Der Senat hält an seiner Einschätzung fest, dass ein kurdischer Asylbewerber trotz des Reformprozesses in der Türkei weiterhin einem beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsrisiko bei Rückkehr ausgesetzt sein kann, wenn er sich öffentlichkeitswirksam und exponiert exilpolitisch betätigt hat.
Auch bei Vorstandsmitgliedern von PKK-nahen exilpolitschen Vereinen ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu ermitteln, ob der Betreffende in so hinreichendem Maße als gefährlicher politischer Gegner in Erscheinung getreten ist, dass ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse der türkischen Sicherheitskräfte anzunehmen ist.
Der Senat hält an seiner Einschätzung fest, dass ein kurdischer Asylbewerber trotz des Reformprozesses in der Türkei weiterhin einem beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsrisiko bei Rückkehr ausgesetzt sein kann, wenn er sich öffentlichkeitswirksam und exponiert exilpolitisch betätigt hat.
Auch bei Vorstandsmitgliedern von PKK-nahen exilpolitschen Vereinen ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu ermitteln, ob der Betreffende in so hinreichendem Maße als gefährlicher politischer Gegner in Erscheinung getreten ist, dass ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse der türkischen Sicherheitskräfte anzunehmen ist.
(Amtliche Leitsätze)
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Im Mittelpunkt des Berufungsverfahrens steht die Frage, ob die von dem Kläger, der 1. Vorsitzender des Vereins "Ez kurd im" (auf deutsch: "Ich bin Kurde") in I. ist, entfalteten prokurdisch-regimegegnerischen Aktivitäten bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung führen könnten. Der Senat vermag aber eine derartige Rückkehrgefährdung nicht zu erkennen.
Der erkennende Senat ist in dem in das vorliegende Verfahren eingeführten Urteil vom 18. Juli 2006 - 11 LB 75/06 - (S. 22-25 UA) zu dem Ergebnis gelangt, dass ein rückkehrender kurdischer Asylbewerber trotz des Reformprozesses in der Türkei nach wie vor einem beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sein kann, wenn er sich öffentlichkeitswirksam und exponiert exilpolitisch betätigt hat; dagegen besteht keine besondere Rückkehrgefährdung, wenn er lediglich einfache (sog. niedrig profilierte) exilpolitische Aktivitäten entfaltet hat. Letztlich hänge die Entscheidung dieser Frage von einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab, insbesondere von dem inhaltlichen oder politischen Gewicht der im Ausland entwickelten Aktivitäten des jeweiligen Asylbewerbers und dem daraus abzuleitenden Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an seiner Person. Hieran ist auch unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung in der Türkei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte festzuhalten (vgl. Hamb. OVG, Urt. v. 13.7.2006 - 4 Bf 318/99.A -; OVG Schl.-H., Urt. v. 20.6.2006 - 4 LB 56/02 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.5.2006 - 10 B 5.05 -; OVG Bremen, Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -; OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 10.3.2006 - 10 A 10665/05.OVG -; Hess.VGH, Urt.v. 18.1.2006 - 6 UE 489/04 -; OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.9.2005 - 2 R 2/05 -; OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -). Auch die aktuellen Erkenntnismittel stützen diese Beurteilung.
Hiervon ausgehend kann bei Gesamtwürdigung der exilpolitischen Aktivitäten des Klägers, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Tätigkeit als 1. Vorsitzender des Vereins "Ez kurd im" in I., nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
Der Senat ist in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass für Vorstandsmitglieder derartiger PKK-beeinflusster oder -dominierter Vereine eine ernsthafte Rückkehrgefährdung bestehen kann (vgl. etwa Urt. v. 8.6.1995 - 11 L 5988/91 -; Urt. v. 26.6.2001 - 11 LB 1233/01 -; Urt. v. 21.9.2004 - 11 LB 22/04 -). Er hat aber schon im Beschluss vom 5. November 2002 - 11 LA 382/02 - deutlich gemacht, dass ein Verfolgungsinteresse des türkischen Staates bei Vorstandsmitgliedern nicht ohne Weiteres anzunehmen sei, sondern von Bedeutung und Schwerpunkt der jeweiligen Vereine abhänge (so auch Urt. d. 2. Sen. d. erk. Gerichts v. 22.5.2001 - 2 L 3916/95 -). Eine solche differenzierte, auf den konkreten Einzelfall abgestellte Betrachtung ist angesichts der neueren Entwicklung in der Türkei erst recht angezeigt. So vertritt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen seit der Grundsatzentscheidung vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A - den Standpunkt (vgl. Beschl.v . 23.3.2006 - 8 A 1156/06.A - u. Urt. v. 26.10.2005 - 8 A 1949/04.A -), dass das Verfolgungsinteresse des türkischen Staates nicht von der (bloßen) formalen Funktion der Vorstandsmitglieder von PKK-nahen Vereinen, sondern von Art und Gewicht ihrer politischen Betätigung abhängig sei. Dementsprechend sei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu ermitteln, ob sich der Betreffende in hinreichendem Maße als Ideenträger oder Initiator im Rahmen von aus türkischer Sicht staatsgefährdenden Bestrebungen hervorgetan habe. Für ein geringes politisches Gewicht der Vorstandsaktivitäten und damit gegen eine Verfolgungsgefährdung könne etwa eine kurze Zeit der Vorstandstätigkeit sprechen, ferner die Zugehörigkeit zu einem Vorstand, der unverhältnismäßig groß sei und/oder dessen Mitglieder auffällig häufig wechselten. Auch das Oberverwaltungsgericht Bremen (Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -) stellt entscheidungserheblich darauf ab, ob das betreffende Vorstandsmitglied eher als Mitläufer der prokurdischen Sache denn als ernstzunehmender politischer Gegner oder gar als "Frontaktivist" aus der Sicht des türkischen Staates eingestuft werde. Dazu gehöre insbesondere, wer politische Ideen und Strategien entwickle oder zu deren Umsetzung mit Worten und Taten von Deutschland aus maßgeblichen Einfluss auf die türkische Innenpolitik und seine in Deutschland lebenden Landsleute zu nehmen versuche. Letztlich bestehe eine ernsthafte Rückkehrgefährdung für Vereinsfunktionäre - so das Oberverwaltungsgericht Bremen weiter - nur dann, wenn sie im Verdacht stünden, sich durch Aktivitäten im Ausland nach türkischen Recht strafbar gemacht zu haben, etwa weil ihre Aktivitäten als Anstiftung zu konkret separatistischen oder terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gewertet würden.
Nach Angaben von Kaya (Gutachten v. 9.8. u. v. 9.5.2006 an VG Berlin sowie v. 2.7.2005 an VG Wiesbaden) sind seit dem Jahr 2003 viele türkische Arbeitnehmer und politische Flüchtlinge, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit oder zumindest einen Aufenthaltstitel besäßen, in die Türkei ein- und ausgereist, unter denen sich Personen befunden hätten, die in legalen Einrichtungen und Vereinen, welche der politischen und ideologischen Linie einer illegalen Organisation nahe stünden, tätig seien. Es könne sein, dass solche Personen in der Türkei beobachtet würden, aber bis auf diejenigen, die wegen eines anhängigen Ermittlungsverfahrens per Haft- oder Festnahmebefehl gesucht würden, sei keine von ihnen verhört worden. Dies lässt nach Auffassung des erkennenden Senats ebenfalls darauf schließen, dass das Verfolgungsinteresse der türkischen Sicherheitsbehörden in solchen Fällen allgemein nachgelassen hat.
Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht feststellen dass die türkischen Sicherheitskräfte den Kläger wegen seiner Vereinsaktivitäten als gefährlichen politischen Gegner ansehen oder aus anderen Gründen ein erhebliches Interesse an seiner Ergreifung haben könnten.
Insgesamt hat es den Anschein, dass der Kläger die Bedeutung des genannten Vereins und das Gewicht seiner eigenen politischen Betätigung übertrieben dargestellt hat.
Schließlich hält es der Senat auch nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger wegen der von ihm initiierten Vereinsaktionen oder bestimmter Meinungsäußerungen in der Türkei strafrechtlich verfolgt wird. Die Mitgliedschaft einer nach deutschem Recht legalen kurdischen Exilorganisation ist für sich genommen nach türkischem Recht nicht straftbar. Etwas anderes gilt dann, wenn die konkreten Aktivitäten des Vereinsmitglieds den Verdacht einer Straftat begründen (vgl. etwa Kaya, Gutachten vom 2.7.2005 an VG Wiesbaden). Generell ist zu Meinungsäußerungen von türkischen Staatsangehörigen im Ausland festzustellen, dass diese nur dann strafbar sind, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen bewertet werden können (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.7.2006, S. 31). Dass diese Voraussetzungen im Falle des Klägers erfüllt sein könnten, hält der Senat für zweifelhaft.