OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.01.2007 - 3 S 33.06 - asyl.net: M9695
https://www.asyl.net/rsdb/M9695
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgrund, öffentlicher Aufruf zur Gewaltanwendung, Vorbeter, Mordaufruf, Islamisten, Moschee, AQIDA, Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaft, Hizb-ut-Tahrir, HuT, atypischer Ausnahmefall, Schutz von Ehe und Familie, deutsche Kinder, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 54 Nr. 5a; AufenthG § 5 Abs. 4; AufenthG § 27 Abs. 3 S. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Verwaltungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung und dem privaten Interesse des Antragstellers, während des Rechtsbehelfsverfahrens von dieser Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben, zu erfolgen hat.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spricht ganz Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG verwirklicht hat, was die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG ausschließt. Hierbei kann offen bleiben, ob die Verwirklichung des Ausweisungsgrundes "Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" (§ 54 Nr. 5 a [2. Alt.] AufenthG) anzunehmen ist, was vom Verwaltungsgericht verneint wurde. Jedenfalls hat der Antragsteller den Ausweisungsgrund des öffentlichen Aufrufs zur Gewaltanwendung (§ 54 Nr. 5 a [4. Alt.] AufenthG) erfüllt. Dies folgt, wie die Beschwerde überzeugend darlegt, aus den Äußerungen des Antragstellers als Vorbeter beim Freitagsgebet in der TU-Moschee am 12. August 2005. Mit seinem vertieften, auf fachkundigen Stellungnahmen der Berliner Verfassungsschutzbehörde beruhenden Beschwerdevorbringen zeigt der Antragsgegner auf, dass der Vergleich des amerikanischen Präsidenten Bush und des britischen Premierministers Blair mit dem Pharao als Mordaufruf zu werten ist und damit als Aufruf zur Gewaltanwendung im Sinne des genannten Ausweisungstatbestandes.

Der Antragsgegner legt dar, dass der Verweis auf den "Pharao" eine insbesondere unter Islamisten übliche Chiffre sei, mit der Muslime zur Tötung von Staatsoberhäuptern aufgerufen werden. Der Begriff des Pharao kennzeichne insofern das Sinnbild des zu tötenden "ungerechten Herrschers". Der Pharao verkörpere nach der Überlieferung von Bibel und Koran den mächtigsten Gott-König der damaligen antiken Welt, der sich in seiner Hybris den Ermahnungen Gottes und seines Propheten verschließt und dafür von Gott mit Tod und Vernichtung bestraft wird. In der biblischen Überlieferung des Exodus (2. Buch Mose, Kapitel 14 und 15) rettet Gott das aus Ägypten ausziehende Volk Israel vor der Verfolgung durch das ägyptische Heer und lässt dieses - mit dem Pharao an der Spitze - im Meer umkommen.

Soweit der Antragsteller Präsident Bush und Premierminister Blair im Zusammenhang mit dem Irakkrieg als "Pharao" und Unterdrücker der Muslime bezeichnet, lehnt sich dies vordergründig an das genannte Gleichnis an. Nach dem vom Antragsgegner - unter Bezugnahme auf Stellungnahmen der Berliner Verfassungsschutzbehörde - aufgezeigten Kontext, den der Islamwissenschaftler Dr. F. im Termin zur mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert hat, ist diese Gleichsetzung heutiger Staatschefs mit dem antiken Pharao nicht allein als gleichnishafte Warnung vor göttlicher Bestrafung zu verstehen. Vielmehr hat die Bezeichnung als Pharao in einem islamistischen Kontext diffamierenden Charakter und ist mit der Aufforderung zur Tötung dieser Herrscher verbunden.

Der Antragsteller ist dieser für den Senat überzeugenden Interpretation seiner Predigt nicht entgegengetreten.

Für die bewusste Bezugnahme des Antragstellers auf den Gewaltaufruf im Pharaonenvergleich spricht außerdem seine Nähe zum islamistischen Umfeld der HuT. Zwar ist eine Mitgliedschaft in der HuT nicht belegt. Jedoch kann eine Mitgliedschaft des Antragstellers in der AQIDA und die dortige Eigenschaft als Vorstandsmitglied ("Vereinssekretär und Protokollführer") festgestellt werden. Dass die AQUIDA als Hochschulgruppe der HuT personell und geistig verbunden war, wird aus der von ihr am 27. Oktober 2002 durchgeführten Veranstaltung mit S., einem führenden Mitglied der HuT, deutlich. Die personelle Verflechtung ergibt sich nach einem Vermerk der Berliner Verfassungsschutzbehörde vom 31. Januar 2005 ferner daraus, dass eine Reihe von Mitgliedern der AQUIDA zugleich Mitglieder der HuT waren.

Der Aufruf zur Gewaltanwendung erfolgte öffentlich. Bei der sog. TU-Moschee handelt es sich nach dem Vermerk der Berliner Verfassungsschutzbehörde vom 31. Oktober 2005 um einen Gebetsraum für muslimische Studenten. Das Bestehen einer Zugangsbeschränkung ergibt sich aus dem Vermerk nicht und wird von dem Antragsteller auch nicht behauptet.

Die Verwirklichung des Ausweisungstatbestandes gemäß § 54 Nr. 5 a [4. Alt.] AufenthG hat zur Folge, dass dem Antragsteller gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf. Ein Ausnahmefall im Sinne von § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG liegt ersichtlich nicht vor. Der Antragsgegner war auch im Hinblick auf die Familie des Antragstellers zu Ermessenserwägungen nicht verpflichtet. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht anwendbar.

Dies ist auch in Ansehung der durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten familiären Beziehung des Antragstellers zu seiner Ehefrau und seinem Kind, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, gerechtfertigt. Diese Gesichtspunkte treten vorliegend hinter das erhebliche und höher einzuschätzende Sicherheitsinteresse des Staates und seiner Bürger zurück (vgl. BT-Drs. 15/420 [S. 70 f.] zu § 5 Abs. 4 AufenthG). Darüber hinaus kann im vorliegenden Fall nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller mit dem Gewaltaufruf in Abkehr von seiner eigenen Schutzverpflichtung gegenüber Ehefrau und Kind gehandelt hat und sich von seinem Tun auch nicht durch die damals bereits angekündigte Ausweisung hat abhalten lassen.