grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten - bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede - bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei um so schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten um so genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die Vereinbarung der Ehegatten über die Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

b) Dabei hat der Tatrichter zunächst - im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle - zu prüfen, ob die Vereinbarung über den Ausschluss einer Scheidungsfolge - hier: des nachehelichen Unterhalts - allein oder im Zusammenhang mit den übrigen ehevertraglichen Regelungen schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr - und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Das ist nicht nur dann der Fall, wie der Entscheidung des Oberlandesgerichts zu entnehmen sein könnte, wenn ein Ehegatte sich - für den anderen Ehegatten erkennbar - in einer Zwangslage befindet, die ihn veranlasst, in den Abschluss des für ihn nachteiligen Ehevertrags einzuwilligen. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und ggf. auf deren Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen.

Zwar gehört es, wie der Senat dargelegt hat, zum grundgesetzlich verbürgten Recht der Ehegatten, ihre eheliche Lebensgemeinschaft eigenverantwortlich und frei von gesetzlichen Vorgaben entsprechend ihren individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten.

Diese Grundsätze bedeuten indes nicht, dass sich ein Ehegatte über einen ehevertraglichen Verzicht von jeder Verantwortung für seinen aus dem Ausland eingereisten Ehegatten in Fällen freizeichnen kann, in denen dieser seine bisherige Heimat endgültig verlassen hat, in Deutschland (jedenfalls auch) im Hinblick auf die Eheschließung ansässig geworden ist und schon bei Vertragsschluss die Möglichkeit nicht fern lag, dass er sich - etwa aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, aufgrund seiner Ausbildung oder auch infolge einer Krankheit - im Falle des Scheiterns der Ehe nicht selbst werde unterhalten können. Auch wenn in einem solchen Fall die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache, die fehlende oder in Deutschland nicht verwertbare berufliche Ausbildung oder die Krankheit dieses Ehegatten als solche nicht ehebedingt ist, so ist doch die konkrete Bedarfssituation, in die dieser Ehegatte mit der Trennung oder Scheidung gerät, eine mittelbare Folge der Eheschließung. Es widerspricht der nachehelichen Solidarität, den früheren Ehegatten, der erst im Hinblick auf die Eheschließung in Deutschland ansässig geworden ist, die Folgen einer hier eingetretenen und bei Abschluss des Ehevertrags zumindest vorhersehbaren Bedürftigkeit allein tragen zu lassen.

So liegen die Dinge auch hier. Die Antragsgegnerin befand sich dabei in einer deutlich schwächeren Verhandlungsposition, weil sie ohne die Eheschließung weder eine unbefristete Aufenthalts- noch eine Arbeitserlaubnis erhalten hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2006 - XII ZB 250/03 - FamRZ 2006, 1097, 1098) und somit ihren Wunsch, im Inland zu bleiben, nicht hätte verwirklichen können. Außerdem war bereits bei Abschluss des Ehevertrags absehbar, dass die Antragsgegnerin, die der deutschen Sprache nicht mächtig war, als ... in Deutschland schwerlich Erwerbsmöglichkeiten finden würde, die ihr und ihrem Kind im Trennungsfall ein vom Antragsteller wirtschaftlich unabhängiges Auskommen hätten vermitteln können.