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VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 11.12.2006 - 10 E 3495/06 - asyl.net: M9736
https://www.asyl.net/rsdb/M9736
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Duldung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Eheschließung, beabsichtigte Eheschließung, Eheschließungsfreiheit, Verlöbnis, Iran, Iraner, Kriegsdienstverweigerung, Ausreisehindernis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 9; GG Art. 4 Abs. 3; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Der vorliegende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

b) Nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den einstweiligen Rechtsschutzantrag kann auch aus der Absicht des Antragstellers, in naher Zukunft eine Frau zu heiraten, die eine Niederlassungserlaubnis besitzt, kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis - das Bezirksamt Hamburg-... nennt in diesem Zusammenhang § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - hergeleitet werden.

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Verlöbnis noch nicht den aufenthaltsrechtlichen Schutz auslöst, der sich für Ehegatten aus Art. 6 Abs. 1 GG herleitet. Es beeinträchtigt grundsätzlich auch nicht die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit, wenn dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis in den Fällen versagt wird, in denen der Zeitpunkt der Eheschließung noch ungewiss ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.10.1984 - BVerwG 1 B 114.84 - InfAuslR 1985, 130/131 m.w.N.). Selbst ein Duldungsanspruch wird nur dann anerkannt, wenn die Eheschließung ernsthaft beabsichtigt ist und unmittelbar bevorsteht. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Heiratstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (OVG Hamburg, Beschl. v. 12.1.1998 - 6 Bs 12/98 - m.w.N., juris; VG Hamburg, Beschl. v. 31.10.2006 - 10 E 3638/06 m.w.N.).

Dies ist im Fall des Antragstellers nicht der Fall.

Bei der Abwägung der entgegenstehenden Interessen berücksichtigt das Gericht auch, dass gerade im Fall von iranischen Staatsangehörigen eine Eheschließung durch die Ausreise eines der beiden Verlobten nicht unzumutbar erschwert wird. Soweit es der Verlobten des Antragstellers nicht möglich sein sollte, ihrerseits zum Zweck der Eheschließung in den Iran zu reisen, bestünde nach iranischem Recht die Möglichkeit, die Ehe durch einen Beauftragten schließen zu lassen (Art. 1071 des iranischen Zivilgesetzbuchs), ohne dabei selbst anwesend sein zu müssen. Angesichts dessen bedürfte es evtl. nicht einmal einer kurzfristigen Betretenserlaubnis zum Zweck der Eheschließung (auf diese Möglichkeit weist z.B. das BVerwG im Beschl. vom 2.10.1984, aaO., hin).

c) Dem Antragsteller kann schließlich auch seine geltend gemachte Befürchtung nicht helfen, er werde im Iran, wo es ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung nicht gibt (siehe Iran-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.9.2006, Seite 26), möglicherweise entgegen seinem Gewissen zum Wehrdienst herangezogen bzw. im Weigerungsfall bestraft.

Art. 9 EMRK, der den Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zum Gegenstand hat, umfasst nicht das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (ausführlich hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 2.9.1998 - 5 Bf 418/98.A - InfAuslR 1999, 105 f. m.w.N.; ebenso OVG Saarlouis, Beschl. v. 27.10.2000 - 9 Q 56/00 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 4.10.2006 - 18 B 2066/06 - juris; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Febr. 2006, § 60 AufenthG, Rn. 120).

Im Sinn des § 25 Abs. 5 AufenthG kann sich die Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise zwar auch aus einer auf verfassungsrechtlichen Gründen beruhenden Unzumutbarkeit der Ausreise ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - BVerwG 1 C 14.05 - m.w.N.; juris). Auf Art. 4 Abs. 3 GG kann sich der Antragsteller indes hierbei nicht berufen. Dem Antragsteller ist zwar einzuräumen, dass der Bundesgerichtshof in dem von ihm erwähnten Beschluss vom 24.5.1977 (4 ARs 6/77 - NJW 1977, 1599 f. = BGHSt 27, 191) die Auffassung vertreten hat, dieses Grundrecht gelte ohne Einschränkung für jeden, der - wo auch immer - zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne. Dieser Ansicht kann indes nicht gefolgt werden. Stein (NJW 1978, 2426 ff.) hat überzeugend dargelegt, dass der Entscheidung des BGH nicht nur hinsichtlich der Interpretation des damals in Rede stehenden Art. 6 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags, sondern insbesondere auch hinsichtlich der Reichweite des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung nicht zuzustimmen ist.

Zwar enthält dieses Grundrecht ein nicht auf Deutsche beschränktes Grundrecht, sondern ein Menschenrecht, das für Ausländer dann aktuell werden kann, wenn der (deutsche) Wehrgesetzgeber auch die Heranziehung von Ausländern regelt, wie dies in dem erst durch Gesetz vom 22.4.2005 (BGBl. I S. 1106) aufgehobenen § 2 WPflG zumindest theoretisch angelegt war (vgl. Herzog in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 178; Morlok in Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 4 Rn. 171). Art. 4 Abs. 3 GG gilt aber nicht für die Heranziehung von Ausländern in ausländischen Streitkräften (v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Auflage, Band 1, Art. 4 Abs. 3, Rn. 176). Obwohl Art. 4 Abs. 3 GG zu einer Zeit in der Verfassung verankert wurde, in der eine Wehrpflicht in der Bundesrepublik noch nicht bestand, liegt es fern anzunehmen, dass der Grundgesetzgeber gerade mit dem Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes zur damaligen Zeit ein "Exportgrundrecht" mit Weltgeltung habe schaffen wollen (Stein, NJW 1978, 2426/2428). Gegenteiliges wäre auch aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten kaum haltbar, worauf Stein (aaO., S. 2429) ebenfalls hinweist.

Eine andere Interpretation würde auch in einen Wertungswiderspruch zur überwiegenden Auffassung zum Asylrecht geraten, wonach die Heranziehung einer Person, die Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert, zum Wehrdienst bzw. die Bestrafung wegen der Weigerung nicht per se zur Anerkennung als Asylberechtigtem bzw. zur Feststellung eines Abschiebungsverbots führt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.3.1981 - BVerwG 9 C 6.80 - BVerwGE 62, 123; OVG Hamburg, Beschl. v. 30.3.1994 - Bs VII 36/94 - EZAR 043 Nr. 4).