VG Wiesbaden

Merkliste
Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 01.02.2007 - 1 E 1220/06.A - asyl.net: M9705
https://www.asyl.net/rsdb/M9705
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Südserbien, Kosovo, Albaner, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Registrierung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klägerin zu 2.) hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle einer Rückkehr der Klägerin zu 2.) nach Serbien besteht für diese eine erhebliche konkrete Gesundheits- und Lebensgefahr. Die Klägerin zu 2.) hat glaubhaft bekundet und durch Vorlage ärztlicher Bescheinigungen belegt, dass sie an einer psychischen Erkrankung leidet. Im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat würde die Klägerin zu 2.) aufgrund sowohl mangelnder medikamentöser als auch psychotherapeutischer Behandlung eine Destabilisierung erfahren, die zu einer konkreten, sich aufdrängenden Gefahr einer suizidalen Handlung führen würde. Im Falle der Klägerin zu 2.) kann die Frage der Behandelbarkeit ihrer psychischen Erkrankung nicht an den bekannten Maßstäben der Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Serbien oder im Kosovo gemessen werden. Aufgrund ihrer Ethnie und ihres Herkunftsgebietes geht das Gericht im Falle ihrer Rückkehr von einer nicht adäquaten Behandelbarkeit ihrer Erkrankung aus.

Die Kläger stammen aus Südserbien, einer Region an der Grenze zum Kosovo, die ehemals vorwiegend von Personen albanischer Ethnie bewohnt wurde, nach dem Kosovo-Krieg und den sich daran anschließenden Unruhen bis zum Frühjahr 2001 sind ca. 12.500 Albaner geflohen und nur teilweise wieder zurückgekehrt. In zahlreichen Gemeinden leben nunmehr überwiegend Serben. Grundsätzlich ist die medizinische Versorgungslage insbesondere im Bereich der psychischen Krankheiten in Südserbien auf dem gleichen Standard wie im übrigen Serbien. Psychische Krankheiten werden aufgrund des dort vorherrschenden Ansatzes überwiegend medikamentös behandelt. Die Grundversorgung mit häufig verwendeten Medikamenten ist gewährleistet (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.2.2006). Präparate sind in staatlichen Apotheken nicht immer verfügbar und müssen in privaten Apotheken zu Marktpreisen beschafft oder kostenintensiv importiert werden. Die Belieferung mit kostspieligen Medikamenten ausländischer Herkunft ist nur für einen wohlhabenden Teil der Bevölkerung gewährleistet. Der Großteil der Bevölkerung ist auf die staatliche medizinische Versorgung angewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die Situation der Klägerin zu 2.) zu bewerten: Nach Angaben der Kläger lebt niemand aus ihrer Familie noch in Südserbien, die Eltern sind in das Kosovo geflohen. Die wirtschaftliche Situation der Kläger im Falle ihrer Rückkehr ist schlecht, private medizinische Behandlung und der Erwerb von benötigten Medikamenten in privaten Apotheken wird aus finanziellen Gründen nicht möglich sein. Für die medizinische Versorgung gibt es die in Serbien die gesetzliche Pflichtversicherung, die jedoch die Registrierung in Serbien voraussetzt. Nach Überzeugung des Gerichts wird die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung mangels zeitnaher Registrierung in Südserbien auf sich warten lassen mit der Folge, dass eine dringend notwendige weitere Behandlung und Stabilisierung der Klägerin zu 2.) auf nicht absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Für die Registrierung sind ein Wohnsitz und die erforderlichen Dokumente nötig. Wie das Auswärtige Amt bestätigt (a.a.O.) wird Minderheiten wie Roma und Albanern die notwendige Registrierung auch durch Schikane erschwert.

Selbst wenn man nicht der Auffassung sein sollte, dass im Falle der Klägerin zu 2.) eine rein medikamentöse Behandlung ihrer Erkrankung ausreichend ist, eine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu verhindern und suizidale Handlungen in Zukunft auszuschließen, so vermag in Südserbien auch keine psychotherapeutische Behandlung der Klägerin zu 2.) erfolgen.

Ein Ausweichen oder eine Umsiedlung in den Kosovo zur Behandlung ihrer psychischen Erkrankung kommt für die Klägerin zu 2.) ebenso wenig in Betracht. Die Klägerin zu 2.) stammt jedoch nicht aus dem Kosovo, auch ihre Familie stammt aus Südserbien, so dass eine Registrierung mangels Wohnraum, wenn überhaupt, nur schwer zu bewerkstelligen sein wird.