VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 23.11.2006 - 5 A 88/06 - asyl.net: M9684
https://www.asyl.net/rsdb/M9684
Leitsatz:

1.) Ein ausländerrechtlicher Titel erledigt sich durch eine Einbürgerung nur für die Zeit ab Einbürgerung.

2.) Nach Rücknahme einer Einbürgerung ex-tunc lebt dieser ausländerrechtliche Titel wieder auf.

3.) Eine gesonderte Rücknahme des Aufenthaltstitels ist erforderlich.

 

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Rücknahme, Rückwirkung, Aufenthaltstitel, Erledigung, Wiederaufleben, rechtmäßiger Aufenthalt
Normen: VwGO § 43 Abs. 1; VwVfG § 43 Abs. 2; AufenthG § 38; StAG § 17
Auszüge:

1.) Ein ausländerrechtlicher Titel erledigt sich durch eine Einbürgerung nur für die Zeit ab Einbürgerung.

2.) Nach Rücknahme einer Einbürgerung ex-tunc lebt dieser ausländerrechtliche Titel wieder auf.

3.) Eine gesonderte Rücknahme des Aufenthaltstitels ist erforderlich.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Klage, über die ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, weil die Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis mit dieser Entscheidungsform erklärt haben, ist zulässig und begründet.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Feststellungsklage sind gegeben. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung nach Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - über die Rücknahme der Einbürgerung wieder bestand. Aufgrund der Vorschrift des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt sie nunmehr als Niederlassungserlaubnis weiter.

Die am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung ist durch die Einbürgerung am 12. Januar 1998 nur für den Zeitraum erloschen, in dem der Kläger (formell) eingebürgert war.

Die Frage, ob frühere ausländerrechtliche Aufenthaltstitel dauerhaft erlöschen, wenn ein Ausländer eingebürgert worden ist, oder ob sie im Falle der Rücknahme dieser Einbürgerung wieder aufleben, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt. Es liegt - soweit auch nach Recherche im Internet ersichtlich -, keine Entscheidung vor, in der tragend auf diese Problematik abgestellt wurde.

Das erkennende Gericht ist der Auffassung, dass die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, durch den dem Kläger die Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, für die Vergangenheit nicht entfallen ist. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam bis er erledigt ist. Diese Erledigung ist mit der Einbürgerung am 12. Januar 1998 eingetreten, denn ab diesem Zeitpunkt benötigte der nunmehr Deutsche keinen ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel mehr (so argumentiert zu Recht auch das OVG Hamburg, aaO. S. 85). Allerdings gilt diese Erledigung nur für den Zeitraum, in dem der Kläger als "Deutscher" zu behandeln war, was auch für den Zeitraum gilt, in dem bei einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage bestand. Mit unanfechtbarer Entscheidung über die rückwirkenden Wirkung der Rücknahme der Einbürgerung wird deshalb aufenthaltsrechtlich wieder an den im Zeitpunkt des formellen einbürgerungsrechtlichen Verleihungsaktes bestehenden aufenthaltsrechtlichen Status angeknüpft (vgl. Marx in GK-StAR, IV-2 § 17 Rn. 35.4).

Die Bedenken des OVG Hamburg (aaO.) dagegen teilt das erkennende Gericht nicht. Das OVG nimmt aus Sicht des erkennenden Gerichts zu Unrecht an, dass bei einer Rücknahme ex tunc, die Zeit des rechtswidrigen Besitzes der erschlichenen deutschen Staatsangehörigkeit dem Kläger als (formell) rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Ausländerrechts angerechnet werden müsste, wenn die (fiktiv) von Anfang an bestehende Unwirksamkeit der Einbürgerung zum Aufleben und der Weitergeltung der (eigentlich) erloschenen Aufenthaltsgenehmigung führen würde (im Sinne des OVG Hamburg auch Marx, aaO., der meint, eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im ausländerrechtlichen Sinne sei nicht eingetreten). Diese Konsequenz, dass der Aufenthalt des Klägers während der Dauer der formell bestandenen deutschen Staatsangehörigkeit bei ex tunc Rücknahme der Einbürgerung als im Sinne des Ausländerrecht rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen ist, ist nicht zwingend.

Zur Frage, ob die Aufenthaltsdauer als "Deutscher" bei zurückgenommener Einbürgerung als rechtmäßiger Aufenthalt eines Ausländers evtl. für ein erneutes Einbürgerungsverfahren anzusehen ist, gab es bis zum 31.12.2004 keine konkrete Regelung (vgl. Renner, AuslR, Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 38 Rn. 2). Den diesbezüglichen Überlegungen des OVG Hamburg (aaO.) kann jedoch nunmehr auch die Neuregelung des § 38 AufenthG entgegengehalten werden. Danach werden unter bestimmten Umständen Zeiten des gewöhnlichen Aufenthaltes als Deutscher im Bundesgebiet solchen eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts als Ausländer im Bundesgebiet gleichgestellt. Diese Regelung gilt jedoch nur für "ehemalige Deutsche" und bei "Verlust" der deutschen Staatsangehörigkeit. Dieses bedeutet, dass die deutsche Staatsangehörigkeit für einen bestimmten Zeitraum bestanden haben muss und für die Zukunft entfallen ist. Soweit es um den Begriff des "Verlustes" geht, kann auf § 17 StAG zurückgegriffen werden (vgl. auch Renner, aaO., Rn. 3). Alle dort genannten Fälle sind jedoch zukunftsorientiert und betreffen gerade nicht den Fall, dass eine Einbürgerung mit ex-tunc-Wirkung zurückgenommen worden ist. Zur Frage, ob die Rücknahme einer Einbürgerung mit ex-nunc-Wirkung, die in § 17 StAG nicht erwähnt wird, vom Anwendungsbereich des § 38 AufenthG erfasst wird, bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass bei einem Unwirksamwerden aller bisher erteilten Aufenthaltstitel durch eine Einbürgerung im Falle der Rücknahme dieser Einbürgerung in jedem Fall keine Aufenthaltstitel mehr bestehen würden. Dieses würde ohne Unterschied auch für die Fälle gelten, in denen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Aufenthaltstitel nichts einzuwenden wäre, d.h. das vorwerfbare Verhalten sich auf das Einbürgerungsverfahren beschränken würde. Das spricht dafür, ein dauerhaftes Erlöschen früherer Aufenthaltstitel abzulehnen, um somit bezüglich dieser Aufenthaltstitel differenziert nach § 48 VwVfG vorgehen zu können.

Deshalb ist neben der Rücknahme der Einbürgerung auch die Rücknahme der zuvor erteilten Aufenthaltstitel notwendig, wenn auch diese Aufenthaltstitel rechtswidrig erteilt wurden. Wenn mit der Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung auch die Rücknahme der Aufenthaltstitel erfolgt, könnte im Übrigen der vom VGH Kassel angesprochenen Auswirkung begegnet werden, dass die Zeit als "Deutscher" in einem evtl. neuen Einbürgerungsverfahren berücksichtigt werden müsste.