VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 28.11.2006 - 6 A 589/05 - asyl.net: M9685
https://www.asyl.net/rsdb/M9685
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Albaner, KFOR, UNMIK, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Märzunruhen, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, menschenrechtswidrige Behandlung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, bewaffneter Konflikt, Lebensunterhalt, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, Krankheit, Depression
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; RL 2004/83/EG Art. 6; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 2 Bst. e
Auszüge:

I. Das Bundesamt hat rechtmäßig entschieden, dass die Voraussetzungen für das jetzt in § 60 Abs. 1 AufenthG (vormals entsprechend § 51 Abs. 1 AuslG) geregelte Abschiebungsverbot wegen politischer Verfolgung nicht mehr erfüllt sind.

Die Klägerin kann aus ihrer Volkszugehörigkeit und der Sicherheitslage in ihrer Heimat einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (vormals entsprechend § 51 Abs. 1 AuslG) nicht (mehr) herleiten. Albaner aus dem Kosovo sind wegen ihrer Volkszugehörigkeit einer Verfolgungsgefahr, wie sie die Schutzansprüche nach Art. 16 a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG voraussetzen, in ihrer Heimat nicht ausgesetzt.

Auch die Voraussetzungen der durch das Zuwanderungsgesetz eingeführten Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG sind nicht erfüllt. Nach der Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass die KFOR-Truppen, die UNMIK und die sonstigen Sicherheitskräfte sowohl willens als auch in der Lage sind, den im Kosovo lebenden albanischen Volkszugehörigen Schutz zu gewähren (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 13.05.2005 - 13 LA 92/05 -).

II. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG.

1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG (der die wortgleiche Regelung des § 53 Abs. 4 AuslG ersetzt hat) i. V. m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt die Gefahr menschenrechtswidriger staatlicher oder dem Staat zurechenbarer Maßnahmen voraus, für die es hier keine Anhaltspunkte gibt (vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, InfAuslR 1996, 254, 255). Diese Regelung bleibt durch die Bestimmungen in Art. 6 Buchst. c i. V. m. Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 unverändert (vgl. Begründungserwägung Nr. 11 zur Richtlinie 2004/83/EG des Rates). Aber auch in unmittelbarer Anwendung dieser Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie ergibt sich kein Anspruch auf Abschiebungsschutz. Nach Art. 6 Buchst. c i. V. m. Art. 15 Buchst. b und Art. 18 der Richtlinie besteht ein Anspruch auf Abschiebungsschutz bei gebietsweiter (Art. 8 der Richtlinie) Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch nichtstaatliche Akteure, sofern der Staat oder die den Staat beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz zu gewähren. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls wegen des durch UNMIK und KFOR grundsätzlich sichergestellten Schutzes aus den dargelegten Gründen nicht erfüllt.

2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht.

a) Für albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo sind die Voraussetzungen, unter denen wegen erheblicher allgemeiner Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung abgesehen werden kann, gegenwärtig nicht erfüllt. Wegen allgemeiner Gefahren für eine Bevölkerungsgruppe kann das Bundesamt grundsätzlich nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG verpflichtet werden.

b) Auch unter Anwendung der Regelungen in Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 lässt sich aus der gegenwärtigen Sicherheitslage im Kosovo für ethnische Albaner kein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG herleiten. Zwar ist in richtlinienkonformer Auslegung dieser Vorschrift des Aufenthaltsgesetzes davon auszugehen, dass von der Abschiebung eines Ausländers auch dann abzusehen ist, wenn er im Herkunftsstaat im Rahmen eines bewaffneten Konflikts als Angehöriger der Zivilbevölkerung gebietsweit einer erheblichen individuellen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt ist. Einer solchen gebietsweiten (Art. 8 der Richtlinie) Gefahrenlage unterliegen ethnische Albaner im Kosovo jedoch nicht. Hinzu kommt, dass ein "bewaffneter Konflikt" im Sinne der Richtlinie nur bei einer kriegerischen Auseinandersetzung von erheblicher Dauer und Intensität angenommen werden kann (ebenso Bundesministerium des Innern, Hinweise zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 13.10.2006). Die seit den Unruhen im März 2004 noch gelegentlich örtlich auftretenden inter-ethnischen Konflikte im Kosovo erfüllen diese Voraussetzung jedenfalls nicht (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht Kosovo vom 29.06.2006). Unabhängig davon kann auch insoweit ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG grundsätzlich nicht aus Gefahren hergeleitet werden, denen eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist (vgl. auch Begründungserwägung Nr. 26 zur Richtlinie 2004/83/EG des Rates; Hessischer VGH, Beschl. vom 21.10.2005 - 7 ZU 2005/05.A -).

c) Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Lebensunterhalt der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo derart ungesichert wäre, dass sie dort einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sein würde. Auch alleinstehende Frauen bzw. allein erziehende Mütter haben im Kosovo einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn sie ohne Einkommen und Vermögen sind und auch durch Familienangehörige im In- oder Ausland nicht unterstützt werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 06.06.2005 - Az. 508-516.80/42653 -). Darüber hinaus sind im Kosovo weiterhin Hilfsorganisationen tätig, die sich für alleinstehende Frauen engagieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Kosovo vom 29.06.2006).

3. Auch aus den Regelungen in Art. 15 Buchst. b und Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 lässt sich im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin kein weitergehender Anspruch auf Abschiebungsschutz herleiten.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Richtliniengeber dem Begriff der "unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung" einen anderen Inhalt als der wortgleichen Formulierung in Art. 3 EMRK geben wollte. Eine den Abschiebungsschutz auslösende "unmenschliche" oder "erniedrigende" Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK liegt jedoch nur vor, wenn die physische oder psychische Integrität des Betroffenen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles schwerwiegend beeinträchtigt ist (vgl. EGMR, Urt. vom 25.09.1997, NVwZ 1998, 161 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 97 f.; Grabenwarter, EMRK, 2. Aufl., S. 135 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 12 Rn. 3, 8, jeweils m. w. N.). Dies ist hier unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Erkrankungen und der Behandlungsmöglichkeiten in der Heimat der Klägerin aus den dargelegten Gründen jedenfalls nicht ersichtlich. Daher kann offen bleiben, ob eine unmenschliche oder erniedrigende "Behandlung" im Sinne des Art. 3 EMRK und des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie eine durch zielgerichtetes Handeln herbeigeführte Rechtsgutsbeeinträchtigung voraussetzt und die Regelungen damit keinen Schutz vor einer unzureichenden medizinischen Versorgung im Zielstaat der Abschiebung begründen können (gegen die Anwendung der Richtlinien-Vorschrift bei unterlassenen Maßnahmen: Hessischer VGH, Beschl. vom 21.10.2005 - 7 ZU 2005/05.A -; für Art. 3 EMRK im Ergebnis ebenso BVerwG, Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 f., anders EGMR, aaO., zum Streitstand s. Hailbronner, aaO., Rn. 104 ff., Zimmer/Zimmermann in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Art. 3 EMRK Rn. 118 ff.).