VG Oldenburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 09.10.2006 - 11 A 2270/05 - asyl.net: M9689
https://www.asyl.net/rsdb/M9689
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Folgeantrag, Sippenhaft, Kurden, Interview, Roj-TV, exilpolitische Betätigung, Auslandsaufenthalt, Antragstellung als Asylgrund, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; AsylVfG § 51 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

1. a. Wegen Gefährdungen der Kläger durch das Interview ihres Vaters in einer am 18. Mai 2004 ausgestrahlten Sendung von Roj-TV darf die Beklagte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG schon deshalb nicht feststellen, weil dem §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 3 VwVfG entgegenstehen.

b. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, das Verfahren insoweit gem. § 51 Abs. 5 i.V.m. § 49 Abs. 1 VwVfG nach Ermessen wiederaufzugreifen (vgl. dazu allgemein: BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 ff.). Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen nämlich nicht vor.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil des Einzelrichters vom 17. Februar 2005 - 11 A 3098/04 - <S. 13>) und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 24. September 2004 - 2 LB 156/03 - <S. 10 f.>; Urteil vom 22. Mai 2001 - 2 L 3644/99 - <S. 19> jeweils m.w.N.) wird in Syrien keine generelle Sippenhaft praktiziert, sondern nur bei als besonders gefährlich eingestuften Regimegegnern. In den anderen Fällen besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bzw. menschenrechtswidriger Handlungen gegenüber Angehörigen von Regimegegnern, sondern lediglich die - nicht ausreichende - Möglichkeit solcher Maßnahmen.

Hieran ist auch unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnismittel festzuhalten.

Der Vater der Kläger ist - wovon offenbar auch das Verwaltungsgericht Magdeburg in dem auch die Mutter bzw. Geschwister der Kläger betreffenden Urteil vom 24. Januar 2005 ausgeht - zur Überzeugung des Gerichts kein besonders gefährlicher Regimegegner. Sein Interview am 18. Mai 2004 im Roj-TV weist lediglich eine Dauer von 2 ½ Minuten auf. Weitere oppositionelle Tätigkeiten in der Bundesrepublik sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die geschilderte exilpolitische Tätigkeit des Vaters der Kläger ist zudem - wenn überhaupt - allenfalls knapp über der Schwelle, die zur Annahme eines Abschiebungsverbots führen kann. Denn nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa Urteile vom 3. und 28. Februar 2005 - 11 A 2001/03 und 2286/03 -) und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (z.B. Urteile des Nds. OVG vom 27. März 2001 - 2 L 5117/97 - und 22. Oktober 2002 - 2 L 2583/00 - m.w.N.; Beschluss vom 2. Juli 2003 - 2 LA 172/02 -; Urteil vom 30. September 2004 - 2 L 986/99 -; Beschluss vom 6. Juni 2005 - 2 LA 197/05 -) ergibt sich die erforderliche beachtliche, d.h. überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen syrischer Stellen bei umfassender Würdigung einschlägiger Erkenntnismittel nur, wenn neben der Zugehörigkeit zu einer Minderheitenvolksgruppe und der Verbindung zu einer systemkritischen (Exil-)Oppositionspartei oder entsprechenden Vereinigung im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten. Solche liegen vor, wenn es sich um regimefeindliche Aktivitäten handelt, durch die sich das syrische Regime in seinem Bestand bedroht fühlt und diese sich deutlich von den Tätigkeiten zahlreicher anderer syrischer Staatsangehöriger in Deutschland unterscheiden.

3. Im Hinblick auf die posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin im Verfahren 11 A 2272/05 liegt kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (a.a.O., S. 25) ist die medizinische Versorgung in Syrien im Grundsatz flächendeckend und kostenfrei. Auch wenn sie nicht westlichen Maßstäben entspricht, sind überlebensnotwendige Behandlungen und Therapien chronischer Leiden gewährleistet. Die Medikamentenversorgung ist grundsätzlich weitgehend sichergestellt, muss jedoch häufig vom Patienten bezahlt werden.

Nach einer Auskunft der Deutschen Botschaft Damaskus vom 22. Januar 2006 an das VG Koblenz kann auch eine posttraumatische Belastungsstörung in staatlichen oder privaten Krankenhäusern behandelt werden. Die staatlichen Krankenhäuser werden kostenlos tätig. Ferner ist in den genannten Einrichtungen eine psychotherapeutische Behandlung möglich.

Angesichts dessen wird eine Behandlung der Klägerin auch nicht aus finanziellen Gründen scheitern. Hinzu kommt, dass inzwischen ein Großteil der Familie der Kläger mit gesichertem Aufenthaltsrecht in Deutschland lebt und sie daher von hier aus unterstützt werden könnte.